MEDIZINREPORT
125. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie: Wenn geriatrische Patienten operiert werden müssen


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Der demografische Wandel der Bevölkerung spiegelt sich schon heute in den Statistiken der chirurgischen Kliniken wider: Mehr als 40 Prozent der operierten Patienten in einer Klinik der Maximalversorgung sind älter als 60 Jahre, auch der Anteil der 80- bis 100-Jährigen nimmt stetig zu. „Die Chirurgie wird mehr und mehr zur Alterschirurgie, bei der die Versorgung von Frakturen sowie onkologische Operationen einen breiten Raum einnehmen werden“, beschrieb Prof. Dr. med. Volker Schumpelick (Universitätsklinikum Aachen) die Zukunft seines Fachbereichs in Berlin.
Neben den natürlichen biologischen Veränderungen, die das fortgeschrittene Lebensalter mit sich bringe, erforderten auch ernsthafte Begleiterkrankungen ein interdisziplinär abgestimmtes Behandlungskonzept. „60 Prozent der 60-Jährigen und 80 Prozent der 75-Jährigen weisen mindestens einen Risikofaktor auf, der für den Verlauf eines operativen Eingriffs relevant ist“, so Schumpelick. Die Summierung solcher Risikofaktoren sei der wesentliche Grund für die erhöhte Operationssterblichkeit im Alter.
Ein rechtzeitiger, elektiver Eingriff ist Prävention
Auf die Anforderungen der alternden Gesellschaft fühlen sich Chirurgen, Anästhesisten und Intensivmediziner sowohl technisch, personell als auch strukturell gut vorbereitet. Fortschritte im präoperativen Management, in der Anästhesie, in den chirurgischen minimalinvasiven Techniken und der Intensivmedizin hätten zu einer kontinuierlichen Risikoreduktion in der geriatrischen Chirurgie beigetragen. Entscheidungskriterium, ob beziehungsweise nach welcher präopertiven Vorbereitung ein chirurgischer Eingriff bei einem geriatrischen Patienten durchgeführt werden kann, sei zunächst das biologische Alter, das sich durch die physische und psychische Belastbarkeit des Patienten und bestehende Begleitkrankheiten definiere, betonte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), Prof. Dr. med. Hartwig Bauer. Zudem würden das Operationsrisiko, die Prognose und die Lebensqualität nach der Operation gegeneinander, aber auch die Operation selbst gegenüber konservativen Behandlungsmethoden abgewogen. Ziel der Alterschirurgie müsse es immer sein, den Menschen nicht nur „am Leben, sondern im Leben zu erhalten“.
Zu Hochrisikopatienten würden alte Menschen in der Chirurgie häufig nur deshalb, weil sie mit der Begründung, eine Operation sei ihnen altersbedingt nicht mehr zuzumuten, erst im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium oder bei lebensbedrohlichen Komplikationen als Notfall in die Klinik eingewiesen würden. Ein rechtzeitiger elektiver Eingriff mit entsprechender Vorbereitung und gesicherter Indikation habe deshalb gerade bei betagten Patienten auch eine entscheidende Bedeutung für den Erfolg des Eingriffs und die Lebensqualität danach, unterstreicht Bauer. Hier sei ein Umdenken bei den Patienten und ihren Angehörigen, aber auch bei den Hausärzten dringend geboten.
Auch aus Sicht der Anästhesisten sei es entscheidend, bei älteren Patienten frühzeitig eventuelle OP-Risiken zu ermitteln, sagte Prof. Dr. med. Jürgen Biscoping (Karlsruhe). So hätten zum Beispiel mehr als 30 Prozent der Patienten, die sich einem gefäßchirurgischen Eingriff unterzögen, eine bis dahin unerkannte koronare Herzerkrankung. Kardiovaskuläre Komplikationen machten an einem unselektierten Patientengut aber bis zu fünf Prozent der perioperativen Morbidität und Mortalität aus.
„Bei genauer Kenntnis des kardiovaskulären und pulmonalen Status lässt sich das Operationsrisiko durch entsprechende medizinische Begleitmaßnahmen dem von jüngeren Patienten annähern“, teilte Biscoping mit. Dazu gehörten eine qualifizierte postoperative Überwachungs- und Behandlungsphase auf einer Intensivstation oder in einer Intermediate-Care-Einheit.
