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Einsatz im Hochland von Guatemala: Gefangen im Teufelskreis von Bildungsarmut und Krankheit


Oft der einzige
Zugang zu medizinischer
Betreuung:
Matthias K. Bernhard
praktiziert
in einer spärlich
eingerichteten
Tagesambulanz. Fotos: privat
Tropische Regenwälder, im fast perfekten Konus bis 4 000 Metern Höhe aufsteigende Vulkane, tiefblaue Seen, die von pittoresken Dörfern umrahmt werden. Frauen in der traditionellen farbenfrohen Tracht, fröhlich lachende und winkende Kinder, bunt bemalte Busse. Dem Besucher, der das erste Mal nach Guatemala reist, stellt sich auf den ersten Blick ein paradiesisch anmutendes Bild dar.
Für die große Mehrheit der 13 Millionen Einwohner des im Schatten der nordamerikanischen Supermacht aufstrebenden Entwicklungslands sind die Lebensbedingungen aber nach wie vor sehr schlecht. Die medizinische Versorgung in den großen Städten ist auf exzellentem westlichem Niveau – für die Ober- und Mittelschicht des Landes, die aber lediglich 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Für die übrigen 80 Prozent der Einwohner, die überwiegend von der Landbevölkerung gestellt werden, sieht die sozioökonomische Statistik jedoch weiterhin katastrophal aus. So hatten zum Beispiel im Jahr 2006 in der Provinz Alta Verapaz 20 Prozent der Menschen überhaupt keinen Zugang zu medizinischer Versorgung bei einer landesweiten Arztdichte von nur 0,9 je 1 000 Einwohner. 52 Prozent der Gesamtbevölkerung hatten im Haus kein fließendes Wasser, 24 Prozent waren unterernährt, 49 Prozent der Kinder mangelernährt, und nur zehn Prozent der Familien besaßen eine Renten- oder Krankenversicherung. Dazu muss man wissen: In Guatemala herrschte ab 1960 ein Bürgerkrieg, der erst 1996 durch die Unterzeichnung eines Friedensvertrags formell für beendet erklärt wurde.
Zusammen mit John Bodoh fahre ich ins Hochland im Norden. John, ein US-Amerikaner, gründete vor sieben Jahren GSSG (Guatemalan Student Support Group), eine Hilfsorganisation, die als Hauptziel Schülern aus armen, indigenen Familien eine Schulausbildung und ein Studium ermöglicht. Meine Aufgabe der nächsten Wochen wird vorrangig die Gesundheitsuntersuchung der Schülerinnen und Schüler sowie die medizinische Unterstützung der Familien sein.
In San Lucas Tolimán arbeiten wir in der clínica mit. Das kleine Missionskrankenhaus wurde vor fast 40 Jahren gegründet, seit sieben Jahren gibt es hier auch endlich einen festangestellten Arzt. Dr. Thun, selbst aus bitterer Armut stammend, kümmert sich Tag für Tag aufopfernd um die kleine Station mit zehn Betten und betreut etwa 30 bis 50 ambulante Patienten täglich.
Im zwei- bis dreiwöchigen Abstand werden die im Umkreis von etwa 30 Kilometern liegenden Bergdörfer im Rahmen einer „Rolling clinic“ besucht. Für viele arme Landarbeiter oder die Mütter, die Familien versorgen müssen, ist das oft der einzige Zugang zu einer medizinischen Betreuung. Zwei Transportkisten mit Basismedikamenten und Verbandsmaterial, ein paar Stühle, Blutzucker- und Blutdruckmessgerät, Stethoskop und Urin-Stix bilden die Ausstattung der Tagesambulanz. Die Mehrheit der Patienten leidet an Bronchitiden, Pneumonien, Enteritiden, Hautinfektionen und sehr häufig an Muskelschmerzen und -krämpfen infolge der harten körperlichen Arbeit.
Blick ins Ungewisse:
Ohne weiterführende
Bildung
gibt es kaum Chancen,
den Teufelskreis
von Armut und
Krankheit zu durchbrechen.
In einer nur wenige Quadratmeter großen Hütte am Ortsrand von San Cristóbal besuchen wir Alonzo. Der 16-jährige Junge wurde bereits mehrere Jahre im GSSG-Programm gefördert, sein Highschool-Abschluss steht bevor. Seine Mutter, 35 Jahre alt, leidet seit kurzer Zeit an einer schweren Herzinsuffizienz infolge eines mangels Geld nie operierten Ventrikelseptumdefekts. Alonzo musste die Schule verlassen, um als Tagelöhner etwas Geld für Medikamente, Essen und Pflege der Mutter zu verdienen.
Die Probleme der armen Bevölkerung drehen sich so oft im Kreis: unzureichende Bildung – geringes Einkommen – Erkrankung eines Familienmitglieds – fehlendes Geld für ärztliche Behandlung – Kinder- arbeit – keine weiterführende Bildung. Im Ergebnis hat Guatemala eine sehr hohe Analphabetenrate von rund 30 Prozent.
Eine deutsche Pharmafirma zeigte sich erfreulicherweise bereit, die antikonvulsiven Medikamente für Hans zu spenden. Eine Therapieeinstellung per Postweg von Deutschland nach Guatemala gelang, sodass der Junge mittlerweile anfallsfrei ist. Er kann wieder die Schule besuchen – wenigstens ein Kind, das die Chance hat, dem Teufelskreis der Armut in dem zentralamerikanischen Land südlich der Halbinsel Yucatán entrinnen zu können.
Weitere Informationen über finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten und eine Projektmitarbeit in der Guatemalan Student Support Group sind beim Autor erhältlich.
Dr. med. Matthias K. Bernhard
E-Mail: Matthias.Bernhard@medizin.uni-leipzig.de