ArchivDeutsches Ärzteblatt PP12/2007Telekommunikationsüberwachung: Weit übers Ziel hinausgeschossen

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Telekommunikationsüberwachung: Weit übers Ziel hinausgeschossen

Krüger-Brand, Heike E.

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Blieben erfolglos: Proteste gegen die Vorratsdatenspeicherung, hier in Magdeburg. Foto: dpa
Blieben erfolglos: Proteste gegen die Vorratsdatenspeicherung, hier in Magdeburg. Foto: dpa
Trotz der Kritik von Datenschützern ist der Weg frei für die sechsmonatige Speicherung von Telekommunikationsdaten. Betroffen sind auch Berufsgeheimnisträger, wie Ärzte, Psychotheraputen, Journalisten und Anwälte.

Alle Appelle und Bedenken haben nichts gefruchtet: Ungeachtet der Proteste von Datenschützern und heftiger Kritk vonseiten der Opposition hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der großen Koalition die Einführung der Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten beschlossen. Das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung sieht vor, dass Telekommunikationsunternehmen ab 2008 (Internetprovider erst ab 2009) die Daten ihrer Kunden sechs Monate lang speichern müssen. Bislang durften Daten nur für maximal drei Monate zur Abrechnung gespeichert und ausschließlich von den Telekommunikationsfirmen selbst eingesehen werden. Die Gesetzesnovelle regelt die Speicherung dagegen zum Zweck einer möglichen Strafverfolgung. Festgehalten werden künftig jeweils Rufnummer sowie Beginn und Ende der Verbindung per Telefon oder Internet, Datum und Uhrzeit sowie bei Handy-Telefonaten und SMS auch der Standort des Benutzers. Angaben über Inhalte der aufgerufenen Internetseiten werden nicht gespeichert.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat die Neuregelung, mit der gleichzeitig eine EU-Richtlinie umgesetzt werden soll, unter anderem mit dem Hinweis darauf verteidigt, dass eine Telefonüberwachung künftig nur noch bei dem Verdacht auf eine schwere Straftat angeordnet werden darf. Die Daten kämen mit der Neuregelung nur dann in staatliche Hände, wenn ein unabhängiges Gericht darüber entschieden habe. Doch warum muss für einen solchen Ausnahmefall die gesamte Bevölkerung präventiv überwacht werden? Jeder Bürger, der telefoniert oder per Internet kommuniziert, hinterlässt fortan eine genau nachvollziehbare Datenspur. Alles wird verdachtsunabhängig und ohne aktuellen Verwendungszweck aufgezeichnet und aufbewahrt – auch die Kontaktaufnahme mit der Telefonseelsorge oder einer Suchtberatung, wie der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar anmerkte. Der Nutzen, den diese mit hohen Kosten verbundene gigantische Datensammlung für die Verbrechensbekämpfung und Terroristenverfolgung haben soll, ist dabei noch völlig unklar, so die Befürchtung des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft e.V.
Unverhältnismäßige Maßnahme
Organisationen und Interessenverbände von Ärzten, Psychotherapeuten, Journalisten und Rechtsanwälten bezweifeln daher die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit dieser Neuregelung. Nur noch drei Berufsgruppen können sich einigermaßen sicher vor Überwachungsmaßnahmen wähnen: Seelsorger, Strafverteidiger und Bundestagsabgeordnete. „Mit diesem Überwachungsgesetz begründet die Politik eine tiefe Misstrauenskultur gegenüber den Patienten in Deutschland“, urteilte daher der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe. „Das Patientengeheimnis und die ärztliche Schweigepflicht sind keine Rechte, die nach Maßgabe eines Ermittlungsbeamten von Fall zu Fall ausgesetzt werden können. Arztgespräche – auch telefonische Kontakte und E-Mails zwischen Ärzten und Patienten – brauchen absoluten Schutz.“
Die staatliche Schnüffelei bei Psychotherapeuten sei inakzeptabel, monierte auch die Bundespsychotherapeutenkammer. Gespräche zwischen Psychotherapeuten und ihren Patienten gehörten zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, der nach Urteilen des Bundesverfassungsgerichts unantastbar sei und in dem der Staat nicht verdeckt ermitteln dürfe. Journalisten sehen die Pressefreiheit eingeschränkt, wenn im Rahmen von Recherchen der Informantenschutz nicht mehr gewährleistet werden kann.
Bürgerrechtler und Datenschützer haben bereits eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz angekündigt, das sie als Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bewerten. Der Marburger Bund will prüfen, ob er sich einer Verfassungsklage anschließt.
Heike E. Krüger-Brand

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