POLITIK
111. Deutscher Ärztetag: Schmidt umwirbt Ärzte
;
DÄ plus


Fotos: Jürgen Gebhardt
Das burleske Zwischenspiel ereignete sich im Juni 1974, als sich der 77. Deutsche Ärztetag in Berlin anschickte, sein gesundheitspolitisches Manifest – das „Blaue Papier“ – zu beschließen. In den folgenden Jahren wurde es kontinuierlich überarbeitet, zuletzt 1994. Nun soll dem Grundsatzprogramm ein aktuelles gesundheitspolitisches Positionspapier der Ärzteschaft beigestellt werden. Die Beratungen darüber bilden einen Schwerpunkt des 111. Deutschen Ärztetages, der in dieser Woche in Ulm tagt. Doch anders als vor 34 Jahren, als die „Ärztetagsstürmer“ laut über das Grundsatzprogramm schimpften, geht es bei der Eröffnung des diesjährigen Ärzteparlaments friedlich zu.
Demonstriert wird dennoch, allerdings versuchen die protestierenden Ärztinnen und Ärzte vor dem Ulmer Kongresszentrum gar nicht erst, sich Einlass zur Eröffnungsveranstaltung zu verschaffen. Das brauchen sie auch nicht. Denn Dr. med. Martin Grauduszus, Präsident der Freien Ärzteschaft und Mitinitiator der Proteste, gehört zu den geladenen Gästen der Ärztetagseröffnung. Geduldig gibt er auf der Presseempore der Veranstaltungshalle Interviews. Dabei richtet sich seine Kritik vor allem gegen die elektronische Gesundheitskarte, deren Einführung ein Beratungsschwerpunkt des Ärztetages ist. Seiner Meinung nach bedroht die Karte die Privatsphäre der Patienten. Eine Sorge, die auch Ria Hoffmann teilt. Die Gynäkologin aus Esslingen, steht vor der Halle und hält ein Protestplakat in die Luft. Sie macht sich Sorgen, dass die elektronische Gesundheitskarte das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gefährden könnte. Technikfeindlich sei sie nicht, „aber solange der Datenschutz nicht zweifelsfrei gewährleistet ist, kann ich das Projekt nicht unterstützen“, sagt sie und gibt damit die Meinung vieler Delegierter wieder.
Gesprächsbereit –
ohne sich vereinnahmen
zu lassen:
BÄK-Präsident
Jörg-Dietrich Hoppe.
Ebenso wie die Gesundheitskarte wird auch das Ulmer Papier unter den Delegierten kontrovers diskutiert. Den einen geht das gesundheitspolitische Programm nicht weit genug. Andere meinen, Ärztinnen und Ärzte sollten sich auf ihre Kernkompetenz beschränken und auf politische Empfehlungen verzichten. Dabei wird häufig übersehen, dass das Ulmer Papier, anders als das Blaue Papier, der Ärzteschaft keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Es deckt Defizite in der Gesundheitsversorgung auf und schärft den Blick dafür, woran sich eine gute Gesundheitspolitik aus Sicht der Ärzte messen lassen muss: den Erhalt und Schutz der individuellen Patient-Arzt-Beziehung. So kommt dem Papier eine Doppelfunktion zu. Die Ärzteschaft bezieht mit ihm nach außen klar Stellung. Gleichzeitig wirkt es in Zeiten großer Differenzen zwischen den verschiedenen Arztgruppen integrierend.
Chronische Unterfinanzierung
„Ärztetage geben
der Einheit der
Ärzte Ausdruck und
Stimme.“ Ulrike
Wahl, Präsidentin
der Landesärztekammer
Baden-
Württemberg
Prominente
Preisträger:
Fritz Beske, Horst-
Eberhard Richter,
Heyo Eckel, Siegmund
Kalinski (von
links) erhielten die
Paracelsus-Medaille.
