POLITIK
113. Hauptversammlung des Marburger Bundes: Mit breiter Brust gegen die Kirchen
DÄ plus


Warnt davor,
dass die Ärzte in
konfessionellen
Kliniken bald mit
den Füßen abstimmen
werden:
Rudolf Henke. Fotos: Christian Griebel
Abstimmung mit den Füßen
Seine so gelobte Durchschlagskraft will der MB als nächstes dazu einsetzen, die beiden Kirchen an den Verhandlungstisch zu zwingen: „Der Marburger Bund fordert die katholischen und evangelischen Klinikarbeitgeber abermals auf, umgehend Tarifverhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, die Arbeitsverhältnisse an kirchlichen Krankenhäusern den arztspezifischen Regelungen der bereits abgeschlossenen Tarifverträge mit den Kommunen, den Ländern und den privaten Häusern anzupassen“, heißt es im wohl wichtigsten Beschluss der 113. MB-Hauptversammlung. Zwar seien Streiks an konfessionellen Krankenhäusern verboten (die Kirchen unterliegen nicht dem Tarifrecht, Anm. d. Red.), betonte der MB-Bundesvorsitzende, Rudolf Henke, aber es gebe auch andere Wege des Protests: „Man kann doch auch mal samstags, außerhalb der regulären Arbeitszeit, zusammenkommen und öffentlichkeitswirksam auf Missstände in den Krankenhäusern aufmerksam machen.“
Daneben sollen die bei Caritas und Diakonie beschäftigten Ärzte wie auch Medizinstudierende über die Vorzüge anderer Arbeitgeber informiert werden. Zu diesem Zweck beauftragten die rund 200 Delegierten den Bundesvorstand, einen Flyer zu erstellen, „in dem die Arbeitsbedingungen, Einstiegsgehälter und Gehaltsentwicklung in Krankenhäusern verschiedener Träger verglichen werden“. Denn der Dritte Weg, mit dem kirchliche Arbeitgeber ihre Arbeitsbedingungen regelten, sei längst nicht mehr in der Lage, marktübliche und angemessene Lösungen zu gewährleisten, unterstrich Henke: „Wenn die kirchlichen Klinikarbeitgeber das nicht bald einsehen, werden die Ärztinnen und Ärzte – mehr noch als sie es jetzt schon tun – mit den Füßen abstimmen.“ Bis zu 15 000 Euro könne ein junger Arzt insgesamt mehr verdienen, wenn er seine fünfjährige Weiterbildung zum Facharzt in einem kommunalen statt in einem katholischen Krankenhaus absolviere, konkretisierte der Vorsitzende später vor der Presse.
Verhandeln und umsetzen
MB-Tarifexperte Lutz Hammerschlag informierte die Delegierten ausgiebig über die Tarifrunde 2008 mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), die er insgesamt als erfolgreich wertete. Zwar sei es nicht gelungen, eine zweistellige Gehaltssteigerung durchzusetzen. Im Gegenzug habe man aber auch sämtliche Forderungen der Arbeitgeberseite – vor allem eine Erhöhung der Arbeitszeit, eine leistungsorientierte Vergütung und eine Verschärfung der Oberarztkriterien – abwehren können. Hammerschlag: „Darüber hinaus war es sehr wichtig, dass die Arbeitgeber gesehen haben, dass wir einerseits eine starke Gewerkschaft sind – mit Mitgliedern, die auf die Straße gehen –, andererseits aber auch bereit sind, vernünftige Kompromisse abzuschließen.“ Darauf aufbauend müsse es nun verstärkt darum gehen, die abgeschlossenen Tarifverträge auch umzusetzen: „Denn was hilft der beste Tarifvertrag, wenn er in den Krankenhäusern nicht mit Leben gefüllt wird?“ In jedem Krankenhaus soll deshalb eine Art Tarifpolizei installiert werden, die dafür Sorge trägt, dass die Tarifverträge auch tatsächlich eingehalten werden.
