

Jäger und Sammler
– die Urarina-
Indianer leben in
mit Palmblättern
bedeckten Hütten
und betreiben
Tauschhandel mit
Flusshändlern.
Fotos: privat
Nach 30 Stunden auf der Fähre von Iquitos erreichen wir die Mündung des Rio Chambira in den Rio Marañón im peruanischen Amazonastiefland. In Wolken von Mücken laden wir kurz nach Mitternacht Lebensmittel, Medikamente und eine Kühlbox mit Impfstoffen an Bord des klinikeigenen Motorboots. Nach einer kurzen Nacht auf dem Fußboden einer Hütte geht es im Morgengrauen vollbeladen weiter stromaufwärts. Zu beiden Seiten des Flusses ragen die grünen Wände des undurchdringlichen Regenwalds in die Höhe, unterbrochen hin und wieder von kleinen Ansiedlungen der Urarina-Indianer: Häuser, auf Stelzen gebaut und mit Palmblättern gedeckt. Die Frauen tragen rote Blusen und dunkle Röcke, viele von ihnen wenden ihr Gesicht ab, wenn wir vorbeifahren. Einige Kinder winken uns schüchtern zu. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir das Gelände der „Clinica Tucunare“, wo wir von zwei peruanischen Krankenschwestern und drei Arbeitern mit ihren Familien erwartet werden. Diese Ansammlung von zehn Häusern soll also für die kommenden 18 Monate unser Arbeitsplatz und unser Zuhause sein.
Das Projekt des Freundeskreises Indianerhilfe e.V. (FKI, Internet: www.indianerhilfe.de) besteht seit 1998. Auf Anfrage der Indianerorganisation CURCHA (Congreso Urarina del Rio Chambira y afluentes) wurde es in Absprache mit den peruanischen Gesundheitsbehörden ins Leben gerufen. Es beinhaltet die Bereithaltung medizinischer Versorgung in einem zentral gelegenen Gesundheitsposten, die Ausbildung und Supervision von etwa 50 Gesundheitshelfern in 30 Dörfern und den regelmäßigen Besuch dieser Dörfer zum Behandeln von Kranken, Impfen und Verteilen von Medikamenten. Auch das Besprühen der Wohnhäuser zur Malariabekämpfung gehört zu den Aufgaben. Der FKI ist eine durch Spenden finanzierte unabhängige Organisation und seit knapp 50 Jahren mit kleinen, langfristig angelegten Projekten in lateinamerikanischen Ländern aktiv. Sämtliche Projekte werden stets in enger Absprache mit den nationalen Gesundheitsbehörden geplant und realisiert. Ziel ist immer eine Eingliederung in das Gesundheitssystem des jeweiligen Landes.
Der Gesundheitsposten „Clinica Tucunare“ wurde nach einem hier häufig vorkommenden Süßwasserfisch benannt. Die Ausstattung der Klinik ist einfach und an die schwierigen klimatischen Bedingungen angepasst. Solarstrom zum Betrieb von Mikroskop, Funkgerät und Kühlschrank, ein Regenwassertank, zwei Boote mit Außenbordmotoren, ein tragbarer Stromgenerator für sonnenschwache Tage und mehrere Fässer mit Benzin. Das Mitarbeiterteam besteht, neben einem meist europäischem Ärztepaar, aus zwei peruanischen Krankenschwestern und mehreren Arbeitern und Bootsführern, die mit ihren Familien auf dem Klinikgelände leben.
Zu viele Kohlenhydrate, zu wenige Proteine – Mangelernährung
ist unter den Kindern der Urarina-Indianer weit verbreitet. Bei diesem
zweijährigen Jungen geht sie einher mit Beinödemen.
Häufig vorkommende Krankheitsbilder sind Durchfallerkrankungen, Atemwegsinfekte, Malaria und Haut- und Wundinfektionen. Die bis vor wenigen Jahren vorkommenden Masern- und Keuchhustenepidemien sind wegen der regelmäßigen Impfaktivität selten geworden. Die Tuberkulose findet man häufiger als vor einigen Jahren. Schlangenbisse und auch Krankheiten wie Leishmaniose und Tetanus sind nicht selten. Mangelernährung unter den Kindern ist weitverbreitet, die Ernährung der Urarina-Indianer ist kohlenhydratlastig, es fehlt an Proteinen. Die Säuglingssterblichkeit ist hoch.
Problematisch ist die gesamte Logistik in dem Gebiet. Das letzte der betreuten Dörfer liegt zwei Tagesreisen mit dem Boot flußaufwärts; eine Kommunikation ist nicht möglich, weil es in den meisten Dörfern kein Funkgerät gibt. So bleiben die dreimonatigen Besuche, um Informationen mit den Dörfern auszutauschen. Abhängig während dieser Reisen ist man allerdings von dem Wasserstand des Flusses, der innerhalb weniger Tage derart fallen kann, dass Baumstämme und Steine ein Fortkommen mit dem Boot unmöglich machen. Motoren für ihre Kanus haben die wenigsten der Urarinas, weshalb zur Fortbewegung nur das Ruder bleibt, was allerdings meist tagelange Reisen in die Klinik bedeutet. Viele Urarinas ziehen es daher vor, zunächst für einige Tage den Spontanverlauf einer Krankheit abzuwarten.
Zur grundsätzlichen Vorgehensweise des Freundeskreises Indianerhilfe e.V. gehört, für einen Teil der Medikamente eine Gegenleistung zu fordern. Dies kann auch in Form von Naturalien erfolgen, weil die Urarina Geld noch nicht nutzen. Dadurch soll ein Bewusstsein für die Wertschätzung medizinischer Hilfe geschaffen werden. Die Einwohner eines Dorfes müssen sich organisieren und für die Medikamente ihres Gesundheitshelfers zusammenlegen, um für die kommenden Wochen wieder ausreichend Medizin in der Dorfapotheke bereithalten zu können. Durch diese Vorgehensweise möchte der FKI eine langfristige Gesundheitserziehung fördern und vermeiden, dass durch Verteilen von Gratismedizin eine noch größere Abhängigkeit der Bevölkerung geschaffen wird.
Problematisch wird sich in kommenden Jahren ohne Zweifel eine zunehmende Verknappung der Rohstoffe auswirken, mit denen die Urarina ihren Tauschhandel mit Flusshändlern betreiben. Vor allem Tropenhölzer, Palmherzen und Tierfelle sind zunehmend schwieriger zu erhalten. Die nötigen Fußmärsche durch den Regenwald werden immer länger. Die Urarina-Indianer sind es nicht gewohnt, Ackerbau zu betreiben, sie befinden sich in der Phase der Jäger und Sammler. Lediglich Yucca und Kochbanane werden auf brandgerodeten Feldern angebaut. Die Flusshändler versorgen die Urarina derzeit noch mit Dingen wie Reis, Kochgeschirr, Werkzeugen, Seife, aber auch Alkohol in großen Mengen. Sie stellen außerdem einen regelmäßigen Kontakt zur Außenwelt dar. Künftige Maßnahmen des FKI werden sich auf die Selbstorganisation der Urarina und eine Schaffung von nachhaltiger Produktion in dem Gebiet konzentrieren.
Eva Ackermann, Ärztin
Malte Bräutigam, Arzt
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