

Täglich pendeln Millionen Berufstätige mit dem Auto oder mit der Bahn zu ihrem Arbeitsplatz. Beim Pendeln geht es jedoch nicht nur darum, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, sondern zum Beispiel auch zu planen, mit welchem Verkehrsmittel man am schnells-ten, günstigsten oder sichersten unterwegs ist, flexibel zu reagieren, wenn das Verkehrsmittel durch Staus, Streiks, Unwetter oder Defekte ausfällt oder dafür zu sorgen, dass sich jemand um die Angelegenheiten zu Hause kümmert, solange man außer Haus ist. Letzteres ist oft nur möglich, wenn der Partner des Pendlers am Hauptwohnsitz alles organisiert, Hausarbeit und Kindererziehung weitgehend übernimmt und darüber hinaus bereit ist, unter der Woche auf gemeinsame Zeit mit dem Partner zu verzichten.
Frauen hält zu Hause kaum jemand den Rücken frei
Während männliche Pendler in der Regel solche Unterstützung durch ihre Partnerin erhalten, hält weiblichen Pendlern kaum jemand den Rücken frei. Sie schultern die vielfältigen Belastungen durch Familie, Haushalt, Beruf und Pendeln entweder selbst, oder sie verzichten weitgehend auf ein Privatleben und widmen sich ausschließlich dem Beruf. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Berufsmobilität und Lebensform“, die von Soziologen der Universität Mainz durchgeführt und mit Mitteln des Bundesfamilienministeriums und des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit, Familie, Frauen und Jugend gefördert wurde. Im Rahmen der Studie wurden 900 Interviews mit Pendlern und ihren Lebenspartnern sowie knapp 200 Interviews mit nicht pendelnden Personen im Alter zwischen 20 und 59 Jahren durchgeführt. Der Projektleiter, Prof. Norbert Schneider, und seine Kollegen ermittelten dabei unter anderem folgende Mobilitätsformen:
- Fernpendler: Berufspendler mit einem täglichen einfachen Arbeitsweg von mindestens einer Stunde
- Wochenendpendler fahren montags zum Arbeitsplatz und leben die Woche über an ihrem Zweitwohnsitz in der Nähe des Arbeitsplatzes. Am Wochenende fahren sie zu ihrem Hauptwohnsitz
- Fernbeziehungen: Partnerschaften mit zwei getrennten Haushalten in verschiedenen Städten
- Varimobile: Der Beruf dieser Personen erfordert den Einsatz an unterschiedlichen Orten (zum Beispiel Vertreter, Flugpersonal, Reiseführer). Damit ist eine mehrtätige Abwesenheit vom Hauptwohnsitz verbunden
- Umzugsmobile: Paare beziehungsweise Familien, die am gemeinsamen Haushalt festhalten und sich bei beruflichen Mobilitätserfordernissen zu einer Verlagerung ihres Hauptwohnsitzes entscheiden
- Ortsfeste: Paare, die bislang nicht mit beruflichen Mobilitätserfordernissen konfrontiert und noch nie mobil waren
- Verweigerer: Paare, die berufliche Mobilitätserfordernisse zum Teil unter Verzicht auf eine berufliche Karriere zugunsten der Familie zurückgewiesen haben.
Mit den verschiedenen Mobilitätsformen gingen spezifische Anforderungen und Belastungen für das Privatleben einher. Bei Pendlern, die viel Zeit auswärts verbrachten, wie etwa Wochenendpendler, Fernbeziehungen und Varimobile, schlichen sich Entfremdung, Misstrauen und Konflikte in die Partnerschaft ein. Darüber hinaus waren viele Partner dieser Pendler den Mehrfachbelastungen im Alltag und der ständigen Anforderung, alles allein bewältigen zu müssen, auf Dauer nicht gewachsen. Aber auch die Pendler litten unter der Trennung von ihren Familien und ihrem sozialen Umfeld sowie unter der häufigen Abwesenheit von Zuhause. Sie fühlten sich ruhelos, entwurzelt und oft auch einsam, obwohl sie dank Internet und Handy in Kontakt mit ihren Angehörigen standen. Darüber hinaus hatten sie das Gefühl des chronischen Zeitmangels: Sie fanden weder genügend Zeit für ihre Partner und Kinder noch für sich selbst, was auf Kosten des Familienlebens und der eigenen Entspannung und Erholung ging.
