ArchivDeutsches Ärzteblatt3/2008Arzneimittelrabatte: Neue Verträge für Originalpräparate

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Arzneimittelrabatte: Neue Verträge für Originalpräparate

Blöß, Timo

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Foto: KEYSTONE
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Nach noch nicht einmal neun Monaten haben Rabattverträge die Generika-
branche ordentlich umgekrempelt. Verstärkt halten Rabatte nun auch Einzug
bei patentgeschützten Arzneimitteln – mit innovativen Verträgen.
Seit Tagen wird über Sinn oder Unsinn des von der Regierung geplanten Gesundheitsfonds und dem damit verbundenen Einheitsbeitrag gestritten. Fest steht: Kommt der Fonds, nehmen Konkurrenz und Wettbewerbsdruck unter den Kassen erheblich zu. Entsprechend sind AOK, Barmer & Co. bemüht, sich schon jetzt gut aufzustellen. Ein Mittel sind dabei mit den Pharmafirmen ausgehandelte Rabattverträge für Generika.
Erst seit April letzten Jahres gesetzlich zulässig, ist deren Zahl sprunghaft gestiegen. Mehr als 7 500 Verträge gibt es derzeit. Einen Preisnachlass bekommen die Kassen damit bei circa 17 000 generischen Arzneimitteln. Während Generikarabatte zurzeit vor allem durch juristische Auseinandersetzungen über Auschreibepflichten Aufsehen erregen, gehen erste Kassen schon den nächsten Schritt. Mit Rabattverträgen wagen sie sich an den 16 Milliarden Euro schweren Markt für patentgeschützte Originalpräparate heran.
Noch gibt es erst ein rundes Dutzend Rabattverträge für die innovativen Arzneimittel. „Aber von der Tendenz her nimmt es zu“, sagt Rolf Fricker, Geschäftsführer und Pharmaexperte der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton. Seit Oktober 2007 etwa gewährt der Pharmakonzern Pfizer der Deutschen BKK Rabatte für den Cholesterinsenker Sortis. Versicherte bekommen das Medikament somit erstattet und sparen sich die normalerweise anfallende Zuzahlung von bis zu 100 Euro pro Packung.

Arzneimittel mit „Geld-zurück-Garantie“
Aber auch für Pfizer lohnt sich das Geschäft. Die Absatzzahlen steigen, und der Konzern musste den hohen Listenpreis für Sortis in Deutschland nicht senken. Dieser ist als Referenzpreis für die Auslandsmärkte wichtig. Auch für Ärzte biete der Vertrag Vorteile, ist der Arzneimittelexperte von der Deutschen BKK, Andreas Manthey, überzeugt: „Sie können Sortis weiter verschreiben und so Umstellungen und Irritationen bei den Patienten vermeiden.“ Bei Pfizer sollen dem Sortis-Rabatt-Vertrag, den man lieber „Versorgungsvertrag“ nennt, weitere folgen. Man sei mit vielen Kassen im Gespräch, sagt der Leiter der Abteilung „Access“ bei Pfizer Deutschland, Klaus Schlüter.
Interessant für die forschenden Arzneimittelhersteller sind Rabattverträge auch, wenn ihre Produkte durch geänderte Arzneimittelrichtlinien unter Druck geraten oder der Patentschutz bald ausläuft. Profitieren konnte davon die AOK Rheinland/Hamburg. Sie hat mit dem Arzneimittelhersteller Janssen-Cilag im März letzten Jahres einen Rabattvertrag für das Arzneimittel Risperdal ausgehandelt, dessen Patentschutz Ende Dezember 2007 ausgelaufen ist. Risperdal wird für die Behandlung von Patienten mit Schizophrenie oder schweren Verhaltensstörungen angewandt.
Für Bernd Voss, Pharmazeut und Mitglied der Vertragsabteilung der AOK, hat das zwei Vorteile: Zum einen bekomme man Rabatt für das in der AOK Rheinland/Hamburg umsatzstärkste Medikament. Rund ein Drittel der jährlich durch Risperdal anfallenden Kosten von zwölf Millionen Euro sollte der Vertrag für 2007 einsparen. Zum anderen „müssen Ärzte nach dem Generika-Eintritt von Risperdal ihre Patienten nicht umstellen. Sie können sehr wirtschaftlich das Originalpräparat weiter verordnen“, sagt Voss.

