BEKANNTGABEN DER HERAUSGEBER: Bundesärztekammer
Mitteilungen: Stellungnahme der AkdÄ zur allergenspezifischen Immuntherapie


Molekulare immunologische Mechanismen: Das Ziel der spezifischen Immuntherapie ist die Toleranzentwicklung gegenüber dem allergieauslösenden Antigen. Dies wird im Erfolgsfall durch die wiederholte Exposition eines sensibilisierenden Allergens entweder in Form der subkutanen Injektion (SCIT) oder der sublingualen Applikation (SLIT) erreicht. Die allergenspezifische Immuntherapie modifiziert wichtige Funktionen von antigenpräsentierenden Zellen (APC), T- und B-Zellen. Die wiederholte Exposition mit Allergenen in ansteigender Dosierung führt nach neueren Erkenntnissen vor allem über die Aktivierung IL-10 sezernierender regulatorischer T-Zellen (Treg) und die verstärkte Expression des Transforming Growth Factors beta (TGF-b) zu einer Suppression der allergischen Immunantwort und zur Induktion einer Toleranz. Unter anderem wird indirekt eine Inhibition der TH2-Zellen ausgelöst, die Funktion von Mastzellen und eosinophilen Granulozyten gehemmt und die IgE-Produktion vermindert, während die Bildung von spezifischen IgG und IgA induziert wird (1).
Allergenspezifische subkutane Immuntherapie (SCIT)
Indikationen: Angezeigt ist die SCIT bei nachgewiesener IgE-vermittelter Sensibilisierung mit korrespondierender klinischer Symptomatik durch Allergene, bei denen eine Karenz nicht möglich ist. Zudem muss ein geeigneter Extrakt zur Verfügung stehen und die Wirksamkeit der SCIT für die jeweilige Indikation belegt sein (2). Bei Kindern unter fünf Jahren wird eine SCIT nicht empfohlen; außer bei Insektengiftallergien ist eine Anwendung bei über 60-jährigen Patienten selten (3, 4).
In der Behandlung der allergischen Rhinokonjunktivitis und der Allergie gegen Hymenopterengifte (Biene, Wespe) nimmt die SCIT neben der Allergenkarenz, der Patientenschulung und der medikamentösen Therapie einen festen Platz ein. Der Einsatz beim allergischen Asthma ist weiterhin Gegenstand kontroverser Diskussionen. Es herrscht Übereinstimmung darüber, dass die SCIT bei intermittierendem und geringgradig persistierendem IgE-vermitteltem allergischem Asthma als Therapieoption neben Allergenkarenz und Pharmakotherapie empfehlenswert ist (2, 5). Grundsätzlich ist die SCIT kein Ersatz für eine ausreichende antiasthmatische Therapie. Es existieren bislang keine direkten Vergleichsstudien von Pharmakotherapie und SCIT beim Asthma.
Kontraindikationen: Absolute Kontraindikationen für eine SCIT sind schwere Autoimmunerkrankungen, Immundefekte, schwere kardiovaskuläre Erkrankungen, Malignome, chronische Infektionen und unzureichende Compliance. Wegen der Gefahr von wirkungslosen Notfallmaßnahmen bei anaphylaktischen Reaktionen verbietet sich eine SCIT unter laufender Therapie mit systemisch oder topisch verabreichten Betablockern. Ein unzureichend behandeltes Asthma bronchiale mit einem relativen FEV1 (forciertes exspiratorisches Volumen in einer Sekunde) von weniger als 70 % des Sollwerts stellt ebenfalls eine Kontraindikation dar. Während einer Schwangerschaft sollte (außer bei der Insektengiftallergie) auf die Einleitung einer SCIT verzichtet werden, eine bereits laufende Therapie kann aber bei guter Verträglichkeit entsprechend dem Wunsch der Patientin fortgeführt werden (2, 3).
