

Potenzielles Opfer:
Die elfjährige
Firdausi Madaki war
eines der Kinder, die
an der Trovan-Studie
von Pfizer teilgenommen
haben.
Sie ist körperbehindert
und leidet an
einem Hirnschaden.
Foto: AP
Ein Rechtsstreit zwischen dem US-Pharmakonzern Pfizer und dem nigerianischen Staat wird mit immer härteren Bandagen ausgetragen. Gut fünf Monate, nachdem die Regierung des westafrikanischen Staates Anfang Juni beim Obersten Gerichtshof in der Hauptstadt Abuja Klage gegen Pfizer eingereicht hatte, wurde Anfang November nun Interpol eingeschaltet. Zwei Jahre zuvor hatte schon die Regierung des nördlichen Bundesstaates Kano rechtliche Schritte gegen Pfizer unternommen. Mithilfe der internationalen Polizeibehörde will Nigerias Justiz nun sechs angeklagter Mitarbeiter des Unternehmens habhaft werden. Nigeria wirft dem in New York ansässigen Konzern vor, 1996 illegal das Antibiotikum Trovafloxacin an Säuglingen und Kleinkindern getestet zu haben. Während die Kläger sieben Milliarden US-Dollar Schadensersatz fordern, streitet Pfizer die Vorwürfe ab: Das Medikament sei hinreichend getestet worden.
Der Einsatz des in Deutschland nicht zugelassenen Gyrasehemmers erfolgte während einer Dreifachepidemie von Masern, Cholera und Meningitis, bei der im Norden Nigerias im Frühjahr 1996 rund 12 000 Menschen starben. Nach Darstellung der Ankläger hatten Pfizer-Mediziner das Antibiotikum mit dem Handelsnamen Trovan im Rahmen der groß angelegten internationalen Hilfsaktionen eingesetzt – obwohl es noch nicht im Handel war. Rund 200 Kinder wurden für die Tests ausgewählt und bekamen das Medikament verabreicht. Eine Vergleichsgruppe erhielt ein niedrig dosiertes Präparat des Konkurrenzunternehmens Hoffmann-La Roche. Das Ergebnis: Elf der Trovan-Probanden starben, der Rest erlitt nach Angaben der Ankläger fast ausnahmslos schwere Nebenwirkungen wie neurologische Schäden. Festgestellt wurden der Verlust des Seh- und Hörvermögens sowie Lähmungen.
Der Einsatz des Mittels wird von Pfizer nicht bestritten. Allerdings, so die Darstellung von Vertretern des Konzerns, sei der Einsatz mit dem Wissen der Regierung und in Übereinstimmung mit internationalem Recht erfolgt. Auch bestreitet das Pharmaunternehmen, dass die Nebenwirkungen auf die Verabreichung von Trovafloxacin zurückzuführen waren. Die Säuglinge und Kleinkinder seien vielmehr an den Folgen ihrer jeweiligen Erkrankungen gestorben, heißt es aus der Zentrale. Dort blies man Ende Oktober zur Gegenattacke. Angegriffen wurde vor allem ein Bericht des nigerianischen Gesundheitsministeriums von 2001, der eine zentrale Rolle in der Anklageschrift einnimmt. Abdusalami Nasidian, leitender Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums in Abuja und Autor des Rapports, habe schon Mitte der Neunzigerjahre versucht, den Einsatz des Antibiotikums zu verhindern, und sei deswegen befangen. Auch habe man keine Möglichkeit erhalten, zu den Anklagen Stellung zu nehmen. Da ausgerechnet Nasidian heute den Vorsitz der Ermittlungen gegen Pfizer führt, hält Pfizer ein faires Verfahren für ausgeschlossen.
Weil sich beide Seiten in Grabenkämpfe verwickelt haben, ist eine rasche Klärung der offenen Fragen wohl ausgeschlossen. Etwa, ob die Eltern der Probanden über den Studiencharakter der Behandlung hinreichend aufgeklärt waren. Pfizer behauptet das bisher, Nigerias Ankläger stellen es in Abrede.
Tatsache ist, dass das Präparat gefährlicher ist, als zunächst angenommen wurde. Nur knapp ein Jahr nachdem es auf den Markt gekommen war, schränkte 1999 die US-Arzneimittelbehörde FDA die Zulassung wieder ein, weil das Medikament „in enge Verbindung“ mit 14 dokumentierten Fällen von Leberversagen und sechs Todesfällen gebracht wurde. Für Kinder war es nie zugelassen. Für den Konzern lohnte sich der Verkauf trotzdem. Nach einem Bericht der US-Tageszeitung New York Times von August 2000 entwickelte sich das Medikament umgehend nach der Zulassung zu einem „Blockbuster“. Nach Ablauf eines Jahres habe es 160 Millionen US-Dollar in die Konzernkassen gespült.
Mithilfe von Interpol sollen nun der ehemalige Firmenchef von Pfizer, William C. Steere, und fünf weitere führende Mitarbeiter zur Teilnahme an der Verhandlung in Nigeria gezwungen werden. Alle Versuche einer außergerichtlichen Einigung sind bisher gescheitert. Unabhängig von dem weiteren Verlauf des Verfahrens ist eines aber schon jetzt klar: Das Misstrauen gegenüber Konzernen, Medikamenten und medizinischem Personal aus dem Ausland ist in Nigeria massiv gestiegen. Zu spüren bekamen das im Jahr 2003 Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Als damals in Nigeria eine Impfkampagne gegen Polio durchgeführt werden sollte, verboten mehrere regionale Regierungen den WHO-Mitarbeitern die Einreise. Die Polio-Durchseuchung in diesen Gebieten hat seither wieder erheblich zugenommen.
Harald Neuber
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