ArchivDeutsches Ärzteblatt51-52/2007Die Hospitalheilige Elisabeth von Thüringen (1207–1231): Bedingungsloser Einsatz für die Bedürftigen

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Die Hospitalheilige Elisabeth von Thüringen (1207–1231): Bedingungsloser Einsatz für die Bedürftigen

Sahmland, Irmtraut

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Elisabeth wäscht einen Aussätzigen (Johann von der Leyten, Elisabethaltar der Elisabethkirche Marburg, 1510)
Elisabeth wäscht einen Aussätzigen (Johann von der Leyten, Elisabethaltar der Elisabethkirche Marburg, 1510)
Elisabeth begegnet uns als eine aktiv handelnde, selbstbewusste Frau, die für ihr Leben eine klare Sinngebung formulierte und diesen Lebensplan konsequent verfolgte.

Jubiläen sind besondere Räume der Erinnerungskultur; ihr Charakter ist ambivalent: Einerseits fordern sie das Erinnern wie eine Pflichtübung ein, andererseits bieten sie bevorzugt Anlass und Gelegenheit für eine neue Auseinandersetzung und Würdigung aus der Perspektive der jeweiligen Gegenwart.
Vor 800 Jahren wurde Elisabeth von Thüringen als ungarische Königstochter geboren. Bereits wenige Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1231 wurde sie heiliggesprochen. Ihre Lebensgeschichte ist oft erzählt worden – hier nur wenige Eckdaten: Aus machtpolitischen Erwägungen kam sie im Alter von vier Jahren an den landgräflich-thüringischen Hof auf die Wartburg, um dort mit 14 Jahren dem sieben Jahre älteren Ludwig angetraut zu werden, der als Ludwig IV. inzwischen die Regentschaft übernommen hatte. Durch den Verlust ihres Mannes, der während des Kreuzzugunternehmens 1227 in Italien einer Infektion erlegen war, stand sie, inzwischen Mutter dreier Kinder, allein da. Auf der Wartburg ohne Rückhalt, sei sie, so die traditionelle Deutung, von dort vertrieben worden, um schließlich im Schutz ihres Beichtvaters, Konrad von Marburg nach Marburg, zu kommen. Mit eigenen Mitteln gründete sie hier 1228 ein Hospital, das als erstes nördlich der Alpen dem heiligen Franziskus geweiht wurde. Nach drei Jahren aufopferungsvoller Arbeit ist Elisabeth hier gestorben.
Isoliert betrachtet, war dies ein leidvoller und entbehrungsreicher Lebensweg, der sich als ein kontinuierlicher sozialer Abstieg darstellt. Projiziert man Elisabeths Geschichte jedoch auf den Hintergrund damaliger religiöser Erneuerungsbewegungen, dann erscheint sie wie ein gelungener Lebensplan. Es gab im 13. Jahrhundert vielgestaltige Bewegungen mit sehr unterschiedlichen Organisationsformen, Motiven und Zielsetzungen. Gleichwohl lassen sie sich als neue Frömmigkeits- und Armutsbewegung zusammenfassen. In Oberitalien und Südfrankreich formierten sich seit dem ausgehenden zwölften Jahrhundert einerseits die Katharer, andererseits die Waldenser als Laienbruderschaften, die das Evangelium verkündeten und nach dem Vorbild Jesu in Armut lebten. Sie zogen, von der Kirche zum Teil rigoros verfolgt, als Laienprediger durch das Land. In Flandern entstand die Bewegung der Beginen. Es waren offene Frauengemeinschaften mit einem halb religiösen, halb weltlichen Charakter, die kein lebenslanges Gelübde ablegten. Auch sie lebten in Askese und sorgten mit eigener Arbeit für ihren Unterhalt. Sie praktizierten Krankenpflege und engagierten sich in allen Gebieten damaliger sozialer Fürsorge.