Wirksamkeit: Die Wirksamkeit der SCIT ist belegt für die allergische Rhinokonjunktivitis und das allergische Asthma durch Gräser-, Baum- und Kräuterpollen, Hausstaubmilben, Katzen und Schimmelpilze (Alternaria, Cladosporium) (6–9) sowie für systemische Überempfindlichkeitsreaktionen nach einem Hymenopterenstich (Biene, Wespe) (10). Bei allergischer Rhinitis, besonders im Kindes- und Jugendalter, kann die SCIT das Risiko für die Ausbildung von Asthmasymptomen und bronchialer Hyperreagibilität vermindern (Prävention des sog. Etagenwechsels) (11) und bei Mono-/Oligosensibilisierung das Auftreten von Neusensibilisierungen reduzieren (12–14). Eine Wirksamkeit bei Nahrungsmittelallergien und atopischem Ekzem konnte bislang nicht ausreichend nachgewiesen werden. Einige Autoren sehen ein schweres atopisches Ekzem als eine Kontraindikation für eine SCIT an (3). Bei allergischem Asthma kann eine SCIT Asthmasymptome, den Arzneimittelverbrauch und das Ausmaß der spezifischen und unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität im Vergleich zu Placebo reduzieren, die Lungenfunktionswerte in der Regel jedoch nicht bessern (6). Ältere Patienten mit langjährigem Asthmaverlauf, allergenunabhängigen Beschwerden und geringer Besserung auf antiasthmatische Therapie profitieren in der Regel nicht von einer SCIT (2, 5).
Risiken: Neben lokalen Reaktionen an der Injektionsstelle birgt jede SCIT das Risiko einer anaphylaktischen Reaktion in sich. Insgesamt sind lebensbedrohliche systemische Reaktionen selten, in Studien ist die Inzidenz variabel und abhängig von den behandelten allergischen Erkrankungen, den verwendeten Allergenextrakten und Applikationsschemata. Ein erhöhtes Risiko für systemische Nebenwirkungen wird insbesondere für Patienten mit einem medikamentös unzureichend behandelten Asthma angegeben. Während einige Autoren ein erhöhtes Risiko bei der Immuntherapie von ganzjährigen Antigenen postulieren (4), zeigt eine aktuelle Studie häufiger schwere Nebenwirkungen bei Gräserallergenen (15).
Durchführung: Die Diagnostik, Indikationsstellung und Auswahl der Antigene sollte nur von einem allergologisch weitergebildeten bzw. kompetenten Arzt durchgeführt werden. Ausrüstung und Arzneimittel zur Therapie anaphylaktischer Reaktionen müssen verfügbar sein und ihr Einsatz sollte regelmäßig geübt werden.
Patienten müssen vor der Einleitung einer SCIT über die Durchführung, Art und Dauer der Behandlung, mögliche unerwünschte Wirkungen sowie Therapiealternativen aufgeklärt werden. Vor jeder Injektion wird der Patient gefragt nach aktuellen allergischen oder anderen relevanten Symptomen, der Verträglichkeit der letzten Injektion, bestehenden Infekten, Arzneimitteleinnahmen und Impfungen. Das Intervall zur letzten Injektion muss geprüft werden. Die Injektionen erfolgen streng subkutan nach vorheriger Aspiration in eine Hautfalte an der Streckseite der Oberarme ca. 10 cm oberhalb des Ellenbogens und werden unter Angabe des Injektionsorts und der Dosis dokumentiert. Die Patienten müssen in der Praxis oder Klinikambulanz 30 Minuten nach jeder Injektion überwacht werden. Starke körperliche Belastungen am selben Tag sind zu vermeiden.
Neben der klassischen, ganzjährigen SCIT, die zumeist mit einer Injektion pro Monat über drei Jahre durchgeführt wird, gibt es für spezielle Indikationen andere Applikationsmuster, wie die präsaisonale Kurzzeit-Immuntherapie (vier bis acht Injektionen vor der Pollenflugsaison), Cluster-Immuntherapie (zwei bis vier Injektionen an einem Tag, dann Fortführung nach ein oder zwei Wochen) oder Rush-Steigerungsschemata (Injektionen alle 30 bis 60 Minuten über zwei bis drei Tage unter stationären Bedingungen). Das schnellere Erreichen einer Toleranz kann jedoch mit einem höheren Risiko für systemische Reaktionen einhergehen. Inwieweit diese modifizierten Applikationsmuster Vorteile mit sich bringen, kann gegenwärtig nicht beurteilt werden.
