ArchivDeutsches Ärzteblatt49/2007Ethikkommissionen: Schutz der Menschenwürde

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Ethikkommissionen: Schutz der Menschenwürde

Klinkhammer, Gisela

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In ethischen Fragen geht es nach Auffassung von Ludwig Siep nicht um mathematische Genauigkeit, sondern um Lebenserfahrung und Situationsklugheit. Foto: privat
In ethischen Fragen geht es nach Auffassung von Ludwig Siep nicht um mathematische Genauigkeit, sondern um Lebenserfahrung und Situationsklugheit. Foto: privat
25 Jahre Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen – Rückblick auf die Beratung der medizinischen Forschung

Ethikkommissionen sind am Anfang nicht von allen mit Begeisterung begrüßt worden, weder von den Ärzten, die sich oft bevormundet fühlten, noch von den Juristen, die die staatlichen Genehmigungsbehörden für ausreichend hielten. Die Pharmaindustrie fürchtete eine „überflüssige und verzögernde bürokratische Hürde“. Doch das Blatt habe sich inzwischen gründlich gewandelt, stellte Prof. Dr. med. Ludwig Siep, Münster, anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland in Berlin fest. Die Kommission sei nicht nur im Arzneimittelgesetz (AMG) verankert. Das AMG verlange vielmehr zu jedem Antrag eine positive Stellungnahme. Der Gesetzgeber wünsche außerdem, dass die Kommissionen die Forschung begleiten und beobachten.
Weltärztebund gab Anstoß
Die Entstehung der Ethikkommissionen (EK) geht auf eine jahrzehntelange Entwicklung zurück, „in der die medizinische Forschung Felder erobert und Methoden entwickelt hat, die vorher bestehende Grenzen sprengen“, berichtete der Vorsitzende des Arbeitskreises, Prof. Dr. med. Elmar Doppelfeld. Ihre weltweite Verbreitung verdankten die Ethikkommissionen maßgeblich dem Weltärztebund. Er habe 1975 in Tokio die Deklaration von Helsinki durch die Bestimmung ergänzt, dass ein eindeutiges Versuchsprotokoll einem besonders berufenen unabhängigen Ausschuss zur „Beratung, Stellungnahme und Orientierung“ vorzulegen sei. „Dieses Postulat wurde in zahlreichen Ländern aufgegriffen, allerdings in bunter Vielfalt verwirklicht.“ In der Bundesrepublik bildeten sich die Ethikkommissionen bei den medizinischen Fakultäten der Universitäten und seit der Empfehlung des Vorstands der Bundesärztekammer aus dem Jahr 1979 auch bei den Ärztekammern.
Nach maßgeblichen Vorarbeiten der Münsteraner Ethikkommission unter ihrem Vorsitzenden, Prof. Dr. med. Heinz Losse, und mit Unterstützung des damaligen Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Karsten Vilmar, wurde am 7. Mai 1983 der Arbeitskreis gegründet. Bis heute profitiere der Arbeitskreis von der „nachhaltigen ideellen und finanziellen Förderung der Bundesärztekammer“, betonte der Vorsitzende. Im Gegenzug hob die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. med. Cornelia Goesmann, die „vertrauensbildende und qualitätsverbessernde Wirkung der Ethikkommissionen“ hervor.
Schon im Gründungsjahr traten, wie Doppelfeld berichtete, alle Ethikkommissionen bei Landesärztekammern und bei den medizinischen Fakultäten der damaligen Bundesrepublik dem Arbeitskreis bei. Nach der Wiedervereinigung wurden auch die Ethikkommissionen der neuen Länder aufgenommen. Die Stellung der Ethikkommissionen habe sich in zahlreichen Ländern Europas verändert. So sei vielfach das Votum einer EK zur bindenden Voraussetzung für die Durchführung eines Forschungsprojekts geworden. Deutschland sei dieser Entwicklung teilweise gefolgt mit der Einführung der befürwortenden Stellungnahme einer EK als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Arzneimittelprüfung. „Für alle anderen Bereiche der Forschung gilt bei uns, anders als im übrigen Europa, das Votum einer Ethikkommission als Empfehlung für den Forscher.“ Und das sollte, so Siep, auch künftig so bleiben. Die Voten enthielten Komponenten der Einfühlung und der Lebenserfahrung, die sich von technischen, aber auch von rein juristischen oder wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten grundsätzlich unterschieden. Schließlich gehe es in ethischen Fragen nicht um mathematische Genauigkeit und nicht um bloße Anwendung auf einzelne Fälle. Vielmehr geht es Siep zufolge auch um Lebenserfahrung und Situationsklugheit. Dass die Öffentlichkeit und der Gesetzgeber den Kommissionen einerseits Güterabwägungen überließen, sie aber andererseits als Kontrolleure benutzen wollten, bringe die Kommissionen oft in ein Dilemma.
„Das direkte Gespräch“
Letztendlich hält Siep es für ungewiss, ob die Arbeitsgemeinschaft die nächsten 25 Jahre überleben wird. Nicht etwa deswegen, weil ihr die ethischen Probleme ausgehen könnten. Siep hält es aber für fraglich, ob die Vielfalt und die „Bodenhaftung“ der Kommissionen in einer Zeit der Globalisierung der medizinischen Forschung und Industrie auf Dauer standhalten können. „Es wird nicht zuletzt an Einrichtungen wie dieser Arbeitsgemeinschaft liegen, ob solche Entwicklungen vereinbar bleiben mit dem Prinzip der Beratung von Individuen durch das direkte Gespräch.“ Auch künftig müssen sie sich, so Doppelfeld, der Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde stellen.
Gisela Klinkhammer

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