

Mittlerweile ist Industrienähe fast das Einzige, was dem Institut noch nicht vorgeworfen wurde: Als „staatsnaher Pillen-TÜV“ und „Kostensenkungs-Instrument“ ist das Institut verschrieen, und in der Tat ist die besondere Fürsorge, die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ihrem Ziehkind angedeihen lässt, nicht zu übersehen. Trotz aller Kritik: Industrieunabhängigkeit ist eine Errungenschaft, die es zumindest in einigen Bereichen zu wahren gilt. Mit Erfolg warnten Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung vor der Umwandlung der nationalen Zulassungsbehörde für Medikamente, des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, in eine weitgehend von den Gebühren der Pharmaunternehmen finanzierte Agentur. Das Projekt ist jetzt glücklicherweise vom Tisch.
Doch auch nach Zulassungsprüfung und Marktzulassung eines Medikaments ist das Auftreten von gefährlichen Nebenwirkungen noch denkbar. Erst vor wenigen Tagen wurde die Vermarktung des Blutstillers Trasylol wegen einer erhöhten 30-Tage-Sterblichkeit weltweit ausgesetzt. Zuvor war er jahrelang bei Herzoperationen verabreicht worden. Auch das Rheumamittel Vioxx (Rücknahme 2004) und der Lipidsenker Lipobay (Rücknahme 2001) waren jahrelang auf dem Markt, bevor quasi als Zufallsbefund bemerkt wurde, dass vermehrt Myokardinfarkte und Schlaganfälle beziehungsweise Nierenversagen und Muskelschäden auftraten.
Besonders ungewiss sind auch heute noch – 50 Jahre nach der Contergan-Tragödie – Wirkungsweise und mögliche Nebenwirkungen von Arzneimitteln bei Kindern. Sie haben einen ganz anderen Metabolismus als Erwachsene. Doch klinische Studien mit Kindern sind finanziell und organisatorisch aufwendig und zum Teil ethisch bedenklich. Zudem ist die meist geringe Zahl potenzieller Patienten für die Pharmaindustrie nicht lukrativ. Angesichts mangelnder Studien erhalten im ambulanten Bereich 18 bis 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen Medikamente, die nicht für sie geprüft sind; in der Intensivmedizin (beispielsweise bei Frühgeborenen) sind es sogar 80 bis 90 Prozent.
„Das Aufdecken von Nebenwirkungen darf nicht dem Zufall überlassen bleiben“, warnte Sawicki. Er forderte, ein Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in die versorgungsrelevante Forschung zu investieren. So ließe sich ohne Beeinflussung durch die Industrie die Sicherheit von diagnostischen und therapeutischen Verfahren sowie Medikamenten in der Praxis überprüfen.
Berücksichtigen sollte man allerdings, dass die Pharmaindustrie sehr viel Geld in die Entwicklung von Arzneimitteln und in klinische Studien investiert, die hochwertig und fundiert sind. Zudem kam es in den letzten Jahren vermehrt zu Kooperationen mit öffentlichen Stellen, wie den Koordinierungszentren für Klinische Studien, von denen alle Beteiligten profitieren. Unabhängigkeit und Mitarbeit der Industrie schließen sich also nicht in jedem Fall aus.
Doch trotz des positiven Engagements der Pharmaunternehmen steht fest: Gewisse Bereiche der Arzneimittelkontrolle müssen industrieunabhängig bleiben, denn eine zu starke Orientierung am Markt schadet der Arzneimittelsicherheit.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann.
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik, Berlin
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik, Berlin