Verwendete Präparate: Als Allergene für die SCIT stehen neben nativen Extrakten chemisch modifizierte Extrakte zur Verfügung. Nach Modifikation weisen diese sogenannten Allergoide eine geringere Zahl von B-Zell-Epitopen und IgE-Bindungen auf, während T-Zell-Epitope und Allergenität erhalten bleiben. Durch physikalische Kopplung der Allergene an Aluminiumhydroxid, Calciumphosphat oder Tyrosin erhält man Semidepot-Extrakte, die längere Injektionsabstände ermöglichen und das Risiko systemischer Reaktionen reduzieren sollen. Allergenextrakte werden als Fertigarzneimittel angeboten oder als Individualrezepturen angefertigt. Die Fertigarzneimittel müssen durch das Paul-Ehrlich-Institut (Bundesamt für Sera und Impfstoffe) zugelassen werden und unterliegen einer Chargenprüfung. Die Probleme bei der Herstellung von Individualrezepturen liegen zumeist in der Zusammenstellung der Einzelextrakte. So wird beispielsweise die Mischung von perennialen mit saisonalen Allergenen nicht empfohlen, da Pollenextrakte durch die proteolytischen Aktivitäten aus Schimmelpilzen oder Hausstaubmilben zerstört werden können und es in der Folge beim Übergang auf ein neues Fläschchen zu unerwünschten Reaktionen kommen kann. Die Mischung von mehr als drei oder vier Einzelextrakten ist in der Regel abzulehnen, da die zu starke Verdünnung zu einer suboptimalen Dosierung der Einzelallergene führen kann (16). Zwar sollten prinzipiell Fertigarzneimittel bevorzugt werden, aber der Einsatz von Individualrezepturen kann wegen des besonderen Sensibilisierungsspektrums eines Patienten notwendig sein.
Allergenspezifische sublinguale Immuntherapie (SLIT)
Bei der sublingualen Immuntherapie wird der Allergenextrakt zunächst für ein bis zwei Minuten unter der Zunge gehalten und danach im Regelfall geschluckt. Es werden deutlich höhere Dosen des Allergens als bei der SCIT benötigt.
Wirksamkeit: Die Kenntnisse über die Wirksamkeit der SLIT unterliegen durch zahlreiche publizierte Studien einem starken Wandel, sodass derzeit nur eingeschränkt Empfehlungen für ihren Einsatz gegeben werden können. Belegt ist die Wirkung der SLIT für die allergische Rhinokonjunktivitis durch saisonale Allergene bei Erwachsenen (17). Kürzlich veröffentlichte Metaanalysen zur Wirksamkeit der SLIT bei allergischem Asthma und bei der Therapie allergischer Erkrankungen bei Kindern ergaben uneinheitliche Ergebnisse (17–20). Der Effekt der SLIT bei allergischem Asthma kann nicht abschließend beurteilt werden. Im Gegensatz zur SCIT sind Langzeitwirkung und präventive Effekte der sublingualen Applikation noch nicht ausreichend dokumentiert. Die Routineanwendung der SLIT bei Kindern und Jugendlichen wird aufgrund der vorliegenden Daten momentan nicht empfohlen.
Risiken und Kontraindikationen: Die Nebenwirkungen der SLIT sind in erster Linie lokale Schleimhautreaktionen und gastrointestinale Beschwerden. Systemische Reaktionen treten in Studien seltener als bei der SCIT auf, was auf die begrenzte Zahl proinflammatorischer Zellen, wie beispielsweise Mastzellen, in der Mundschleimhaut zurückgeführt wird. Einige Autoren sehen die Indikation für eine SLIT insbesondere bei Patienten, die systemische Reaktionen bei einer SCIT erlitten haben oder eine SCIT trotz gegebener Indikation ablehnen (3). Für die SLIT gelten nach dem jetzigen Kenntnisstand vergleichbare Kontraindikationen wie für die SCIT (2).
Durchführung: Ein Vorteil der sublingualen Immuntherapie ist der insgesamt geringere Aufwand für Patienten, da die Verabreichung des Allergens selbstständig zu Hause erfolgt. Die erste Gabe sollte aber in jedem Fall unter ärztlicher Aufsicht erfolgen und eine Beobachtungszeit von 30 Minuten eingehalten werden. Bei Patienten, die aufgrund einer ausgeprägten Sensibilisierung oder einer Vorgeschichte mit heftigen allergischen Reaktionen ein erhöhtes Risiko aufweisen, empfiehlt sich die Verordnung einer Notfallmedikation mit einem oralen Antihistaminikum und Glucocorticoid sowie gegebenenfalls einem inhalativen Sympathomimetikum.
Literatur
1. Larché M, Akdis CA, Valenta R: Immunological mechanisms of allergen-specific immunotherapy. Nat Rev Immunol 2006; 6: 761–71.
2. Kleine-Tebbe J, Bergmann K-C, Friedrichs F, Fuchs T, Jung K, Klimek L et al.: Die spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung) bei IgE-vermittelten alllergischen Erkrankungen. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA) und der Gesellschaft für pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA). Allergo J 2006; 15: 56–74.
3. Alvarez-Cuesta E, Bousquet J, Canonica GW, Durham SR, Malling HJ, Valovirta E: Standards for practical allergen-specific immunotherapy. Allergy 2006; 61 Suppl 82: 1–20.