Auch Franz von Assisi war in diesem geistigen Klima verankert; er hatte alle weltlichen Güter abgelegt, um als Bettelmönch zu predigen, allerdings im Einklang mit der Kirche. Die Franziskaner praktizierten Seelsorge und Krankenpflege; auf der Grundlage eines absoluten Armutsgebots strebten sie danach, „zu Erben und Königen des Himmelreichs“ zu werden. Der Orden hatte sich seit 1225 auch in Eisenach niedergelassen. Zu diesen Fratres minores (Minderbrüdern), wie sie sich nannten, hatte Elisabeth Kontakt aufgenommen, sodass hier ein unmittelbarer Bezugspunkt greifbar ist. 1
In diesem Kontext erschließt sich Elisabeths Verhalten als ein konsequenter Weg; der sinnstiftende Faden, an den sich nun alles aneinanderreiht, ist die kompromisslose Nachfolge Christi mit dem Ziel ihres persönlichen Heilsstrebens. Das bedeutete ein Doppeltes: Es galt, Christus ähnlich zu werden, so wie er als Mensch dem Menschen ähnlich wurde. Dieser Prozess der Selbstheiligung zeigt sich zum Beispiel bei Franz von Assisi durch die Stigmatisation, in der er die Leidensmale Christi empfängt. Christusnachfolge bedeutete aber auch die praktische Ausrichtung an dem Bibelwort: „Was ihr getan habt dem geringsten eurer Brüder, das habt ihr mir getan.“ Dieser bedingungslose soziale Einsatz als Gottesdienst war ein integraler Teil ihrer Frömmigkeit.
So lässt sich eine schrittweise Annäherung an dieses Ziel erkennen, in der Elisabeth sich immer weiter zurücknahm: der Verzicht auf die Repräsentation ihrer sozialen Stellung im Angesicht des gekreuzigten Christi, die asketische Lebens- und Ernährungsweise, wie sie durch ihr Speisegelübde zum Ausdruck kam, schließlich die Abweisung aller Optionen, die einer Witwe in ihrer Position offen gestanden hätten (Rückkehr in ihr Elternhaus, erneute Heirat oder Eintritt in ein Kloster). Das Verlassen der Wartburg und die Aufgabe allen weltlichen Rückhalts, die Annahme des Bußgewands aus den Händen ihres Beichtvaters waren weitere Schritte auf dem Weg ihres Heilsstrebens.
Den Armen in jeder Weise gleichgestellt, schien nun der Punkt erreicht zu sein, um ihnen als Stellvertreter Christi mit ganzer Hingabe dienen zu können. Eine Königstochter und Landgräfin, die sich herabließ, eine von ihnen zu werden und ihnen rückhaltlos zu dienen, das haben offenbar auch die Zeitgenossen nicht verstanden. Zugleich tat es ihrer großen Bewunderung keinen Abbruch, diese einzigartige Erfahrung hatte wohl die Aura des Heiligen. In dieser Le
Das Rosenwunder auf einem Gemälde von Moritz von Schwindt, 1855. Das Brot für die Bedürftigen unter Elisabeths Mantel verwandelt sich in Rosen.
Das Rosenwunder auf einem Gemälde von Moritz von Schwindt, 1855. Das Brot für die Bedürftigen unter Elisabeths Mantel verwandelt sich in Rosen.
sart war Elisabeth eine aktiv handelnde Frau, die kontinuierlich ihr Ziel verfolgte und deren Lebensplan, gekennzeichnet durch Askese, Demut und Selbsterniedrigung, aufging.
Hospitalheilige
Elisabeth hatte sich entschieden, als Schwester in der Welt zu wirken. Das bedeutete ihren engagierten Einsatz im Bereich der sozialen Fürsorge. In deren Zentrum stand das Hospital, der Typus einer Institution mit multifunktionalen Aufgaben. Abgeleitet von hospis = Gast war das Hospital zunächst ein Gasthaus, eine Herberge, eine Anlaufstelle für sehr unterschiedliche Personengruppen: Pilger, andere Durchreisende, Waisenkinder, Schwangere, Kranke, Gebrechliche, sieche Menschen. Neben einer ambulanten Unterstützung im Sinn einer offenen Armenfürsorge bot es stationäre Aufnahme.
Als eine landgräfliche Familieninitiative wurde zwischen 1221 und Anfang 1223 in Gotha das Maria-Magdalenen-Hospital eingerichtet, möglicherweise im unmittelbaren Zusammenhang mit Missernten und dadurch bedingten Versorgungsengpässen. Für Elisabeth eröffnete sich damit ein erweiterter Aktionsrahmen für ihr sozialfürsorgerisches Engagement.
In diesen Kontext gehört das sogenannte Rosenwunder: Elisabeth habe einen Korb voll Brot unter ihrem Mantel getragen, um es an die Bedürftigen zu verteilen. Von Ludwig angesprochen, was sie da unter ihrer Kleidung trage, sei der Korb voller Rosen gewesen. Abgesehen von der impliziten Behauptung, schon zu ihren Lebzeiten und bereits in Thüringen hätten sich in der unmittelbaren Umgebung Elisabeths Wunder ereignet, unterstellt diese posthum erzählte Geschichte, ihr karitatives Wirken sei gegen Ludwigs Willen erfolgt und nur im Verborgenen möglich gewesen. Tatsächlich wurde ihr in völlig unüblicher Weise die sofortige Nutzung der Einkünfte aus ihren Witwengütern als finanzielle Basis ihrer Mildtätigkeit zugestanden.
