POLITIK
Hauptversammlung des Hartmannbundes: „Ärztliche Verantwortung ist nicht teilbar“


„Wir werden klare
Eckpfeiler setzen,
Bedingungen formulieren
und Grenzlinien
ziehen“, kündigte
Kuno Winn in seiner
Eröffnungsrede an.
Foto: Hartmannbund
Marie-Luise Müller hielt es kaum auf ihrem Platz. Mal schüttelte sie den Kopf, mal lachte sie bitter auf. Der streitbaren Präsidentin des Deutschen Pflegerates fiel es sichtlich schwer, die Ausführungen des Redners unkommentiert zu lassen.
Müller war als Ehrengast zur diesjährigen Hauptversammlung des Hartmannbundes (HB) geladen. Der Vorsitzende des HB, Dr. med. Kuno Winn, erneuerte in der Eröffnungsrede seine Kritik an der Gesundheitsreform und ging mit dem vorläufigen Ergebnis der Honorarverhandlungen von Ärzten und Krankenkassen hart ins Gericht. Unruhig wurde Müller aber erst, als Winn auf den Schwerpunkt des Delegiertentreffens zu sprechen kam. Denn bei den Beratungen in Potsdam ging es hauptsächlich um die Frage, welche ärztlichen Aufgaben künftig durch andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen übernommen werden können.
„Wir sind keine Betonköpfe“
Der Hartmannbund griff damit ein brandaktuelles Thema auf. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hatte sich Anfang Juli in einer Studie für die Übertragung bestimmter ärztlicher Aufgaben auf andere Gesundheitsberufe ausgesprochen und damit für eine kontroverse Debatte gesorgt. Während sich die Verbände von Pflege- und Assistenzberufen in ihren Forderungen nach mehr Autonomie bestätigt sehen, plädiert die Ärzteschaft für differenziertere Lösungen.
„Wir sind keine Betonköpfe, die ohne Sinn und Verstand ihr Terrain verteidigen. Wir werden aber klare Eckpfeiler setzen, Bedingungen formulieren und Grenzlinien ziehen“, kündigte Winn in seiner Eröffnungsrede an. Denn nur wer im vollen Umfang als Arzt ausgebildet sei, könne und dürfe diesen Beruf auch eigenverantwortlich ausüben. „Anamnese, Diagnose und Therapie sind und bleiben die zentralen Säulen der ärztlichen Tätigkeiten. Bei diesen elementaren Aufgaben werden wir keine Fremdbestimmung zulassen“, sagte Winn.
Tatsächlich ist die Debatte über die Auslagerung ärztlicher Aufgaben vielschichtig. Zum einen geht es um die Delegation von medizinischen und organisatorischen Aufgaben auf Pflegekräfte und ärztliche Assistenzberufe. Zum anderen wird auch die komplette Übertragung bestimmter ärztlicher Tätigkeiten an andere Berufsgruppen erwogen. Dies würde wohl mit der Preisgabe des Arztvorbehalts bei den entsprechenden Leistungen einhergehen.
Letzteres lehnte Winn strikt ab. Die große Mehrheit der Delegierten des Hartmannbundes hatte er dabei hinter sich. So heißt es in dem von der Hauptversammlung verabschiedeten Leitantrag: „In jedem Fall muss der behandelnde Arzt auch künftig die zentrale Koordinierungsrolle einnehmen.“ Dort, wo der Arzt von reinen Verwaltungsakten entlastet werde und wo bürokratische Abläufe von Dritten übernommen werden könnten, werde die Ärzteschaft dies vorurteilsfrei prüfen. Doch setze jegliche Form der Delegation eine verbesserte Qualifikation der entsprechenden Gesundheitsberufe voraus.
Mehr Autonomie für die Pflege
Zumindest in diesem Punkt – bessere Qualifikation der Pflegekräfte – signalisierte Pflegeratspräsidentin Müller Zustimmung. In einem Streitgespräch mit Winn sprach auch sie sich für eine akademische Ausbildung in der Pflege aus. Darüber hinaus müsse man sich aber fragen, ob die Pflege nicht jetzt schon an einem Punkt sei, an dem sie mehr Autonomie einfordern könne. Müller gestand ein, dass an Kliniken die Verantwortung für delegierte medizinische Leistungen beim Arzt verbleiben sollte. In der ambulanten Versorgung forderte sie aber eigenständige Bereiche für die Pflege: „Langfristig sollten Pflegekräfte auch in eine freiberufliche Selbstständigkeit gehen dürfen.“
Winn hielt dagegen, dass die „ärztliche Verantwortlichkeit nicht teilbar ist“. Er warnte die Pflege davor, sich zu überschätzen. „Ich glaube nicht, dass eine Pflegekraft richtig auf Komplikationen bei multimorbiden Patienten reagieren kann.“ Bei allen Meinungsverschiedenheiten sollte nicht vergessen werden, dass es nicht nur um das Wohl der einzelnen Berufsgruppen gehe, sondern vor allem um das der Patienten. Ihnen käme nur ein Miteinander von Pflegekräften und Ärzten zugute, nicht ein Gegeneinander.
Samir Rabbata