Große Verlierer sind Wochenend- und Fernpendler
Beim Vergleich der mobilen mit den nicht mobilen Lebensformen zeigte sich, dass die Umzugsmobilen, Ortsfesten und Verweigerer mit den geringsten Belastungen hinsichtlich Partnerschaft, Familienleben, sozialer Integration und Beruf einhergingen. Für die Varimobilen und Fernbeziehungen standen positive Auswirkungen im Beruf den nachteiligen Folgen in Familie und Partnerschaft gegenüber. Die Wochenend- und Fernpendler erwiesen sich als die großen Verlierer. Hier überwogen eindeutig die negativen Folgen für Familie und Partnerschaft und insbesondere für das individuelle Wohlbefinden. Diesen Nachteilen standen oftmals kaum positive Auswirkungen finanzieller oder beruflicher Art gegenüber.
Ob das Pendeln selbst als Belas-tung erlebt wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. So zeigte eine Studie, die an der LMU München durchgeführt wurde, dass die Fahrtdauer ausschlaggebend ist: Je länger die Fahrt dauert, desto belas-tender wird sie in der Regel erlebt. Auch die Auslastung eines Verkehrsmittels spielt eine Rolle. Laut einer Studie, an der 1 167 italienische Berufspendler teilnahmen, ist die Überfüllung öffentlicher Verkehrsmittel ein wichtiger Belas-tungsfaktor. Als negative Faktoren gelten außerdem unvorhersehbare und unkontrollierbare Ereignisse wie Stürme, Streiks oder Staus, riskantes oder rücksichtsloses Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer sowie die Angst vor Ärger mit dem Chef wegen Zuspätkommens. Arbeitnehmer, die durch Pendeln stark belastet waren, wiesen am Arbeitsplatz erhöhte Müdigkeit, Konzentrationsmangel, Abnahme der Produktivität und höhere Fehlzeiten auf. Sie klagten außerdem häufiger als nicht pendelnde Kollegen über Schmerzen sowie über funktionelle und somatische Beschwerden, wobei Frauen und Schichtarbeiter besondere Risikogruppen darstellten.
Die Belastungen durch das Pendeln lassen sich jedoch reduzieren, wenn Warte- und Fahrtzeiten sinnvoll genutzt werden. „Pendler, die beispielsweise lasen oder arbeiteten, hatten weniger Pendlerstress und eine bessere Lebensqualität“, berichtet Dr. med. Steffen Häfner von einer Befragung unter Bahnpendlern auf den Bahnhöfen in Stuttgart und Ulm. Er weist darauf hin, dass das beruflich bedingte Pendeln einen erheblichen Stress-faktor darstellen kann, der aber in der wissenschaftlichen Forschung sowie in ambulanten und stationären Psychotherapien noch viel zu selten Berücksichtigung findet.
Dr. phil. Marion Sonnenmoser
Literatur
1. Gstalter H, Fastenmeier W: Beanspruchungen durch verschiedene Verkehrsmittel auf dem Arbeitsweg. In: von Benda H, Bratge D: Psychologie der Arbeitssicherheit. Heidelberg: Asanger 1998; 313–7.
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3. Häfner S, Kordy H, Kächele H: Psychosozialer Versorgungsbedarf bei Berufspendlern. Psychother Psychosom med Psychol 2001; 51: 373–6.
4. Koslowsky M: Commuting stress: Causes, effects, and methods of coping. New York: Plenum Press 1995.
5. Schneider NF, Limmer R, Ruckdeschel K: Mobil, flexibel, gebunden. Beruf und Familie in der mobilen Gesellschaft. Frankfurt/M.: Campus 2002.
6. Stadler P, Fastenmeier W, Gstalter H, Jochen L: Beeinträchtigt der Berufsverkehr das Wohlbefinden und die Gesundheit von Berufstätigen? Eine empirische Studie zu Belastungsfolgen durch den Berufsverkehr. Zeitschrift für Verkehrssicherheit 2000; 46(2): 56–66.
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