THEMEN DER ZEIT
Ambient Assisted Living – Assistenzsysteme: Hightech für ein besseres Leben im Alter


Mit dem Alter steigt das Sturzrisiko stark an: 40 Prozent der Menschen über 75 Jahre stürzen mindestens einmal im Jahr. 60 Prozent davon fallen erneut innerhalb eines Jahres. 30 Prozent der Stürze ereignen sich nachts bei Alltagsbewegungen, und drei Prozent der Betroffenen liegen länger als 20 Minuten, bevor Hilfe eintrifft. Hausnotrufsysteme schaffen nur bedingt Abhilfe, denn sie können einen Sturz nicht als solchen identifizieren, und häufig sind die gestürzten Personen nicht in der Lage, ein Notrufsignal auszulösen, weil sie verletzt oder desorientiert sind. Gemeinsam mit dem Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart arbeitet das Institut für Medizintechnik und Mechatronik der Hochschule Ulm an einem System, das die automatische Alarmierung nach Stürzen ermöglicht. Die Idee der Entwickler: Die Sturzdetektoren werden im Gehäuse eines Hörgeräts untergebracht. „Am Kopf treten während Alltagsbewegungen keine großen Beschleunigungen auf, daher haben hinter dem Ohr angebrachte Beschleunigungssensoren gegenüber Messungen beispielsweise am Handgelenk den Vorteil, dass schnelle, ruckartige Bewegungen besser von Stürzen abgegrenzt werden können“, erläuterte Prof. Dr. Wolfgang Keck, Hochschule Ulm.
Aal-Themen
Gesundheit und Homecare
Beispiele: häusliche Gesundheitsvor- und -fürsorge (wie Prävention, Telemonitoring, Telerehabilitation, Pflege- und Sozialdienste), ambulante Versorgung von Volkskrankheiten wie Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen
Sicherheit und Privatsphäre
Beispiele: Alarmfunktionen, Notrufsysteme,
Zugangssysteme, fehlbedienungssichere Geräte
Versorgung und Hausarbeit
Lieferservices, Reinigung (wie selbstreinigende Geräte, autonomer Staubsauger, Robotik), Alltagstechnik zu Hause und unterwegs (vernetzte Haushaltsgeräte, PC), Haus- und Gebäudetechnik
Soziales Umfeld
Beispiele: Kommunikationsnetzwerke, Nahfeld-Mobilität (Treppenlifte, Transportroboter), Vorsorge (Bewegung, Ernährung), Wellness (Service-Wohnen)
Das „SturzAlarm“-
System tarnt sich
als Hörgerät:
Sensor- (unten)
und Metallgehäuse
(Mitte) mit Bluetooth-
Empfänger (oben)
Foto: FH Ulm
Sensoren unter dem Teppich
melden im „IdeAAL-Projekt“
des Oldenburger Forschungsinstituts
OFFIS e.V. (http://inter.
offis.de/front_content.php)
beispielsweise, ob jemand sich
im Raum bewegt oder gestürzt
ist.
Foto: OFFIS
Gleichzeitig bilden die älteren Europäer aber auch eine wichtige Verbrauchergruppe, die zusammengenommen über ein Vermögen von mehr als drei Billionen Euro verfügt. Der demografische Wandel, darin stimmen die Experten überein, schafft neue Wachstumsfelder etwa in der Mikrosystemtechnik und in der Entwicklung haushaltsnaher Dienstleistungen. Denn die Senioren sind auch „Innovationstreiber“ in einem Zukunftsmarkt. „Der jüngste Technologieschub kommt von den Senioren“, umschreibt der VDE in seinem Ende 2007 veröffentlichten AAL-Papier diesen Trend.
„Der demografische Wandel ist eine Herausforderung für uns alle“, betonte Thomas Rachel, parlamentarischer Staatssekretär im BMBF. Das Ministerium will die Forschung für die ältere Generation als neuen Schwerpunkt voranbringen. Allein für die erste Fördermaßnahme „Altersgerechte Assistenzsysteme für ein gesundes und unabhängiges Leben“ sollen in den nächsten drei Jahren insgesamt 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, kündigte Rachel an. Die Bundesregierung hat sich laut Rachel zudem bei der Europäischen Union für mehr Forschungsförderung auf diesem Gebiet eingesetzt.
Sensorhandschuh
aus dem EU-Projekt
„Aladin“ (Ambient
Lighting Assistance
for an Ageing Population;
www.ambientlighting.
eu), mit dem
psychophysiologische
Daten der Probanden
gemessen werden
Foto: UCT-Research
Care-O-bot: Der
mobile Serviceroboter,
entwickelt vom Fraunhofer-
Institut für Produktionstechnik
und
Automatisierung, soll
Menschen im Haushalt
unterstützen und mit
ihnen interagieren
(www.care-o-bot.de).