4. Malling HJ: Minimising the risks of allergen-specific injection immunotherapy. Drug Saf 2000; 23: 323–32.
5. Buhl R, Berdel D, Criée CP, Gillissen A, Kardos P, Kroegel C et al.: Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma [Guidelines for diagnosis and treatment of asthma patients]. Pneumologie 2006; 60: 139–77.
6. Abramson MJ, Puy RM, Weiner JM: Allergen immunotherapy for asthma. Cochrane Database Syst Rev 2006; Issue 4: CD001186.
7. Klimek L, Malling HJ: Die spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung) bei allergischer Rhinokonjunktivitis. Metaanalyse zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen [Specific immunotherapy (hyposensitization) in allergic rhinoconjunctivitis. Meta-analysis of effectiveness and side effects]. HNO 1999; 47: 602–10.
8. Ross RN, Nelson HS, Finegold I: Effectiveness of specific immunotherapy in the treatment of asthma: a meta-analysis of prospective, randomized, double-blind, placebo-controlled studies. Clin Ther 2000; 22: 329–41.
9. Ross RN, Nelson HS, Finegold I: Effectiveness of specific immunotherapy in the treatment of allergic rhinitis: an analysis of randomized, prospective, single- or double-blind, placebo-controlled studies. Clin Ther 2000; 22: 342–50.
10. Ross RN, Nelson HS, Finegold I: Effectiveness of specific immunotherapy in the treatment of hymenoptera venom hypersensitivity: a meta-analysis. Clin Ther 2000; 22: 351–8.
11. Moller C, Dreborg S, Ferdousi HA, Halken S, Host A, Jacobsen L et al.: Pollen immunotherapy reduces the development of asthma in children with seasonal rhinoconjunctivitis (the PAT-study). J Allergy Clin Immunol 2002; 109: 251–6.
12. Eng PA, Borer-Reinhold M, Heijnen IA, Gnehm HP: Twelve-year follow-up after discontinuation of preseasonal grass pollen immunotherapy in childhood. Allergy 2006; 61: 198–201.
13. Pajno GB, Barberio G, De Luca FR, Morabito L, Parmiani S: Prevention of new sensitizations in asthmatic children monosensitized to house dust mite by specific immunotherapy. A six-year follow-up study. Clinical & Experimental Allergy 2001; 31: 1392–7.
14. Purello-D’Ambrosio F, Gangemi S, Merendino RA, Isola S, Puccinelli P, Parmiani S et al.: Prevention of new sensitizations in monosensitized subjects submitted to specific immunotherapy or not. A retrospective study. Clinical & Experimental Allergy 2001; 31: 1295–302.
15. Winther L, Arnved J, Malling HJ, Nolte H, Mosbech H: Side-effects of allergen-specific immunotherapy. A prospective multi-centre study. Clinical & Experimental Allergy 2006; 36: 254–60.
16. May S, Haustein D: Die individuelle Rezeptur in der spezifischen Immuntherapie. Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitsschutz 2001; 44: 719–23.
17. Wilson DR, Torres LI, Durham SR: Sublingual immunotherapy for allergic rhinitis. Cochrane Database Syst Rev 2006; Issue 4: CD002893.
18. Calamita Z, Saconato H, Pela AB, Atallah AN: Efficacy of sublingual immunotherapy in asthma: systematic review of randomized-clinical trials using the Cochrane Collaboration method. Allergy 2006; 61: 1162–72.
19. Olaguibel JM, varez Puebla MJ: Efficacy of sublingual allergen vaccination for respiratory allergy in children. Conclusions from one meta-analysis. J Investig
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20. Penagos M, Compalati E, Tarantini F, Baena-Cagnani R, Huerta J, Passalacqua G et al.: Efficacy of sublingual immunotherapy in the treatment of allergic rhinitis in pediatric patients 3 to 18 years of age: a meta-analysis of randomized, placebo-controlled, double-blind trials. Ann Allergy Asthma Immunol 2006; 97: 141–8.
Weiterführende Literatur
Cox L, Cohn JR: Duration of allergen immunotherapy in respiratory allergy: when is enough, enough? Ann Allergy Asthma Immunol 2007; 98: 416–26.
Finegold I: Allergen immunotherapy: present and future. Allergy Asthma Proc 2007; 28: 44–9.
Passalacqua G, Durham SR: Allergic rhinitis and its impact on asthma update: allergen immunotherapy. J Allergy Clin Immunol 2007; 119: 881–91.
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