Absatzgarantie durch Verhandlungspfade
Zunehmend werden die Rabatte bei patentgeschützten Originalpräparaten auch in komplexere Vertragsmodelle eingebettet, zum Beispiel in sogenannte Risk-sharing-Ansätze: Bleibt der erwartete Therapieerfolg aus, verzichtet der Arzneimittelhersteller auf den Umsatz. Die Geld-zurück-Garantie, die man bisher eher von Milchprodukten oder Jeanshosen kennt, haben der Pharmakonzern Novartis, die Barmer Ersatzkasse und die DAK mit dem Osteoporosemittel Aclasta ins deutsche Gesundheitswesen eingeführt. Treten trotz Anwendung des Medikaments innerhalb eines Jahres Knochenbrüche auf, will Novartis die Kosten für das Medikament in voller Höhe erstatten. Mit der DAK hat Novartis einen ähnlichen Vertrag über drei Immunsuppressiva nach Nierentransplantationen geschlossen.
Obwohl erste Verträge auf dem Weg sind – noch gibt es Hürden aus dem Weg zu räumen. Größtes Problem für die Hersteller ist, dass ihnen die Kassen eine Mengenausweitung nur schwer garantieren können. „Lukrativ werden die Verträge für die Hersteller aber erst, wenn sie die gesunkenen Preise über einen gestiegenen Absatz kompensieren können“, sagt der Arzneimittelexperte Prof. Gerd Glaeske. Ein Weg, Mengenzuwächse sicherzustellen, seien Arzneimittellisten im Rahmen der integrierten Versorgung. Erst dann hätten auch die Kassen etwas davon, weil mit steigendem Absatz auch die Rabattsätze steigen.
Einen entsprechenden Modellversuch hat die Deutsche BKK gestartet. Für Patienten mit Sodbrennen hat die Kasse mit der Netzallianz Südniedersachsen und dem Hartmannbund einen Behandlungspfad entwickelt, in dem festlegt ist, wann die Patienten ein Medikament erhalten sollen. Mit dem Pharmaunternehmen Astra Zeneca wur-den passend dazu Rabatte für das patentgeschützte Magenmittel Antra ausgehandelt. Rund 700 Ärzte nehmen in der Region an dem Modell teil.
Die Verhandlungsposition der Kassen bei den Originalpräparaten sei deutlich schlechter als bei den Generika, sagt Manthey von der Deutschen BKK. „Darum müssen wir den Unternehmen garantieren, dass ihr Medikament vermehrt verschrieben wird. Mit den Behandlungspfaden können wir das erreichen.“ Die BKK will darum die Zusammenarbeit mit Herstellern und Ärztenetzen ausbauen. Im Landkreis Gifhorn besteht ein weiterer Behandlungspfad für Bluthochdruck, flankiert von einem Rabattvertrag. Verhandlungen für ähnliche Modelle in Wolfsburg und Braunschweig laufen. „Wenn solche Verträge vorhanden sind, ist die Umsetzung der Vereinbarungen in den Arztpraxen gut gewährleistet“, findet auch der Pfizer-Experte Schlüter.

Ärzte müssen integriert sein
Auch für den Booz-Allen-HamiltonBerater Fricker liegt die Zukunft in der Einbindung der Ärzte. Vermehrt entdecke die Pharmaindustrie die „strategischen Möglichkeiten“, die sich aus neuen Modellen für sie ergeben könnten, wie etwa aus dem geplanten Hausarztvertrag der AOK Baden-Württemberg mit MEDI und dem Hausärzteverband. „Hier wird der Kreis zwischen Herstellern, Kassen und Ärzten geschlossen“, so Fricker. Damit die Verträge für die Industrie lukrativ sind, müssten die teilnehmenden Ärzte dabei „schadlos“ gehalten werden. „Sie müssen Handlungssicherheit durch Therapierichtlinien bekommen, und Budgetdruck sowie Regresse müssen wegfallen – erst dann haben wir eine Win-win-Situation.“ Immerhin: bei der Wirtschaftschaftlichkeitsprüfung werden die Arzneimittelkosten in den gängigen Modellen um die Rabattpreise korrigiert.
Ein wesentlicher Ansatzpunkt, Arzneimittelkosten zu sparen, könnte künftig auch sein, die falsche Anwendung von Medikamenten zu verhindern. Versorgungsforscher Glaeske geht davon aus, dass 15 bis 20 Prozent der Arzneimittel hierzulande falsch angewandt werden. Glaeskes Schätzungen zufolge belasten die ungenügende Behandlung und die Nebenwirkungen das deutsche Gesundheitswesen mit jährlich drei bis fünf Milliarden Euro. „Wichtiger, als an der Preisschraube zu drehen“, sagt der Unternehmensberater Fricker, „ist es, die Compliance der Patienten zu erhöhen.“ Darum könnten in Zukunft verstärkt sogenannte Mehrwertverträge in den Blickpunkt geraten.
Bei diesen Verträgen, die sich vor allem für chronische Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Atemwegserkrankungen anbieten, geben die Hersteller den Kassen geringere Rabatte. Im Gegenzug bieten sie zusätzliche Dienstleistungen wie Ernährungsberatung, Raucherentwöhnungskurse oder Labortests an. Gut vorstellbar seien Mehrwertverträge auch in der Onkologie, sagt Pfizer-Mitarbeiter Schlüter: „Dort ist es sinnvoll, zu Kooperationen zu kommen, bei denen die Hersteller die Krankenkassen unterstützen, die Compliance zu fördern, etwa über Reminder-Funktionen oder Schulungen.“
Wie viel die gesetzlichen Krankenkassen durch die Rabattverträge bei patentgeschützten Arzneien sparen werden können, lässt sich schwer abschätzen. „Einsparungen wird es geben, aber keine erdrutschartigen wie bei den Generika“, ist Schlüter überzeugt. Dennoch ist er sicher, dass solche Vereinbarungen für seinen Konzern künftig „ein Standbein des Geschäfts“ sein werden. Ähnlich sieht das auch Fricker von Booz Allen Hamilton: „Durch den Gesundheitsfonds stehen die Zeichen auf Sturm, die Kassen müssen weiter sparen.“ Die Rabattverträge seien hier ein probates Mittel. Für die Zukunft sieht er 25 bis 30 Prozent der innovativen Präparate in Kooperationsverträgen, vor allem die, bei denen der Patentschutz vor dem Ablauf steht. „Je mehr Erfahrungen aber mit dem Instrument Rabattvertrag gemacht werden, desto mehr neu auf dem Markt befindliche Medikamente werden mit einbezogen.“
Timo Blöß

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