Als sich die Versorgungslage aufgrund anhaltender Missernten weiter zuspitzte, öffnete Elisabeth sämtliche Vorratslager, um die größte Not zu lindern. Unterhalb der Wartburg wurde ein Gebäude zur Einrichtung eines weiteren Hospitals mit einer Kapazität von 28 Betten genutzt. Hier war der Ort, wo Elisabeth mit ihren Dienerinnen vollen Einsatz
leistete. Isentrud, eine ihrer Mägde, berichtete:
„Und obwohl sie verdorbene Luft nirgends sonst vertragen konnte, ertrug sie doch die Ausdünstungen der Kranken im Sommer, welche die Mägde nur unter Klagen aushielten, ohne jeden Abscheu, behandelte die Kranken heiter mit ihren eigenen Händen und wischte mit dem Schleier ihres Hauptes ihr Antlitz, ihren Speichel, ihren Auswurf und den Schmutz ihres Mundes und der Nase ab. Außer diesen hatte sie in demselben Haus noch viele arme Kindlein, für die sie sorgte. Gegen die war sie gütig und mild, dass alle sie Mutter nannten und zu ihr liefen und sich um sie scharten, wenn sie ins Haus kam. Unter ihnen liebte sie besonders die Krätzigen, Kranken, Schwachen, Hässlichen und Ungestalteten, streichelte ihr Haupt mit den Händen und barg es in ihrem Schoß.“
In Marburg angekommen, setzte Elisabeth ihre Arbeit mit dem Bau des Franziskushospitals fort, in dem sie selbst bis zu ihrem Tod den Kranken und Bedürftigen diente.
Elisabeth gilt als Hospitalheilige und nimmt damit innerhalb der Reihe der Heiligen, die mit Krankheit im engeren Sinn verbunden sind, eine Sonderposition ein. Sie steht für die Caritas und ist mit den sechs Werken der Barmherzigkeit sehr eng verbunden. Zugleich werden diese Motive enggeführt: In der Ikonografie der Elisabeth dominieren einerseits Darstell
Elisabeth besucht Kranke. Szene aus dem Elisabethfenster der Elisabethkirche in Marburg, 1250
Elisabeth besucht Kranke. Szene aus dem Elisabethfenster der Elisabethkirche in Marburg, 1250
ungen, die sie bei der Austeilung von Speise und Trank zeigen, andererseits Szenen, in denen sie Kranke, in auffallender Weise immer wieder Lepröse, „behandelt“.
Elisabeth medicatrix?
Diese Szene aus dem Kirchenfenster der Elisabethkirche in Marburg zeigt Elisabeth beim Pulsfühlen. Sie wird also als medicatrix, als Ärztin, dargestellt. Konrad von Marburg, ihr geistiger Führer, berichtete, sie habe den Kranken Medizin verabreicht; wo sie sich jedoch die medizinischen Kenntnisse erworben habe, wisse er nicht. Tatsächlich war Elisabeth auf ihre spätere Rolle als Landgräfin vorbereitet worden, ihr Werdegang unterschied sich also ganz deutlich von dem Hildegards von Bingen (1098–1179), die mit acht Jahren in das Kloster Disibodenberg eingetreten war und zu medizinischem Wissen Zugang hatte. Spezifische heilkundliche Kenntnisse scheinen auch im Hintergrund einer Szene zu stehen, in der Elisabeth einen offensichtlich als Leprösen zu deutenden Kranken im Waschzuber reinigt, galt doch die Balneotherapie als probates Mittel zu dessen Behandlung.
Lepra war seit dem frühen Mittelalter in Europa weit verbreitet. Manches während ihrer langen Geschichte in unseren Breiten ist rätselhaft, nicht allein die Ursache ihres Rückzugs im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, wo sie der neuen Seuche Syphilis Platz zu machen schien. Das 1873 von Amauer Hansen entdeckte Mycobakterium leprae, das durch Tröpfchen- und Schmierinfektion übertragen wird, hat eine Inkubationszeit von unter Umständen vielen Jahren, ehe es zum Ausbruch der Erkrankung führt; dies ist also keine sich fulminant entwickelnde Seuche. Dennoch wurden Lepröse im Mittelalter aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, sei es, dass sie als Feldsieche leben mussten, oder dass man sie in den Leprosorien, die als die ersten Spezialanstalten gelten können, isolierte. Diese konsequente Separierung der Leprösen passt nicht in eine Zeit, in der es aus heutiger Sicht nur sehr vorläufige und diffuse Vorstellungen bezüglich der Übertragungsmechanismen gab; diese Praxis deutet eher auf einen weiteren Kontext hin.