In seinem Grundsatzreferat zur Eröffnung des Ärztetages stellt Hoppe jedoch klar, dass er sich lediglich für mehr Transparenz ausgesprochen habe: „Die Unterfinanzierung unseres Gesundheitssystems ist chronisch und verschlimmert sich von Jahr zu Jahr.“ Infolge der jahrelangen Unterfinanzierung sei es zu einer heimlichen Rationierung von Leistungen gekommen. Diese mache sich in verschiedensten Formen bemerkbar. So kämen viele Kliniken nach der Umstellung auf die Fallpauschalenfinanzierung nicht mit ihren Einnahmen aus. Personal werde deshalb abgebaut, was wiederum die Patienten zu spüren bekämen, so Hoppe.
Davon will Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) nichts wissen. In ihrem Grußwort erteilt sie jeder Form von Rationierung eine klare Absage und beruft sich auf eine altbekannte Forderung der Politik: die Hebung von Effizienzreserven. Mit Blick auf Hoppes Äußerungen in den Medien zeigt sich Schmidt erstaunt: „Von mir wird ein staatlicher Rationierungskatalog gefordert, wenn ich doch sonst mit Staatsmedizin in Verbindung gebracht werde.“ Kataloge helfen ihrer Meinungen nach nicht weiter. Stattdessen seien hier alle Verantwortlichen gefordert: Politik und Selbstverwaltung sollten gemeinsam Verantwortung übernehmen, damit mit den begrenzten Mitteln rationell umgegangen werde.
Trotz dieser Kontroverse wird schnell deutlich, dass Schmidt, im Gegensatz zu anderen Ärztetagen, bei denen die Ministerin fast lustvoll auf Konfrontationskurs zu den Ärzten ging, die Kooperation sucht. Jede Kritik wird mit der Aufforderung zur Zusammenarbeit verbunden.
Sie wolle sich für eine bessere Honorierung bei den anstehenden Honorarverhandlungen zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Krankenkassen einsetzen, kündigt sie an. „Mit einer neuen Honorierung muss mehr Geld in die Versorgung fließen, da nur so eine gute Versorgung gesichert werden kann.“
Ministerin auf Kuschelkurs
Ausdrücklich lobt sie das Ulmer Papier, allerdings schränkt sie ein: „Es wird Sie nicht überraschen, dass ich nicht alle Teile der Analyse und alle Schlussfolgerungen teile.“ Angesichts des medizinischen Fortschritts sei die Frage zu klären, „welche Rahmenbedingungen notwendig sind, damit eine gute Versorgung gesichert werden kann“. Diese Frage soll nun gemeinsam gelöst werden. „Ausdruck dessen sind Arbeitsgruppen, die wir zusammen mit der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auf den Weg gebracht haben.“ Dabei handelt es sich um Dialogveranstaltungen, in denen auf Arbeitsebene Fragen zur Gestaltung des ärztlichen Berufsfeldes, zur ärztlichen Berufsausübung und zum ärztlichen Berufsbild diskutiert werden sollen. Es sei besser, die Themen gemeinsam anzugehen als gegeneinander, zeigt sich die Gesundheitsministerin solidarisch mit den Ärzten. Allerdings lässt Schmidt offen, inwiefern die Ergebnisse der Arbeitsgruppen in die Politik der Bundesregierung einfließen sollen.
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt
will sich für eine bessere Honorierung der
Ärzte einsetzen.
Darüber hinaus gibt es nach Meinung Schmidts zentrale Herausforderungen in der Krankenhauspolitik. Schmidt kündigte für die nächsten Wochen einen Gesetzentwurf zur Krankenhausfinanzierung an. Die Ministerin gab sich überzeugt, dass „die leistungsfähige pluralistische Krankenhauslandschaft“ nur erhalten werden könne, wenn endlich Wettbewerb zugelassen werde. Schmidt stellte zudem Entlastungen der Krankenhäuser in Aussicht, die freilich nur zum Teil von ihr zu verantwor-ten sind. So weist sie darauf hin, dass sich die an der Entwicklung der Grundlohnsumme gekoppelten Krankenhausbudgets wegen der guten Lohnentwicklung erhöhen würden. Bereits Gesetz ist, dass Ende 2008 sowohl der Solidarbeitrag der Kliniken für die Kassen als auch der Vorwegabzug zur Unterstützung der integrierten Versorgung endet.
