ArchivDeutsches Ärzteblatt21/2008Der neue Hausarztvertrag: Schorle, nicht Schampus

POLITIK: Kommentar

Der neue Hausarztvertrag: Schorle, nicht Schampus

Rieser, Sabine

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Wenn ein Formel-1-Rennen beendet ist, klettern die Sieger aufs Podest, lassen Champagner aus Magnumflaschen spritzen und freuen sich fürs Publikum über ihren Triumph. Mag sein, dass auch der ein oder andere von Medi, AOK und Deutschem Hausärzteverband in Baden-Württemberg am 8. Mai gern einmal so richtig die Korken hätte knallen lassen. An diesem Tag präsentierten die dafür Verantwortlichen den deutschlandweit ersten Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung nach § 73 b SGB V ohne Beteiligung einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Sie triumphierten damit über die Körperschaften, die sich teilweise ebenfalls beworben hatten, aber nicht an den Start durften (DÄ, Heft 20/2008).

Doch champagnergetränkte Siegesfreude ist im Gesundheitswesen öffentlich nicht üblich. Triumphe werden anders zelebriert, zum Beispiel durch große Worte in Richtung Medien: Von einer neuen Versorgungswelt, einem Paradigmenwechsel, ja sogar von einer sorglosen Zukunft für die Hausärzte im Ländle war zur Vertragsunterzeichnung die Rede.

Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Hausärzteverbands, legte zur Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) nach. Eine Unmenge positiver Zuschriften habe man bekommen, freute sich Weigeldt am 19. Mai in Ulm. In den letzten Tagen seien in Baden-Württemberg 450 Ärztinnen und Ärzte neu in den Verband eingetreten. Der Hausarztvertrag tritt zwar erst zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft. Doch Weigeldt ist überzeugt davon, dass er jetzt schon kräftig wirkt: Das ausgehandelte Honorar habe dazu geführt, dass die KBV ihre Honorarforderungen an die Politik für 2009 auf 4,5 Milliarden Euro erhöht habe. Zwei Drittel des Geldes müsse bei den Hausärzten ankommen, verlangte Weigeldt. So wie er freuen sich mitnichten alle.

Der Vertrag hat Kritiker, und das zu Recht. Denn er wird beteiligten Hausärztinnen und Hausärzten in Baden-Württemberg vom 1. Juli an hoffentlich mehr Geld bringen. Doch was sie im Gegenzug dafür tun oder lassen müssen, steht noch nicht genau fest. Denn die angekündigten Vertragsanlagen zu Arzneimittelverordnungen, Fortbildungsverpflichtungen oder EDV-Ausstattung der Praxen sind noch nicht zu Ende verhandelt.

„Vieles in dem Vertrag ist in der Vergangenheit als Alarmsignal für den Versuch von Politik und Kassen bewertet worden, in die Therapiehoheit des Arztes einzugreifen“, kritisierte gleichwohl Dr. med. Kuno Winn, Vorsitzender des Hartmannbundes. „Wenn wir das Vertrauen unserer Patienten erhalten wollen, dann dürfen wir nicht den Hauch von Bereitschaft zeigen, Grundsätze ärztlichen Handelns zugunsten einer scheinbar greifbaren Honorarerhöhung zu opfern.“

Bei AOK, Medi und Hausärzteverband hört man solche Kritik nicht gern. „Es wird keinen Abfluss von Daten an Dritte geben“, sagte der Vorstandsvorsitzende der AOK, Dr. Rolf Hoberg, mit Blick auf die angestrebten IT-Lösungen. Weigeldt polterte in Ulm, man solle doch nicht immer wieder unterstellen, dass in den noch unbekannten Anlagen „Halunkereien und Betrügereien“ stünden. Statt dessen wollen die Vertragsväter ihre Erfolge gewürdigt wissen. Und die gibt es natürlich: Teilnehmende Hausärzte sollen statt eines durchschnittlichen Fallwerts von 50 Euro pro Quartal künftig bis zu 80 Euro erhalten. Und der Vertrag sieht derzeit keine Fallzahlzuwachsbegrenzung vor, wie der Medi-Vorsitzende, Dr. med. Werner Baumgärtner, betonte.

Das Geld der Kassen sprudelt aber gleichwohl nicht wie Champagner, wenn man nur die Flasche schön geschüttelt hat. Die AOK hat vorgerechnet, dass sie der Vertrag pro Jahr rund 200 Millionen Euro an Honorar kosten wird. Der Großteil davon soll aus dem Teil der Kopfpauschale stammen, der nicht länger für die hausärztliche Versorgung an die KV gezahlt wird. Wie das gehen wird, sagt noch niemand. Den Rest müssen die Hausärzte durch Einsparungen erwirtschaften: bei Verordnungen und Krankenhauseinweisungen möglicherweise oder durch üppige Einschreibungen in Chronikerprogramme.

Mehr noch als bisher wird das den Spagat zwischen eigenen ärztlichen Überzeugungen und nachvollziehbaren finanziellen Eigeninteressen erfordern. Das denken viele, sagen es aber nicht laut. Denn sie fürchten den Unmut der Hausärzte an der Basis, die genug haben von feinsinnigen Rationierungsdiskussionen und endlich mehr Geld sehen wollen. Ein weiterer Grund für die Leisetreterei ist, dass viele KVen ergänzende Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung abgeschlossen haben, die auch vor allem der Honoraraufstockung dienen, nicht aber besseren Versorgungsansätzen für Patienten. Zudem lässt sich schlecht pauschal gegen Softwarelösungen wie im jüngsten Hausarztvertrag argumentieren, wenn man selbst nach EDV-Wegen sucht, um den niedergelassenen Ärzten die Arbeit und die Abrechnung zu erleichtern.

Und nun? Ist es wie bei der Formel 1: Wer Freude an Wettrennen hat und lieber nicht nach dem tieferen Sinn der Unternehmung fragt, dem werden die nächsten Monate in Sachen Hausarztverträge sicher noch einiges zu bieten haben. Wer findet, die ganze Veranstaltung müsse langfristig die finanzielle Situation der Hausärzte verbessern und die Versorgung der Patienten, weil die Kassen nur dafür Geld locker machen werden – der sollte sicherheitshalber den Champagner noch im Kühlschrank lassen.

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