Luther hat in seiner Bibelübersetzung die Krankheit mit Aussatz benannt, was mit dem mittelhochdeutschen „ussezzig“ korrespondiert. Leprakranke wurden von der Gesellschaft ausgesetzt, abgesondert – möglicherweise weniger, weil sie Infektionsträger waren, sondern weil sie in der biblischen Tradition als „unrein“ galten. Damit ist der Zusammenhang zwischen Krankheit und sündhaftem, moralisch deviantem Verhalten aufgerufen. Man musste sich schützen, um nicht selbst befleckt zu werden.
Wenn Lepröse dennoch derartig häufig in Hospitalräumen anzutreffen sind, ist eine weitere Bedeutungsschicht dieses Bildes zu vermuten. Dabei ist die zeitgenössische Krankheitslehre zu berücksichtigen. Sie folgte dem antiken Konzept der Humoralpathologie. Vier kardinale Säfte – Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle – waren konstitutiv für Gesundheit und Krankheit. Eine fehlerhafte Zusammensetzung der Körpersäfte führte zu Krankheit, wobei die Vielfalt der Erkrankungen von der Art dieser Dyskrasie abhing und von der damit verbundenen Verschiebung der Qualitäten des Feuchten, Trockenen, Kalten und Warmen wesentlich bestimmt war. Die Folge waren korrumpierte Säfte, eine Materia peccans. Neben einer kausalen Therapie nach dem Prinzip „Contraria contrariis curantur“ galt es, mittels evakuierender Maßnahmen diesen Krankheitsstoff aus dem Körper zu entfernen – durch Aderlass, Schröpfen sowie die Gabe von Vomitiva und Purganzien.
Auch der Organismus selbst war bestrebt, solche pathogenen Stoffe abzusondern, an die Körperoberfläche zu bringen. Veränderungen auf der Körperoberfläche und des Hautorgans konnten auf innere Erkrankungen zurückverweisen, und diese wurden ikonografisch entsprechend umgesetzt. Das heißt jedoch, das Bild eines Leprösen kann einerseits tatsächlich einen Leprakranken darstellen – da man hier einen Überschuss an schwarzer Galle annahm, konnte dies durch entsprechend schwarze Pusteln auf der Haut zum Vorschein kommen –, andererseits aber überhaupt einen Kranken vorstellen. Vielfach ist er zudem mit Krücken, einfachen Prothesen oder verbundenen Extremitätenstümpfen dargestellt. Hier ergibt sich die gleiche Erweiterung der Bildbedeutung. Durch den Sensibilitätsverlust zog sich der Aussätzige Verletzungen der Extremitäten zu und konnte schließlich einzelne Gliedmaßen verlieren; das Gleiche geschah aber zum Beispiel auch im Krankheitsverlauf des sogenannten Antoniusfeuers, einer Lebensmittelvergiftung durch Secale cornutum, die ebenfalls sehr verbreitet war.
Das Bild des Leprösen wird damit zu einer Matrix, auf die Krankheit an sich projizierbar war. Dabei geht es weniger um eine spezielle Erkrankung, die einer spezifischen Therapie zugeführt wurde, sofern diese überhaupt verfügbar war. Gemeint ist vielmehr der Aegrotus, der an Krankheit leidende Nächste, der der Hilfe und Unterstützung bedarf, zumal er sich nicht selbst unterhalten kann und also der Caritas würdig ist.
Der Bericht Isentruds bestätigt, dass im Hospital in Eisenach Personen mit einer breiten Palette von Krankheiten und Gebrechen versorgt wurden, wobei „Krätzige, Kranke, Schwache, Hässliche und Ungestaltete“ besonders genannt sind. Bezeichnenderweise werden nicht etwa verschiedene Diagnosen angegeben, sondern es ist das Erscheinungsbild, das auf das Leiden verweist und das Ausmaß ihrer Behinderungen anzeigt. Mit dem Verlust der körperlichen Integrität geht oftmals der Verlust auch der sozialen Integrität einher, indem man sich vom Hässlichen und Ungestalteten abwendet.
