

„Und was machen Sie den lieben langen Tag?“ Ich . . . äh . . . ich . . . bin ein kleines Rädchen in der staatlichen Verwaltung, die sich mit der Verteilung von Mängeln beschäftigt. „Ah! Interessant! Dann sind Sie also Lehrer!“ Nein. Erstens bin ich für Mängel und nicht für Lücken zuständig, zweitens muss ich mindestens bis 67 arbeiten, und drittens ist der bezahlte Bildungsurlaub in meiner Sparte völlig unbekannt. „Soso! Sie sind also in der Entwicklungshilfe tätig!“ So kann ich das leider nicht sagen. Es gibt zwar schon Entwicklungen in meinem Beruf, aber noch viel mehr Leute, die sich damit beschäftigen, dass diese von der Allgemeinheit ferngehalten werden . . . äh . . . also, die Gesellschaft davon nichts abbekommt . . . wie soll ich das sagen . . . „Jetzt hab’ ich’s! Sie sind bei der Müllabfuhr!“ Nein, also da hat sie mich wirklich falsch verstanden, so habe ich das wirklich nicht gemeint! „Ach, junger Mann, Sie brauchen sich wirklich nicht zu genieren *hüstel*, das ist doch mittlerweile ein ganz ehrenwerter Beruf *hüstel*.“
Wenn ich etwas so leiden kann wie einen verknoteten Koronarkatheter in der Beckenarterie, dann ist es, wenn mich jemand „junger Mann“ nennt. Also bekenne ich meine Profession, ohne Schnörkel, ohne Scham: Jawohl, ich bin Arzt.
Pause.
Ich kenne diese Pause, Sie wahrscheinlich auch, nur zu gut. Sie ist der Augenblick vor Ausbruch der Anamnesen, der Atemzug vor der Anklage über Wartezeiten, Fehldiagnosen, Praxisgebühr und Zuzahlung. Reichen die Worte nicht mehr, gehen die versammelten Gäste zur Demonstration über: Zähigkeit und Häufigkeit von Sputum und borkigen Belägen aus Nase, Mund und Ohr; Farbe und Geruch von Geschwüren auf Bein, Steiß und Hüften. All das, was in der normalen Sprechstunde zu kurz kommt, findet dann hier seinen Raum, bis hin zum Harndrang und zur Stuhlfrequenz.
An dem schönen Essen hat dann keiner ein Interesse mehr.
Außer mir.
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