BEKANNTGABEN DER HERAUSGEBER: Kassenärztliche Bundesvereinigung
Bekanntmachungen: Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Erstfassung der Richtlinie zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung vom 20. Dezember 2007


I. Die SAPV-Richtlinie wird wie folgt gefasst:
Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses
zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgungs-Richtlinie/SAPV-RL)
§ 1 Grundlagen und Ziele
(1) 1Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung gemäß § 37 b SGB V (SAPV) dient dem Ziel, die Lebensqualität und die Selbstbestimmung schwerstkranker Menschen zu erhalten, zu fördern und zu verbessern und ihnen ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod in ihrer vertrauten häuslichen Umgebung oder in stationären Pflegeeinrichtungen (§ 72 Abs. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XI) zu ermöglichen. 2Im Vordergrund steht anstelle eines kurativen Ansatzes die medizinisch-pflegerische Zielsetzung, Symptome und Leiden einzelfallgerecht zu lindern.
(2) Den besonderen Belangen von Kindern ist Rechnung zu tragen.
(3) 1Die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Patientin oder des Patienten sowie die Belange ihrer oder seiner vertrauten Personen stehen im Mittelpunkt der Versorgung. 2Der Patientenwille, der auch durch Patientenverfügungen zum Ausdruck kommen kann, ist zu beachten.
(4) 1Die SAPV ergänzt das bestehende Versorgungsangebot, insbesondere das der Vertragsärzte, Krankenhäuser und Pflegedienste. 2Sie kann als alleinige Beratungsleistung, additiv unterstützende Teilversorgung oder vollständige Patientenbetreuung erbracht werden. 3Andere Sozialleistungsansprüche bleiben unberührt.
§ 2 Anspruchsvoraussetzungen
Versicherte haben Anspruch auf SAPV, wenn
1. sie an einer nicht heilbaren, fortschreitenden und so weit fortgeschrittenen Erkrankung leiden, dass dadurch ihre Lebenserwartung begrenzt ist (§ 3) und
2. sie unter Berücksichtigung der in § 1 genannten Ziele eine besonders aufwendige Versorgung (§ 4) benötigen, die nach den medizinischen und pflegerischen Erfordernissen auch ambulant oder in stationären Pflegeeinrichtungen (§ 72 SGB XI) erbracht werden kann.
§ 3 Anforderungen an die Erkrankungen
(1) Eine Erkrankung ist nicht heilbar, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse Behandlungsmaßnahmen nicht zur Beseitigung dieser Erkrankung führen können.
(2) Sie ist fortschreitend, wenn ihr Verlauf trotz medizinischer Maßnahmen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht nachhaltig aufgehalten werden kann.
(3) 1Eine Erkrankung ist weit fortgeschritten, wenn die Verbesserung von Symptomatik und Lebensqualität sowie die psychosoziale Betreuung im Vordergrund der Versorgung stehen und nach begründeter Einschätzung der verordnenden Ärztin oder des verordnenden Arztes die Lebenserwartung auf Tage, Wochen oder Monate gesunken ist. 2Insbesondere bei Kindern sind die Voraussetzungen für die SAPV als Krisenintervention auch bei einer länger prognostizierten Lebenserwartung erfüllt.
§ 4 Besonders aufwendige Versorgung
1Bedarf nach einer besonders aufwendigen Versorgung besteht, soweit die anderweitigen ambulanten Versorgungsformen sowie ggf. die Leistungen des ambulanten Hospizdienstes nicht oder nur unter besonderer Koordination ausreichen würden, um die Ziele nach § 1 Abs. 1 zu erreichen. 2Anhaltspunkt dafür ist das Vorliegen eines komplexen Symptomgeschehens, dessen Behandlung spezifische palliativmedizinische und/oder palliativpflegerische Kenntnisse und Erfahrungen sowie ein interdisziplinär, insbesondere zwischen Ärzten und Pflegekräften in besonderem Maß abgestimmtes Konzept voraussetzt. 3Ein Symptomgeschehen ist in der Regel komplex, wenn mindestens eines der nachstehenden Kriterien erfüllt ist:
– ausgeprägte Schmerzsymptomatik
– ausgeprägte neurologische/psychiatrische/psychische Symptomatik
– ausgeprägte respiratorische/kardiale Symptomatik
– ausgeprägte gastrointestinale Symptomatik
– ausgeprägte ulzerierende/exulzerierende Wunden oder Tumore
– ausgeprägte urogenitale Symptomatik
§ 5 Inhalt und Umfang der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung
(1) 1Die SAPV umfasst je nach Bedarf alle Leistungen der ambulanten Krankenbehandlung, soweit diese erforderlich sind, um die in § 1 Abs. 1 genannten Ziele zu erreichen. 2Sie umfasst zusätzlich die im Einzelfall erforderliche Koordination der diagnostischen, therapeutischen und pflegerischen Teilleistungen sowie die Beratung, Anleitung und Begleitung der verordnenden oder behandelnden Ärztin oder des verordnenden oder behandelnden Arztes sowie der sonstigen an der allgemeinen Versorgung beteiligten Leistungserbringer, der Patienten und ihrer Angehörigen durch Leistungserbringer nach § 132 d SGB V.
(2) 1SAPV wird ausschließlich von Leistungserbringern nach § 132 d SGB V erbracht. 2Sie wird nach Bedarf intermittierend oder durchgängig erbracht, soweit das bestehende ambulante Versorgungsangebot (§ 1 Abs. 4), insbesondere die allgemeine Palliativversorgung, nicht ausreicht, um die Ziele nach § 1 Abs. 1 zu erreichen. 3Sie kann dem jeweiligen aktuellen Versorgungsbedarf entsprechend als
– Beratungsleistung
– Koordination der Versorgung
– additiv unterstützende Teilversorgung
– vollständige Versorgung
erbracht werden. 4Die Leistungen müssen ausreichend und zweckmäßig sein, dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und sind wirtschaftlich zu erbringen.
