

Der Beitrag lässt viele Fragen offen. Auch wenn aussagekräftige Langzeitstudien fehlen, wurden weder intra- und interindividuelle Verläufe bei Ejaculatio praecox (EP), noch ob die Symptomatik abhängig vom jeweiligen Sexualpartner oder von der „Tagesform“ ist, diskutiert. Ätiologisch wurden Disstress oder bestimmte Persönlichkeitsprofile ebenso wenig hinterfragt wie Aspekte, ob EP Ursache und/oder Wirkung einer erst auf den zweiten Blick problematischen Paarinteraktion ist, beziehungsweise ob die Symptomatik regelhaft oder beim selben Mann auch bei der Masturbation auftritt. Welchen Einfluss hat eine Zirkumzision? Bei den Regionen mit angeblich hoher Prävalenz an EP wie Südamerika und Asien handelt es sich eher um Macho-Gesellschaften, als dass ausgerechnet dort „der weibliche Orgasmus besonders in den Mittelpunkt gestellt“ würde, wie dies die Autoren behaupten. Sollte die hohe Prävalenzrate von weltweit 30 % (
1) und mehr zutreffen, könnte es sich auch um eine physiologische Normvariante handeln. Dieser einen Krankheitswert zu suggerieren, um damit womöglich eine kassenfinanzierte (psycho-)therapeutisch-pharmakologische Intervention zu begründen, darf kritisch hinterfragt werden (
2). Dass die menschliche Sexualität facettenreicher und subtiler sein kann (
3) als es der kopulative Akt abzubilden vermag, wird von den Autoren nicht erwähnt. Mit einer derartigen Sichtweise kann der auch zeitgeist- und temperamentsbedingte Leidensdruck vieler Männer sogar verstärkt werden. Die Fortpflanzungsfähigkeit des Mannes scheint durch EP nicht nennenswert beeinträchtigt zu sein. In Zeiten weltweit hoher Promiskuität kann eine EP fortpflanzungsstrategisch vielleicht auch ein Vorteil sein, pointiert formuliert nach dem Prinzip „der frühe Vogel fängt den Wurm“. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0222a
Dr. med. Dr. rer. nat. Michael G. Haufs
Gluckweg 31, 48147 Münster
Christian Gruhn
Königstraße 12, 48143 Münster
1.
Carsson CC, Glasser DB, Laumann EO et al.: Prevalence and correlates of premature ejaculation among men aged 40 years and older: a United States nationwide population-based study. J Urol 2003; 169: 321.
2.
Zamel G: Probleme der Medikalisierung sexueller Störungen. In: Strauß B (Hrsg.): Psychotherapie der Sexualstörungen. Krankheitsmodelle und Therapiepraxis–störungsspezifisch und schulenübergreifend. Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag 2004; 38–49.
3.
Sigusch V: Praktische Sexualmedizin. Eine Einführung. Köln: Deutscher Ärzteverlag 2005; 1. Auflage; 1–15.
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