ArchivDeutsches Ärzteblatt18/2008Versorgungsforschung: Mehr Transparenz bei Interessenkonflikten

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Versorgungsforschung: Mehr Transparenz bei Interessenkonflikten

Schneider, Nils

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Foto: mauritius images
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Für den Leser wäre es hilfreich, wenn den Kriterien des International Committee of Medical Journal Editors mehr Beachtung geschenkt würde.

Der Einfluss der Industrie auf die medizinische Forschung wird zunehmend kritisch gesehen (1, 2). Dies liegt unter anderem daran, dass industriegesponserte Studien häufiger günstige Ergebnisse für ein bestimmtes Produkt und ein diagnostisches oder therapeutisches Verfahren hervorbringen, verglichen mit Studien, die nicht industriegesponsert sind (3, 4, 5).

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Industrienähe von Leitlinien-Autoren: Bereits 2002 zeigte eine Untersuchung im Journal of the American Medical Association (JAMA), dass vier von fünf Leitlinienautoren Verbindungen zur pharmazeutischen Industrie hatten; von diesen vier Autoren waren zwei sogar Mitarbeiter oder Berater von Firmen, deren Medikamente sie in Leitlinien empfahlen (6).

Bezeichnend für das Problem ist die Klage von Marcia Angell, der ehemaligen Chefredakteurin des renommierten New England Journal of Medicine: ,,…as we spoke with research psychiatrists about writing an editorial on the treatment of depression, we found very few who did not have financial ties to drug companies that make antidepressants.[…] The problem is by no means unique to psychiatry.“ (7)

Das Problem sind Interessenkonflikte von Wissenschaftlern – auf dem Prüfstand steht die Unabhängigkeit der Forschung und mithin ihre Qualität.

Offenlegung möglicher Interessenkonflikte
Ein wichtiges Instrument, um mit möglichen Interessenkonflikten bei wissenschaftlichen Arbeiten umzugehen, ist die Sicherstellung bestmöglicher Transparenz bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen. Dazu gehört die Offenlegung von Interessenkonflikten in Fachzeitschriften. International anerkannte Empfehlungen für die anzulegenden Kriterien bietet das International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) (8).

Unter anderem beinhalten die Empfehlungen, dass nicht nur Interessenkonflikte von Autoren wissenschaftlicher Beiträge offengelegt werden sollten, sondern auch von den Einrichtungen, an denen die Autoren tätig sind, sowie von den Herausgebern und Gutachtern im Rahmen des Publikationsprozesses der jeweiligen Arbeit. Weiterhin geht es nicht nur um finanzielle Verbindungen und Zuwendungen. Aus ihnen können zwar vergleichsweise offensichtliche Interessenkonflikte resultieren; aber diese können auch nicht finanzieller Natur sein – wie etwa persönliche und institutionelle Beziehungen. Deshalb sollten, so die Empfehlungen, Angaben zu nicht finanziellen und finanziellen Interessenkonflikten gleichermaßen offengelegt werden (8).

Wenig Transparenz in der Praxis
Eine Untersuchung zur Praxis der Offenlegung von Interessenkonflikten in deutschsprachigen, in der Datenbank PubMed gelisteten Publikationen zur Versorgungsforschung zeigt in dieser Hinsicht ernüchternde Ergebnisse. Lediglich bei elf von 124 untersuchten Fachartikeln (neun Prozent) erhält der Leser Informationen zu möglichen Interessenkonflikten der Autoren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass nur 58 Prozent (18 von 31) der eingeschlossenen Zeitschriften überhaupt Angaben zu Interessenkonflikten von Autoren bei der Manuskripteinreichung erwarten und dass die Angaben häufig nicht veröffentlicht und damit dem Leser nicht transparent gemacht werden. Wenn Angaben zu Interessenkonflikten gemacht werden, dann fast ausschließlich zu finanziellen. Mögliche andere, nicht finanzielle Interessenkonflikte werden in den deutschsprachigen Publikationen zur Versorgungsforschung bislang kaum beachtet (9). Diese fehlende oder unzureichende Transparenz erschwert die für den wissenschaftlichen Dialog notwendige kritische Reflexion von Forschungsergebnissen (10).

Was bedeutet dies für die Versorgungsforschung?
Zu den Aufgaben der Versorgungsforschung gehört es, Versorgungsdefizite zu identifizieren, an der Entwicklung und Umsetzung neuer Versorgungskonzepte mitzuwirken und ihre Wirksamkeit zu evaluieren. Dazu zählen Untersuchungen des Versorgungsbedarfs, der Strukturen und Abläufe sowie der Effektivität und Effizienz von Versorgungsleistungen mit unmittelbarer gesundheitspolitischer Entscheidungsrelevanz (11).

Dies macht die Versorgungsforschung für zahlreiche Akteure sehr attraktiv, um bestimmte Versorgungsbereiche und -inhalte im eigenen oder im Interesse der eigenen Klientel vorteilhaft zu gestalten: für die pharmazeutische und medizintechnische Industrie, aber auch für Kostenträger, Verbände und unterschiedlichste Interessenvertreter (9).

Die Versorgungsforschung sollte deshalb im eigenen Interesse größten Wert auf Transparenz legen, um sich als anerkannte wissenschaftliche Disziplin qualitativ und quantitativ weiterzuentwickeln. Dies gilt im Besonderen angesichts der gegenwärtigen Forschungsförderungspraxis mit einem hohen Anteil an Auftragsforschung (12).