Ausschlaggebend dafür, dass viele Arbeitgeber nach wie vor Tarifrecht missachten, sind deren Finanzzwänge. Dazu passend mahnte die Hauptversammlung umgehende Reformen bei der Krankenhausfinanzierung an. Im Interesse einer flächendeckenden und qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung müsse diese auf eine solide, zukunftsfähige Grundlage gestellt werden, heißt es im entsprechenden Beschluss: „15 Jahre nach Einführung der an die Grundlohnsummenentwicklung gekoppelten gedeckelten Budgets hat sich dieses System endgültig überlebt.“
Sofortprogramm für Kliniken
Mit Verweis auf die Finanzierungslücken im stationären Sektor fordert der MB ein Sofortprogramm, das „die Deckelung der Budgets beendet, eine realistische Refinanzierung der Aufgaben – orientiert an den tatsächlichen Kosten der Krankenhausleistungen einschließlich der Tarifentwicklung – ermöglicht, eine sofortige Rücknahme der Sanierungsabgabe an die Krankenkassen beinhaltet sowie die Investitionskraft der Krankenhäuser stärkt.“
Überhaupt lässt der MB an der derzeitigen Gesundheitspolitik kein gutes Haar: Diese führe zu einer „Aushöhlung der individuellen Patienten-Arzt-Beziehung, zu einer schleichenden Rationierung von Leistungen und zu einer chronischen Unterfinanzierung der Krankenhäuser“. Für eine zukunftsfeste Gesundheitsversorgung der Bevölkerung müsse die Bundesregierung endlich ein nachhaltiges und ausreichendes Finanzierungsmodell vorlegen.
Wirbt dafür, dass
die Ärzte ein
schlüssiges Finanzierungskonzept
vorlegen: Frank
Ulrich Montgomery.
Nach langer Diskussion verständigte sich die Hauptversammlung darauf, dass der MB im „Ulmer Papier“ nicht mehr als „die Grundlage und den Beginn der innerärztlichen Diskussion“ sieht. Von diesem Ausgangspunkt müssten die gesundheitspolitischen Positionen der Ärzteschaft dann weiterentwickelt werden. Insbesondere seien die Leitsätze kein Ersatz für das 1994 zuletzt aktualisierte „Blaue Papier“ im Sinne einer umfassenden programmatischen Standortbestimmung der Ärzteschaft.
Neben dem „Ulmer Papier“ wurden bei der Hauptversammlung in Neu-Ulm vor allem zwei Anträge leidenschaftlich diskutiert: Einer forderte eine Vergütung für Medizinstudierende im praktischen Jahr (PJ) in Höhe von mindestens 400 Euro monatlich, ein anderer eine bessere Bezahlung der Bereitschaftsdienste.
Der zweite MB-Vorsitzende, Dr. med. Andreas Botzlar, warnte die Delegierten davor, einen Beschluss zu fassen, der eine konkrete Vergütungshöhe für PJler festschreibt: „Denn dies würde dazu führen, dass die Arbeitgeber eine Gegenleistung für die Vergütung einfordern. Das PJ muss aber Ausbildung bleiben.“ Die Hauptversammlung einigte sich darauf, eine „angemessene Ausbildungspauschale“ für die Medizinstudierenden zu fordern.
Bereitschaftsdienste besser vergüten
Beim Thema Bereitschaftsdienste entbrannte ein Streit darüber, ob der MB sich für die Abschaffung der Dienste einsetzen sollte. Dafür spricht, dass viele Ärzte während der Bereitschaftsdienste regelhaft mehr als die erlaubten 49 Prozent arbeiten müssen, dies aber nicht entsprechend vergütet wird. „Solange die Entgelttabellen aber so aussehen, wie sie aussehen, sind wir auf das zusätzliche Geld aus den Bereitschaftsdiensten angewiesen“, unterstrich Dr. med. Sören Schütt, Delegierter aus Kaarst: „Deshalb gilt es jetzt zunächst einmal, den Bereitschaftsdienst höherzubewerten. Nur so kommen wir momentan auf ein adäquates Gehalt.“ Mittelfristig müsse der Bereitschaftsdienst so teuer gemacht werden, dass es für den Arbeitgeber uninteressant werde, ihn anzuordnen, ergänzte Hammerschlag. Nur aus arbeitszeitrechtlichen Gründen dürfe der Bereitschaftsdienst noch für die Arbeitgeber attraktiv sein. Die Delegierten forderten die Tarifkommissionen auf, Konzepte für eine bessere Bereitschaftsdienstvergütung zu entwickeln und diese in kommenden Tarifverhandlungen durchzusetzen.
Vom Marburger Bund lernen heiße siegen lernen, hatte BDI-Präsident Wesiack zum Auftakt der 113. MB-Hauptversammlung sinngemäß gesagt. Ob die Klinikärztegewerkschaft auf der Siegerstraße bleibt, wird sich in den anstehenden Verhandlungen mit den Asklepios-Kliniken, den Helios-Kliniken sowie der Tarifgemeinschaft deutscher Länder zeigen. Die in Neu-Ulm gezeigte Geschlossenheit des MB spricht dafür.
Jens Flintrop
Deutsches Ärzteblatt plus
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