Alter Organismus hat weniger Kompensationsmöglichkeiten
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin, Prof. Dr. med. Hugo van Aken (Universität Münster) betonte, dass der ältere Organismus bei meist eingeschränkter Nierenfunktion und myokardialer Vorschädigung deutlich weniger Kompensationsmöglichkeiten habe, um den operativen Stress zu bewältigen. Er verwies vor allem auf die diastolische Dysfunktion mit begleitender Anämie als Risikofaktor für Komplikationen. Zur Frage, ob kardial vorgeschädigte Patienten perioperativ mit einem Betablocker behandelt werden sollten, zog van Aken die vorläufigen Ergebnisse der POISE-Studie (Perioperative ischemic evaluation trial) heran, die im November letzten Jahres beim Jahreskongress der American Heart Association vorgestellt worden waren.
„Unter Metoprolol-Gabe traten zwar weniger Myokardinfarkte, dafür aber eine höhere Gesamtmortalität und mehr schwere Schlaganfälle auf“, so van Aken. Wer von einer perioperativen Betablockertherapie (100 mg CR vor und nach dem Eingriff sowie 100 mg/die über 30 Tage) profitiere und wem dabei Gefahr drohe, lasse sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer abschätzen. Allerdings: Patienten, die bereits längere Zeit auf Betablocker eingestellt sind, empfahl er die Fortführung der Therapie.
Eine weitere Stoffklasse kardioprotektiver Substanzen sind die Statine. Neben der lipidsenkenden Wirkung werden ihnen sogenannte pleiotrope Mechanismen zugeschrieben, die das kardiovaskuläre Risiko reduzieren. „Obwohl es theoretisch sinnvoll erscheint, ist eine perioperative Statingabe wegen fehlender Studien derzeit nicht gerechtfertigt“, stellte der Internist Prof. Dr. med. Bernd-Dieter Gonska (Karlsruhe) fest. Die konsiliarische Untersuchung von geriatrischen Patienten durch den Internisten habe zum Ziel, für Chirurgen und Anästhesisten die Frage zu beantworten, ob im vorgegebenen Zeitrahmen eine Optimierung durch Vor- und/oder Begleitbehandlung möglich sei.
Je mehr ältere Patienten operiert werden, umso häufiger werden die Ärzte und Pflegekräfte mit dem Phänomen der postoperativen kognitiven Dysfunktion (POCD) konfrontiert. Diese äußert sich durch diskrete Störungen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit und der Sprache, welche für den Patienten und seine Angehörigen sehr belastend sind – zumal der Status über Monate persistieren kann: 25 Prozent der Patienten, die älter als 60 Jahre sind, leiden eine Woche nach einem größeren Eingriff an einer postoperativen kognitiven Dysfunktion, drei Monate postoperativ sind es immer noch zehn Prozent. Nach herzchirurgischen Eingriffen ist die Inzidenz noch höher.
Die Pathogenese und die Rolle der Anästhesie bei der Entwicklung der postoperativen kognitiven Dysfunktion sind unklar. „Weder neuere, kurz wirksame Medikamente noch die Wahl der Anästhesietechnik – Regionalanästhesie oder Allgemeinanästhesie – können die postoperative kognitive Dysfunktion verhindern“, erläuterte van Aken und zitierte eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern der Duke-Universität in Durham (North Carolina).
Anhaltende kognitive Dysfunktion erhöht Mortalität
Die US-Anästhesisten hatten 1 000 Erwachsene unterschiedlichen Alters untersucht, die sich verschiedenen Operationen unterziehen mussten. Sie testeten die Hirnleistung der Patienten vor dem Eingriff, bei der Entlassung aus dem Krankenhaus und drei Monate später. Die gleichen Tests absolvierten auch 200 gesunde Kontrollpersonen. Viele der Operierten hatten bei der Entlassung mehr oder weniger deutliche Funktionsstörungen im Sinn einer POCD, und zwar unabhängig vom Alter. Was die Studienleiter jedoch besonders überraschte, war die Tatsache, dass die Personen, die auch drei Monate nach der Operation noch an den Nachwehen der Narkose litten, ein höheres Risiko hatten, innerhalb eines Jahres zu sterben (Anesthesiology 2008; 108[1]: 18–30).
Auch wenn die in Berlin versammelten Chirurgen und Anästhesisten über keine präventiven oder therapeutischen Maßnahmen verfügen, der postoperativen kognitiven Dysfunktion zu begegnen, plädierten sie für eine Minimierung des perioperativen Stresses. „Die Kunst besteht darin, den alten Patienten so wenig wie möglich zu stören“, sagte van Aken.
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Das wissenschaftliche Programm gestalten neben der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie die DGCH-Mitgliedsgesellschaften der Viszeral-, Unfall-, Gefäß-, Kinder-, Herz-, Thorax - und Plastischen Chirurgen sowie Orthopäden. Erstmalig ist außerdem die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie am Programm beteiligt.
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