(3) Inhalte der SAPV sind insbesondere:
– Koordination der spezialisierten palliativmedizinischen und palliativpflegerischen Versorgung unter Einbeziehung weiterer Berufsgruppen und von Hospizdiensten im Rahmen einer multiprofessionellen Zusammenarbeit
– Symptomlinderung durch Anwendung von Medikamenten oder anderen Maßnahmen
– apparative palliativmedizinische Behandlungsmaßnahmen (z. B. Medikamentenpumpe)
– palliativmedizinische Maßnahmen, die nach ihrer Art, Schwere oder Komplexität eine Kompetenz erfordern, die der einer Ärztin oder eines Arztes mit Zusatzweiterbildung Palliativmedizin entspricht
– spezialisierte palliativpflegerische Leistungen, die nach ihrer Art, Schwere oder Komplexität eine Kompetenz erfordern, die der einer Pflegefachkraft mit einer curricularen Weiterbildung zu Palliative Care entspricht
– Führung eines individuellen Behandlungsplans, vorbeugendes Krisenmanagement, Bedarfsinterventionen
– Ruf-, Notfall- und Kriseninterventionsbereitschaft rund um die Uhr für die im Rahmen der SAPV betreuten Patienten zur Sicherstellung der im Rahmen der SAPV erforderlichen Maßnahmen
– Beratung, Anleitung und Begleitung der Patienten und ihrer Angehörigen zur palliativen Versorgung einschließlich Unterstützung beim Umgang mit Sterben und Tod
– spezialisierte Beratung der betreuenden Leistungserbringer der Primärversorgung !
– psychosoziale Unterstützung im Umgang mit schweren Erkrankungen in enger Zusammenarbeit z. B. mit Seelsorge, Sozialarbeit und ambulanten Hospizdiensten
– Organisation regelmäßiger Fallbesprechungen
– Dokumentation und Evaluation der wesentlichen Maßnahmen im Rahmen der SAPV.
§ 6 Zusammenarbeit der Leistungserbringer
(1) 1Im Rahmen der SAPV ist zu gewährleisten, dass die an der Versorgung beteiligten Leistungserbringer die erforderlichen Maßnahmen aufeinander abgestimmt und bedarfsgerecht erbringen; die diesbezügliche Koordination ist sicherzustellen. 2Hierüber sind verbindliche Kooperationsvereinbarungen schriftlich oder mündlich zu treffen. 3Kooperationspartner ist auch der ambulante Hospizdienst, der auf Wunsch der Patientin oder des Patienten an der Versorgung beteiligt wird. 4Bei Bedarf und entsprechender Qualifikation kann die dauerbehandelnde Ärztin oder der dauerbehandelnde Arzt im Einzelfall Kooperationspartnerin oder Kooperationspartner werden. 5Das Nähere regeln die Verträge nach § 132 d SGB V.
(2) Die vorhandenen Versorgungsstrukturen sind zu beachten.
(3) Es ist zu gewährleisten, dass zwischen den an der Patientenversorgung beteiligten Leistungserbringern zeitnah alle notwendigen Informationen über die vorhergehende Behandlung unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Regelungen ausgetauscht werden.
(4) Bei der SAPV ist der ärztlich und pflegerisch erforderliche Entscheidungsspielraum für die Anpassung der Palliativversorgung an die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen.
(5) 1Für die notwendigen koordinativen Maßnahmen ist vernetztes Arbeiten innerhalb der gewachsenen Strukturen der Palliativversorgung unabdingbar. 2Dieses ist unter Berücksichtigung medizinischer, pflegerischer, physiotherapeutischer, psychologischer, psychosozialer und spiritueller Anforderungen zur lückenlosen Versorgung über die Sektorengrenzen hinweg zu fördern und auszubauen.
§ 7 Verordnung von SAPV
(1) 1SAPV wird von der behandelnden Vertragsärztin oder von dem behandelnden Vertragsarzt nach Maßgabe dieser Richtlinie verordnet. 2Satz 1 gilt für die Behandlung durch die Krankenhausärztin oder den Krankenhausarzt bei einer oder einem von ihr oder ihm ambulant versorgten Patientin oder Patienten entsprechend. 3Hält eine Krankenhausärztin oder ein Krankenhausarzt die Entlassung einer Patientin oder eines Patienten für möglich und ist aus ihrer oder seiner Sicht SAPV erforderlich, kann die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt die Verordnung ausstellen, längstens jedoch für sieben Tage.
(2) Die ärztliche Verordnung erfolgt auf einem zu vereinbarenden Vordruck, der der Leistungserbringung nach dem jeweiligen aktuellen Versorgungsbedarf (§ 5 Abs. 2) Rechnung zu tragen hat und Angaben zur Dauer der Verordnung enthält.
§ 8 Prüfung der Leistungsansprüche durch die Krankenkasse
1Die Krankenkasse übernimmt bis zu einer Entscheidung über die weitere Leistungserbringung die Kosten für
die verordneten und von den Leistungserbringern nach § 132 d SGB V erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132 d SGB V, wenn die Verordnung gemäß § 7 Abs. 2 spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird. 2Das Nähere regeln die Vertragspartner nach § 132 d SGB V.
II. Die SAPV-Richtlinie tritt am Tag nach der Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.
Die Tragenden Gründe zu diesem Beschluss werden auf der Homepage des Gemeinsamen Bundesausschusses unter www.g-ba.de veröffentlicht.
Siegburg, den 20. Dezember 2007
Gemeinsamer Bundesausschuss
Der Vorsitzende
Hess
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