ArchivDeutsches Ärzteblatt47/2007Substitutionsbehandlung von Opiatabhängigen: „Die Ärzte brauchen mehr Entscheidungsfreiheit“

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Substitutionsbehandlung von Opiatabhängigen: „Die Ärzte brauchen mehr Entscheidungsfreiheit“

Bühring, Petra

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Massenbehandlung: Mit Methadon oder Buprenorphin substitutiert werden zurzeit 69 300 Heroinabhängige. Foto: VISUM
Massenbehandlung: Mit Methadon oder Buprenorphin substitutiert werden zurzeit 69 300 Heroinabhängige. Foto: VISUM
Suchtmediziner und Oppositionsparteien äußern Kritik an der Versorgung von substituierten Heroinabhängigen. Die Bundesregierung hält die Methadonbehandlung grundsätzlich für erfolgreich.

Die Diskussion um die Behandlung von Schwerstopiatabhängigen mit Heroin als Medikament (Diamorphin) hat dazu geführt, dass auch über Verbesserungen bei der Methadonsubstitution nachgedacht wird. Zur Erinnerung: Die Heroinbehandlung kommt für wenige Schwerstopiatabhängige infrage, bei denen die Methadonsubstitution nicht erfolgreich ist. Die Entscheidung über die Aufnahme in die Regelversorgung steht zurzeit auf der politischen Agenda (siehe DÄ, Heft 27/2007). Mit Methadon oder Buprenorphin substitutiert werden zurzeit bereits 69 300 Heroinabhängige. Einen problematischen Heroinkonsum haben nach Schätzungen zwischen 76 000 und 161 000 Menschen.
Die FDP-Fraktion im Bundestag fordert in einem Antrag (Drucksache 16/6795) mehr Rechtssicherheit für die substituierenden Ärzte und eine praxisnahe Regelung der Behandlung. Dazu gehören eine Lockerung der Take-home-Regelung der Betäubungsmittel-Verschreibungs-Verordnung (§ 5 BtMVV) sowie eine flexiblere Vertretungsregelung. Die Rechtslage gebe Ärzten nicht genügend Handlungsspielraum für eine patientengerechte Therapie. Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen forderten die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage (Drucksache 16/6508) zu einer Stellungnahme auf. Sie sprechen von „erheblichen Versorgungsproblemen“, vor allem in ländlichen Gebieten. Die Zahl der substituierenden Ärzte stagniere. Die betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften würden von den Ärzten als „bürokratisch, abschreckend und wirklichkeitsfremd“ empfunden.
Flexible Take-home-Regelung
Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) stellte auf ihrem 16. Kongress Anfang November in Berlin ebenso eine Reihe von Forderungen für eine bessere Substitutionsbehandlung auf. Allen voran die nach der Anerkennung der Substitution als eigenständige Behandlungsmethode in der Suchttherapie, nicht als Unterordnung „unter das Primat der Abstinenz“, so Dr. Jörg Gölz, stellvertretender Vorsitzender der DGS. „Bei Patienten, die zehn oder 20 Jahre in Substitutionsbehandlung sind, ist die Forderung nach Abstinenz absurd.“ Die DGS fordert ebenfalls eine flexiblere Gestaltung der Take-home-Regelung. Auf dem Land müsse der substituierende Arzt auch ohne kooperierende Apotheke das Medikament für das Wochenende mitgeben dürfen, ohne sich strafbar zu machen. „Die Ärzte brauchen mehr Entscheidungsfreiheit“, fordert Gölz. Substitution dürfe zudem für die Betroffenen „keine Halbtagsbeschäftigung“ werden: Lange Anfahrtswege seien mit der täglichen Vergabe nicht vereinbar und erschwerten die Wiedereingliederung. Schließlich fordern die Suchtmediziner eine bundeseinheitliche Regelung der Finanzierung der psychosozialen Betreuung (PSB) für die Substituierten, die keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Substitution ist aber nur im Rahmen eines Behandlungskonzepts zulässig, das PSB einbezieht. Das Angebot von Sucht- und Drogenberatungsstellen wird von den Sozialhilfeträgern oder Kommunen getragen und ist nicht flächendeckend vorhanden. „Psychosoziale Betreuung darf daher keine Behandlungsvoraussetzung sein“, fordert Gölz. Vor allem die Befürchtung, bei patientengerechter Therapie „ins Spannungsfeld der Strafverfolgung zu geraten“, führt nach Ansicht der DGS dazu, dass sich immer mehr Ärzte mit suchttherapeutischer Qualifikation aus der Substitution zurückziehen.
Die Bundesregierung sieht indes keine Anzeichen für einen Rückzug. In ihrer Antwort (Drucksache 16/6655) auf die Kleine Anfrage der Grünen verweist sie auf die Meldungen des beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geführten Substitutionsregisters: Demnach ist die Zahl der substituierenden Ärzte von 2 605 im Jahr 2003 leicht auf 2 706 im Jahr 2006 gestiegen. Dasselbe Register meldet auch einen Anstieg von 50,6 Prozent der substituierten Heroinabhängigen von 46 000 im Jahr 2002 auf 64 500 im Jahr 2006. Die Versorgung Opiatabhängiger bezeichnet die Bundesregierung auch im internationalen Vergleich als „durchaus positiv“. Versorgungsengpässe gebe es „nur vereinzelt“ und meist in ländlichen Gebieten.
Die Bundesregierung geht nicht davon aus, dass Versorgungsprobleme auf dem Land durch eine Lockerung der Take-home-Regelung gelöst würden. Geprüft wird derzeit allerdings die Ausweitung der Mitgabe für den nächsten Tag oder das Wochenende an Patienten, die die Take-home-Voraussetzungen eigentlich nicht erfüllen. Bedenken betreffen das Missbrauchsrisiko – den Verkauf von Methadon in der Drogenszene. Auch die Vertreterregelung soll geprüft werden. Derzeit erlaubt § 5 Absatz 3 BtMVV eine konsiliarische Substitution durch Ärzte ohne Fachkundenachweis bis maximal drei Patienten. Die FDP-Fraktion fordert in ihrem Antrag, eine „unbürokratische Regelung“, die es dem substituierenden Arzt erlaube, sich für einen bestimmten Zeitraum und eine festgelegte Patientenzahl vertreten zu lassen.
Therapieziel Opiatfreiheit
Am Therapieziel der Abstinenz will die Bundesregierung mit Hinweis auf die Richtlinien der Bundesärztekammer festhalten. Diese besagen: „Das oberste Ziel der Behandlung ist die Suchtmittelfreiheit. Die möglichen Stufen eines Therapiekonzepts sind die Sicherung des Überlebens, gesundheitliche und soziale Stabilisierung und soziale Reintegration, Opiatfreiheit.“ Die Substitutionstherapie könne deshalb nicht gleichwertig mit dem Abstinenzziel verankert werden, wie die DGS fordert.
Hinsichtlich der psychosozialen Betreuung sieht die Bundesregierung keine anderen Finanzierungsmöglichkeiten als über die Länder und Kommunen. Auch die Verknüpfung von PSB und Substitution in einem Behandlungskonzept wird für unbedingt erforderlich gehalten.
Es ist Bewegung in die Substitutionsbehandlung gekommen. Die Bundesregierung prüft einige Kritikpunkte und mögliche Änderungen im BtMVV. Die Bundesärztekammer will eine Befragung der Ärztekammern in die Wege leiten und herausfinden, wo die Probleme in der Praxis liegen. Petra Bühring

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