Elisabeth hat all diese Menschen unterschiedslos angenommen, und das wird im dominanten Bild des
Leprösen, gelesen als Matrix für Krankheit, anschaulich. Ihre Krankenbehandlung bestand vor allem in deren Pflege, der Versorgung mit dem Notwendigsten, also Nahrung, Unterkunft und Kleidung. Essenziell war dabei der empathische Umgang mit ihnen und die Überwindung selbst des ekelhaftesten und abstoßendsten Anblicks der Kranken. Jenseits spezifischer Indikationen für balneotherapeutische Anwendungen meint das Motiv der Waschung einerseits die Reinigung von Schmutz und Unrat, was nicht zuletzt auch als ein wichtiger Beitrag zur Achtung der menschlichen Würde gewertet werden muss, andererseits steht es in enger Verbindung mit der kultischen Reinigung von sündhafter Befleckung und Unreinheit sowie mit der rituellen Fußwaschung. Elisabeth ließ es nicht mit der Stiftung von Hospitälern als Orte praktizierter Caritas bewenden, sondern sie packte eigenhändig und ohne Einschränkungen und Vorbehalte an. Das war das Unbegreifliche, ihre kompromisslose und direkte Nähe zu Leiden, Krankheit und
Das Bild des Leprösen wird zu einer Matrix, auf die Krankheit an sich projizierbar war (Elisabeth pflegt einen Leprösen, Tafelbild, Heilig-Geist- Hospital, Lübeck).
Das Bild des Leprösen wird zu einer Matrix, auf die Krankheit an sich projizierbar war (Elisabeth pflegt einen Leprösen, Tafelbild, Heilig-Geist- Hospital, Lübeck).
Tod. Hier konnte sie in unmittelbarer Weise Christusnachfolge üben, und zugleich leistete sie segensreiche Hilfe für die, derer sie sich als Stellvertreterin Christi annahm.
Unbedingte Caritas
Elisabeth blieb die Hospitalheilige und zugleich die personifizierte Caritas. Mit der vor allem im 19. Jahrhundert einsetzenden modernen Entwicklung des Krankenhauswesens zog auch sie vom Hospital in die Klinik um, was der Boom der Benennung solcher Häuser als „Elisabeth-Krankenhaus“ deutlich macht. Dienst am Kranken hieß nun zunehmend effektive Hilfe für den Patienten durch enorm akkumuliertes medizinisches Wissen und die Verfügbarkeit wirksamer Therapieverfahren, eine Entwicklung, die unvermindert anhält und für die Zukunft große Erwartungen weckt.
Die Beschäftigung mit der Hospitalheiligen Elisabeth führt zweifellos in eine sehr fremde Welt; viele für die damalige Zeit konstitutive Gedanken sind uns nicht mehr vertraut, damit verknüpfte Handlungsmotivationen müssen wir erst wieder verstehen lernen. Allerdings: Elisabeth begegnet uns als eine aktiv handelnde, selbstbewusste Frau, die für ihr Leben eine klare Sinngebung formulierte und nicht davor zurückscheute, diesen Lebensplan konsequent und erfolgreich zu verfolgen. Ihr Werk als Schwester in der Welt war der Dienst am bedürftigen Mitmenschen, am Kranken. Ihr anhaltender persönlicher, von Empathie und Humanität getragener Einsatz war absolut bedingungslos und radikal.
Das Jubiläumsjahr bietet eine Chance des nachhaltigen Bedenkens dieses zutiefst humanen Anliegens in einer Zeit, in der genau dieses Element in der Versorgung des Patienten inmitten gesundheitspolitischer Sparkonzepte und betriebswirtschaftlich orientierten Krankenhausmanagements abhandenzukommen droht. Ein Element, das tatsächlich elementar ist, scheint zur Disposition gestellt zu werden. Die Medizin sieht den Patienten als Träger einer bestimmten Krankheit (disease), und sie ist seit dem 19. Jahrhundert mehr und mehr in der Lage, ihm wirksam zu helfen. Nun ist es an der Zeit, den weithin verlorenen, ganzheitlichen Blick auf den Kranken als Aegrotus zurückzugewinnen. Es ist dringend zu wünschen, dass wir gerade auch in dieser Hinsicht von der heiligen Elisabeth „bewegt“ werden mögen. Der Dienst am Kranken in ihrem Geist hat seinen Preis, denn es handelt sich um ein wertvolles Gut. Wir sollten die Kosten für dieses Gut konsequent und bedingungslos einplanen.

Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2007; 104(51–52): A 3529–32
Anschrift der Verfasserin
Prof. Dr. phil. Irmtraut Sahmland
Emil-von-Behring-Bibliothek für Geschichte und Ethik der Medizin
Philipps-Universität Marburg
Bahnhofstraße 7
35037 Marburg

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