ArchivDeutsches Ärzteblatt8/2008Hausärztemangel in Sachsen: Die Angst vor dem Risiko

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Hausärztemangel in Sachsen: Die Angst vor dem Risiko

Müller, Anke

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Ortstermin in der Hausarztpraxis von Michael Putzmann: „Wenn jetzt nichts passiert, dann haben wir hier in den kommenden Jahren richtige Probleme“, sagt Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (r.) zum Thema Hausärztemangel. Foto: STAR-MEDIA
Ortstermin in der Hausarztpraxis von Michael Putzmann: „Wenn jetzt nichts passiert, dann haben wir hier in den kommenden Jahren richtige Probleme“, sagt Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (r.) zum Thema Hausärztemangel. Foto: STAR-MEDIA
Investitionszuschüsse der Kassenärztlichen Vereinigung sollen Hausärztinnen und Hausärzten eine Niederlassung auch in strukturschwachen Regionen schmackhaft machen.

In unserer Praxis spielen sich dramatische Szenen ab. Wir erleben Weinausbrüche ebenso wie Wutanfälle“, berichtet Dipl.-Med. Petra Hönigschmid. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin betreibt seit 1991 im sächsischen Torgau eine Praxis. Zum 15. März gehen dort zwei Hausärzte endgültig in Rente, im Herbst noch einer – und im kommenden Jahr die nächsten zwei. Hunderte Patienten wissen nicht, wohin. Hönigschmid kann sie nicht alle aufnehmen.

Noch gibt es im Freistaat, jedenfalls laut Statistik, keine unterversorgten Gebiete. Die Patienten sehen das mittlerweile anders, und auch die Politik zeigt sich alarmiert. Denn in Sachsen gehen bis 2012 mehr als 40 Prozent der niedergelassenen Allgemeinmediziner in Rente. „Wenn jetzt nichts passiert, dann haben wir hier in den kommenden Jahren richtige Probleme“, erklärt Ministerpräsident Georg Milbradt. Denn ohne Hausärzte werde „das System nicht billiger, sondern richtig teuer“. Der Anteil der älteren Bürger, bundesweit derzeit bei 25 Prozent, liege in Sachsen schon bei 30 Prozent. „Und ältere Patienten brauchen mehr ärztlichen Beistand“, so Milbradt. „Das Problem ist nicht, dass wir zu wenig Ärzte haben, sondern, dass ihre Verteilung im Raum nicht funktioniert.“ Sachsen leiste sich zwei große medizinische Fakultäten – an der Universität Leipzig und an der TU Dresden: „Wir bilden deutlich mehr Ärzte aus, als wir brauchen. Im Land bleiben aber weit weniger als notwendig.“

In den fünf neuen Bundesländern werden bis 2010 allein 3 500 Hausärzte altersbedingt ihre Praxis aufgeben. Niemand will die Praxen haben. Denn vielen Medizinern ist das wirtschaftliche Risiko zu groß, sich in einer strukturschwachen Region niederzulassen. „Es ist sinnlos, Anzeigen in der Fachpresse zu schalten. Es kommt ja doch keiner“, berichtet Dr. med. Klaus-Peter Heidemann aus Oschatz. Er wird in diesem Jahr 68 Jahre alt und muss deshalb seine Praxis abgeben. Seinen Nachfolger hat er dennoch gefunden. Denn Heidemann, ganz Landarzt alter Schule, besucht seine Patienten auch im Krankenhaus. Dabei ist ihm in der Collm-Klinik Oschatz ein freundlicher und kompetenter junger Kollege aufgefallen. „Ich habe ihn überredet“, schmunzelt Heidemann: Im Oktober 2007 hat Michael Putzmann, Facharzt für Innere Medizin, schließlich seine Praxis übernommen.

Mit dem Start ist er nicht unzufrieden. Putzmann hat die Praxis aus dem Stadtzentrum in ein Gewerbegebiet am Stadtrand verlegt – 140 Quadratmeter, drei Sprechzimmer, modern ausgestattet. Die Bushaltestelle befindet sich direkt vor der Tür. Für die Praxisübernahme zahlt ihm die KV 60 000 Euro Investitionszulage, verteilt über fünf Jahre. „Ohne diese Zuschüsse hätte ich die Praxis nicht so ausgebaut und noch mehr Angst gehabt, dass das Geld letzten Endes nicht ausreicht“, sagt Putzmann. „Ich will ja nicht reich werden, aber ich muss zumindest die Kosten erwirtschaften. So viel wie in der Klinik werde ich in der Praxis wohl nicht verdienen.“ Und das, obwohl er 70 bis 120 Patienten am Tag behandelt.

Die Abrechnungsstatistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bestätigt: In Ostdeutschland betreuen die Ärzte durchschnittlich ein Drittel mehr Patienten. Doch pro Fall verdienen sie 27,2 Prozent weniger als ihre Kollegen in den alten Bundesländern. Die sächsische Landesregierung mahnt daher dringend Veränderungen bei der Bezahlung der niedergelassenen Ärzte an. Ministerpräsident Milbradt sieht keine sachlichen Gründe mehr für „Ost-Abschläge“.

Die Ärzte aber sehen noch andere Gründe dafür, dass die jungen Kollegen wenig Lust haben, sich als Hausarzt niederzulassen. „Wir ersticken im Papier“, klagt die Allgemeinärztin Hönigschmid. „Die Bürokratie frisst immer mehr Zeit, die uns dann für die Arbeit am Patienten fehlt.“ Anke Müller

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