Zudem sprach sich Schmidt dafür aus, dass die Krankenkassen Teile der Kosten der neuen Tarifabschlüsse übernehmen sollten. Außerdem denkt sie an ein Förderprogramm zur Neueinstellung von Pflegekräften.
Auch der neue Hausarztvertrag zwischen AOK, Medi und Hausärzteverband in Baden-Württemberg ist nach Meinung Schmidts ein Beispiel dafür, wie man neue Wege im Gesundheitswesen gehen kann. Hierzu gebe es unterschiedliche Meinungen, aber jeder sollte sich den Vertrag einmal genauer ansehen. „Er führt zu einer besseren Versorgung mit einem Abbau der Bürokratie und einer größeren Vergütung für Ärzte.“ Einfach nur die alten Wege weiterzugehen, bringe niemanden weiter.
Dass neue Wege nicht immer zum richtigen Ziel führten, gibt BÄK-Präsident Hoppe zu bedenken. Unter großem Beifall der Delegierten warnt er vor einer Zerschlagung der Körperschaften. „Wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen so stark demoliert werden, dass sie nicht mehr zur Verfügung stehen, wäre das ein großer Schaden für Deutschland.“
Überhaupt warnt Hoppe vor ei-ner schleichenden Entmachtung der Selbstverwaltung. Er macht eine Doppelstrategie der Politik aus, wonach wichtige Entscheidungsstrukturen im Gesundheitswesen verstaatlicht würden, während in anderen Bereichen Privatisierung und forcierter Wettbewerb Einzug hielten.
„In der Vergangenheit übernahm richtigerweise der Staat die Daseinsvorsorge, und der Selbstverwaltung kam eine justierende, feinsteuernde, in jedem Fall aber gestaltende Funktion zu“, so Hoppe. Die Vertreter der Selbstverwaltung hätten meist selbst noch am Krankenbett gearbeitet, weshalb im Zentrum ihres Denkens vor allem die individuelle Patient-Arzt-Beziehung gestanden habe. Heute sei dieses Denken einer kollektivistischen Sichtweise gewichen. Augenscheinlich werde dies bei der Betrachtung der Disease-Management-Programme. „Diese waren mir schon immer schon ein Dorn im Auge, weil sie zu einer schematischen Patientenbehandlung führen“, beklagt Hoppe. Auch sei die Selbstverwaltung zu einer reinen Auftragsverwaltung geworden, die lediglich die Vorgaben des Staates erfülle.
Demgegenüber zieht sich der Staat nach Beobachtung Hoppes aus der Daseinsvorsorge zurück und überantwortet viele Bereiche des Gesundheitswesens dem Wettbewerb – mit gravierenden Folgen. „Freiberufler, die mit ihrer Arbeit Geld für Investitionen verdienen müssen, stehen im Markt rein profitorientierten Unternehmen gegenüber, die ihr Geld von Investoren erhalten“, warnt Hoppe. Freiberufler und Großinvestoren träten mit völlig ungleichen Spießen gegeneinander an. „Freiberufler sind am meisten gefährdet, obwohl sie für den Staat von so großer Bedeutung sind“, konstatiert Hoppe.
Gewinner der Reformen der vergangenen 20 Jahre seien die Beitragszahler der Krankenkassen und die Investoren. Verlierer seien die Patienten und die Beschäftigten im Gesundheitswesen. „Die heimliche Rationierung haben wir seit Jahren ertragen. Aber das wollen wir nicht mehr“, wendet sich Hoppe an die Ministerin. Nur wenn offen über diese Form der Rationierung gesprochen werde, könnte sich die Bevölkerung eine Meinung dazu bilden. Jeder einzelne könne dann überdenken, wie viel er künftig für Gesundheit ausgeben will. Umfragen zeigten schon jetzt, dass die meisten Menschen Leistungs-, Therapie- und Arztwahleinschränkungen ablehnten. Und er fügte hinzu: „Das müssen wir zu einem Wahlkampfthema machen.“
Sunna Gieseke, Samir Rabbata
Deutsches Ärzteblatt plus
zum Thema
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.