Höhere Sensibilität
Um die Transparenz bei der Veröffentlichung von Ergebnissen der Versorgungsforschung zu verbessern, erscheinen unterschiedliche Maßnahmen sinnvoll: So sollten Angaben zu Interessenkonflikten grundsätzlich von den Autoren eingefordert und konsequent veröffentlicht werden, unabhängig von der Frage, ob mögliche Interessenkonflikte deklariert werden oder nicht. Wünschenswert, aber ungleich schwieriger zu realisieren ist die Einbeziehung von am Publikationsprozess beteiligten Gutachtern und Herausgebern in die Offenlegungspraxis (13). Neben finanziellen gilt es, auch die weithin unterschätzten nicht finanziellen Interessenkonflikte stärker zu berücksichtigen. Helfen könnte hier, den Kriterien des International Committee of Medical Journal Editors mehr Beachtung zu schenken (8, 9).

Dabei gilt: Die Forderung von konsequenterer Offenlegung möglicher Interessenkonflikte bedeutet keinen Vorwurf, dass sie tatsächlich vorhanden sind. Ebenso wenig ist die Angabe von Interessenkonflikten gleichzusetzen mit einer Herabstufung der Qualität von Forschungsergebnissen. Interessenkonflikte, finanzielle wie nicht finanzielle, werden sich niemals ganz vermeiden lassen. Bestmögliche Transparenz und Ehrlichkeit sollten aber Grundbestandteile eines guten wissenschaftlichen Arbeitens sein. Nicht nur in der Versorgungsforschung.
Dr. med. Nils Schneider MPH
Medizinische Hochschule Hannover
Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1808
1.
DeAngelis C: The influence of money on medical science. JAMA 2006; 296: 996–8. MEDLINE
2.
Arznei-Telegramm: Editorials, Studien, Leitlinien. Wie firmenlastig dürfen sie sein? a-t 2006; 37: 45–6.
3.
Lexchin J, Bero L, Djulbegovic B, Clark O: Pharmaceutical industry sponsorship and research outcome and quality: systematic review. BMJ 2003; 326: 1167. MEDLINE
4.
Bekelman J, Li Y, Gross C: Scope and impact of financial conflicts of interests in biomedical research: a systematic review. JAMA 2003; 289: 454–65. MEDLINE
5.
Bell C, Urbach D, Ray J, Bayoumi A, Rosen A, Greenberg D, Neumann P: Bias in published cost effectiveness studies: systematic review. BMJ 2006; 332: 699–703. MEDLINE
6.
Choudhry N, Stelfox H, Detsky A: Relationship between authors of clinical practice guidelines and the pharmaceutical industry. JAMA 2002; 287: 612–7. MEDLINE
7.
Angell M: Is academic medicine for sale? N Engl J Med 2000; 342: 1518. MEDLINE
8.
International Committee of Medical Journal Editors: Uniform Requirements for Manuscripts Submitted to Biomedical Journals. [www.ICMJE.org].
9.
Schneider N, Lingner H, Schwartz FW: Disclosing conflicts of interest in German publications concerning health services research. BMC Health Services Research 2007; 7: 78. MEDLINE
10.
Luft H, Flood A, Escarce J: New policy on disclosures at health services research. Health Serv Res 2006; 41: 1721–32. MEDLINE
12.
Pfaff H, Kaiser C: Aufgabenverständnis und Entwicklungsstand der Versorgungsforschung. Ein Vergleich zwischen den USA, Großbritannien, Australien und Deutschland. Bundesgesundheitsblatt 2006; 49: 111–9. MEDLINE
13.
Haivas I, Schroter S, Waechter F, Smith R: Editors` declaration of their own conflicts of interest. CMAJ 2004; 171: 475–6. MEDLINE
1. DeAngelis C: The influence of money on medical science. JAMA 2006; 296: 996–8. MEDLINE
2. Arznei-Telegramm: Editorials, Studien, Leitlinien. Wie firmenlastig dürfen sie sein? a-t 2006; 37: 45–6.
3. Lexchin J, Bero L, Djulbegovic B, Clark O: Pharmaceutical industry sponsorship and research outcome and quality: systematic review. BMJ 2003; 326: 1167. MEDLINE
4. Bekelman J, Li Y, Gross C: Scope and impact of financial conflicts of interests in biomedical research: a systematic review. JAMA 2003; 289: 454–65. MEDLINE
5. Bell C, Urbach D, Ray J, Bayoumi A, Rosen A, Greenberg D, Neumann P: Bias in published cost effectiveness studies: systematic review. BMJ 2006; 332: 699–703. MEDLINE
6. Choudhry N, Stelfox H, Detsky A: Relationship between authors of clinical practice guidelines and the pharmaceutical industry. JAMA 2002; 287: 612–7. MEDLINE
7. Angell M: Is academic medicine for sale? N Engl J Med 2000; 342: 1518. MEDLINE
8. International Committee of Medical Journal Editors: Uniform Requirements for Manuscripts Submitted to Biomedical Journals. [www.ICMJE.org].
9. Schneider N, Lingner H, Schwartz FW: Disclosing conflicts of interest in German publications concerning health services research. BMC Health Services Research 2007; 7: 78. MEDLINE
10. Luft H, Flood A, Escarce J: New policy on disclosures at health services research. Health Serv Res 2006; 41: 1721–32. MEDLINE
11.Zentrum für Versorgungsforschung: Was ist Versorgungsforschung?
12. Pfaff H, Kaiser C: Aufgabenverständnis und Entwicklungsstand der Versorgungsforschung. Ein Vergleich zwischen den USA, Großbritannien, Australien und Deutschland. Bundesgesundheitsblatt 2006; 49: 111–9. MEDLINE
13. Haivas I, Schroter S, Waechter F, Smith R: Editors` declaration of their own conflicts of interest. CMAJ 2004; 171: 475–6. MEDLINE

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