ArchivDeutsches Ärzteblatt47/2007Nanotechnologie: Frage nach dem Naturverständnis

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Nanotechnologie: Frage nach dem Naturverständnis

Krüger-Brand, Heike E.

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LNSLNS Besteht angesichts des „Hype“ um nanotechnologische Entwicklungen Anlass, das Verhältnis von Natur und Technik zu überdenken?

Nanotechnologie ist Natur pur“, heißt es in einer vom Bundesforschungsministerium herausgegebenen Broschüre zum Thema Nanotechnologie. Lassen sich Nanotechnologie und Natur möglicherweise überhaupt nicht mehr unterscheiden? Und enthält der Verweis auf Natürlichkeit etwa bereits ethische Implikationen? Mit diesen Fragen befasste sich ein interdisziplinär ausgerichtetes Fachgespräch der Evangelischen Akademie Hofgeismar.
„Nanotechnology – Shaping the world atom by atom“ überschrieb 1999 der US-amerikanische Wissenschafts- und Technikrat unter Vorsitz des damaligen Präsidenten Bill Clinton einen programmatischen Bericht, den viele als Geburtsstunde der Nanotechnologie-Initiative betrachten. Implizit enthält er die Vorstellung, dass wir die Welt auf nanotechnologischer Ebene umbauen können, um sie zu verbessern. „Natur wird reduziert auf ein technizistisches Paradigma“, erklärt Dr. Andreas Woyke, Institut für Philosophie der Technischen Universität Darmstadt. Die Natur werde verstanden als „Nanoingenieur“, den es nachzuahmen gelte. Über die effektive Manipulation der Natur auf atomarer Ebene könne die Natur nicht nur nachgeahmt, sondern sogar verbessert werden. Der Mensch als Techniker hat die Aufgabe, die Welt neu zu schaffen: Technikgestaltung und Weltgestaltung fallen ineinander. Als einer der ersten hatte der US-amerikanische Physiker Eric Drexler solchen Machbarkeitsfantasien Ausdruck verliehen und die Vision von Nanofabriken entworfen, in denen Nanoingenieure Atome und Moleküle vervielfältigen und zu neuen Produkten zusammensetzen. Letztlich liegt dem ein mechanistisches Weltbild zugrunde, wonach der technologische Fortschritt einer deterministischen Entwicklung folgt, die der Mensch aufgreifen und lenken kann, lautet die Interpretation Woykes. „Die Grundidee ist das Übertreffen, die Transformation der Natur.“ Zwar bestehe eine klare Differenz zwischen Visionen dieser Art und Forschung, doch gleichzeitig sei Drexlers „Nanomaschine“ handlungsleitend für die reale Forschung. Inwiefern die Nanotechnologie dabei in Bereiche vorstoße, die auch einer ethischen Bewertung bedürften, bleibe offen.
Naturgesetze geben den Rahmen ab
Auch die Nanotechnologie müsse die Rahmenbedingungen der Natur berücksichtigen, sagt dagegen Prof. Dr. Gregor Schiemann, Institut für Philosophie an der Bergischen Universität Wuppertal. Im Hinblick auf die Frage der Naturverträglichkeit und gesellschaftliche Wünschbarkeit von Nanotechnologie gebe es von philosophischer Seite keine grundsätzlichen Bedenken, „sofern schädliche Auswirkungen durch naturidentische Stoffe ausgeschlossen sind“. Nanotechnische Systeme als Ergebnis menschlicher Tätigkeit sind intentionale, zweckgerichtete Eingriffe in die Natur. In begrifflicher Hinsicht lässt sich Natur negativ bestimmen als das, was nicht vom menschlichen Handeln hervorgebracht ist – im engeren Sinn sind das Dinge oder Gegenstände, deren Dasein nicht auf menschliches Handeln zurückgeht, weiter gefasst Bedingungen und Strukturen, die sich menschlicher Verfügbarkeit entziehen, wie die Naturgesetze. Ein Objekt gehöre zur Natur, „wenn wissenschaftlich nachweisbar ist, dass es nicht durch menschliches Handeln hervorgeht“, erläutert Schiemann. Nanotechnische Objekte seien Hybride aus Natur und Technik. Sie würden hergestellt, um etwas zu schaffen, das in gewisser Weise nützlicher sei als Naturstoffe. Was auf den ersten Blick möglicherweise von Natur aus nicht mehr unterscheidbar sei, lasse sich mit wissenschaftlichen Methoden jedoch gut auf seinen Ursprung hin analysieren. „Nanotechnologische Herstellungsprozesse sind von natürlichen deutlich verschieden“, meint Schiemann, auch wenn sich künftig möglicherweise der Teil der Gegenstände erhöhe, bei denen wir nicht mehr feststellen könnten, was Natur und was Technik sei. Die Naturgesetze als „allgemeingültige Form, um die Verknüpfung von Bedingungen darzustellen, unter denen ein Ereignis regelmäßig der Fall ist“, geben auch den Spielraum ab für die Nanotechnologie, lautet sein Resümee. Heike E. Krüger-Brand

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