ArchivDeutsches Ärzteblatt PP3/2008Diskussion um die Wirksamkeit von Antidepressiva

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Diskussion um die Wirksamkeit von Antidepressiva

rme/zyl

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LNSLNS „Auf die Pharmakotherapie von Depressionen kann man im Interesse der Betroffenen nicht verzichten“, so reagiert die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) auf die Ergebnisse einer Studie von Irving Kirsch und Mitarbeitern (Hull/Großbritannen). Ihre Metaanalyse kommt in „PLoS Medicine“ (2008; 5: e45) auf der Basis von Dokumenten der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA – darunter unveröffentlichten Studien – zu dem Resümee, dass die neueren Antidepressiva allenfalls bei sehr schweren Depressionen stärker wirken als Placebo.

Vonseiten der FDA und des britischen National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE), das jüngst eine positive Bewertung der Arzneimittel vorgenommen hat, liegen keine Stellungnahmen vor. Kirsch hat die Daten von Antidepressiva analysiert, die zwischen 1989 und 1999 zugelassen worden waren: Fluoxetin, Paroxetin, Venlafaxin und Nefazodon. Die Analyse beruht auf 35 Studien, in denen die Medikamente oder Placebo nur etwa sechs Wochen lang gegeben wurden. Danach entspricht die Placebowirkung in etwa 80 Prozent der Wirkung der modernen und als leistungsstark eingestuften Medikamente.

NICE: Empfehlungen evidenzbasiert
Überraschend war auch eine u-förmige Wirkungskurve, nach der die Medikamente bei einem Schweregrad der Depression von etwa 26 auf der Hamilton Rating Scale of Depression (HRSD) die beste Wirkung erzielten. Ein Unterschied zu Placebo ergab sich erst ab einem HRSD-Wert von 28. Hierzu muss man wissen, dass Psychiater ab einem HRSD-Wert von über 18 von einer schweren Depression sprechen. Für diese Patienten halten sowohl die FDA als auch das NICE eine Behandlung mit Antidepressiva für indiziert. Hinzu kommt, dass Kirsch für die Wirksamkeit ein Kriterium anwendete, das NICE entwickelt hat. Es fordert einen Rückgang des HRSD um mindestens drei Punkte im Vergleich zu Placebo.

NICE betrachtet seine Empfehlungen als evidenzbasiert, und die FDA erhebt den Anspruch, dass sie nur Medikamente zulässt, die besser wirken als Placebo. Die Ergebnisse der Metaanalyse sind deshalb ein direkter Angriff auf die Einschätzung der beiden Behörden.Für den Präsidenten der DGPPN, Prof. Dr. Wolfgang Gaebel (Düsseldorf), bleibt es trotz aller Diskussionen um die Wirksamkeit von Antidepressiva selbstverständlich, dass in jedem Einzelfall die Indikation zur Behandlung mit einem Antidepressivum sorgfältig abzuwägen ist. rme/zyl

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