Foto: Fraunhofer-IPA
Schwerpunkt „Smart Home“
Ein weiterer Schwerpunkt ist das Thema „Smart Home“ und intelligentes Wohnen. In Modellhäusern – sogenannten Living Labs wie dem „inHaus“ in Duisburg (www.inhaus-zentrum.de) – wird erprobt, wie sich das Sicherheitsgefühl und die Lebensqualität älterer oder auch behinderter Menschen durch technische Hilfsmittel und assistive Umgebungen verbessern lassen. Die Szenarien reichen dabei vom weitgehend selbstständigen Wohnen in der häuslichen Umgebung über betreute Wohngemeinschaften bis hin zu stationären Pflegeeinrichtungen. Die Möglichkeiten des technischen Equipments sind dabei äußerst vielfältig: Die automatische Herdabschaltung und die elektronische Steuerung von Raumtemperatur, -beleuchtung und -belüftung zählen ebenso dazu wie akustische und optische Orientierungshilfen, etwa um an die Medikamenteneinnahme oder die Flüssigkeitszufuhr zu erinnern, oder mobile Roboterassistenten für Hol- und Bringdienste.
AAL-Projekte setzen nicht zuletzt darauf, dass sich die künftigen Älteren von den heutigen signifikant unterscheiden werden. „Dies gilt vor allem hinsichtlich der Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien und E-Health“, betonte Prof. Dr. Rolf G. Heinze, Ruhr-Universität Bochum. Die Wohnungen seien in den letzten Jahren technisch aufgerüstet worden – die Infrastrukturen für TV, Computer und Telefon wachsen zusammen. „Wir befinden uns im Stadium der massiven Expansion von Internetanwendungen. Zudem gibt es durch die Mikrosystemtechnik eine hohe Flexibilität“, konstatierte Heinze. Dadurch könnten soziale und Gesundheitsdienstleistungen variantenreicher und kundenorientierter angeboten werden. Neue E-Health-Geschäftsmodelle, Telehomecare und „intelligente“ Gesundheitsportale werden sich – trotz mancher „Stolpersteine“ – daher auch in Deutschland entfalten, prophezeit der Experte.
Zu den „Stolpersteinen“ zählen beispielsweise die mangelnde Integration bereits entwickelter technischer Lösungen etwa in Wohnungen (Problem der Insellösungen), die mangelnde Akzeptanz aufgrund der Techniklastigkeit von Lösungen sowie die Frage der Kostenübernahme von Dienstleistungen, etwa bei telemedizinischen Anwendungen. „Wir müssen mehr Forschungsmittel für geriatrische Konzepte zum Technikeinsatz einfordern“, betonte Prof. Dr. Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Leiterin der Forschungsgruppe Geriatrie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Ärztin hat in verschiedenen Projekten die Erfahrung gemacht, dass zum Beispiel ein Training am Computer auch bei über 80-jährigen Patienten funktioniert. Sie sieht in teletherapeutischen Anwendungen eine Chance für eine nachhaltige rehabilitative Nachsorge, von der beispielsweise Schlaganfallpatienten profitieren können. Allerdings sei eine kritische Evaluation bislang noch nicht erfolgt.
Fest steht, dass eine Umsetzung vieler Forschungsprojekte in die „Regelanwendung“ schwierig ist. Dabei ist nicht die technische Infrastruktur das Problem, sondern der Mangel an nachhaltigen Geschäftsmodellen. Kostenträger, wie etwa die Krankenkassen, müssten die neuen Optionen des „Zu-Hause-Alterns“ – beispielsweise telemedizinische Anwendungen – mittragen und in den Leistungskatalog übernehmen, forderte daher Heinze. Es gelte, neue Kooperationsformen zwischen der Wohnungswirtschaft, den sozialen und Gesundheitsdiensten, der Informations- und Kommunikationswirtschaft sowie den Krankenkassen zu entwickeln.
Heike E. Krüger-Brand
EU-Förderprogramm
Mitte Juni 2007 hat die Europäische Kommission den europäischen Aktionsplan „Altern in der Informationsgesellschaft" beschlossen, der von einem gemeinsamen europäischen Forschungsprogramm begleitet wird.
21 Länder beteiligen sich an dem EU-Programm.
Bis 2013 wird die EU gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und dem Privatsektor mehr als eine Milliarde Euro für Forschungsarbeiten zu Informations- und Kommunikationstechnologien und Innovationen bereitstellen, die dazu beitragen sollen, das Leben älterer Menschen zu Hause, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft zu erleichtern und die Lebensqualität im Alter zu erhöhen. Davon entfallen
- etwa 600 Millionen Euro auf umgebungsgestütztes Leben
- etwa 400 Millionen Euro auf das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (IP/06/1590) im Rahmen einer Artikel-169-Initiative: Diese bezieht sich auf nationale Förderprogramme, an denen mehrere Mitgliedstaaten beteiligt sind und die von der EU unterstützt werden.
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.