THEMEN DER ZEIT: Kommentar
DMP Diabetes mellitus: Selektionsbias


Die Wirksamkeit des DMP Diabetes mellitus kann aber nicht im externen Vergleich (mit Patienten, die nicht dem DMP beigetreten sind) evaluiert werden. Denn die Auswahlkriterien sind unter anderem: Motivation zur aktiven Mitarbeit bei der Umsetzung der therapeutischen Ziele. „Die/der behandelnde Ärztin/Arzt soll prüfen, ob die oder der Patient(in) im Hinblick auf die unter 1.3.1. genannten Therapieziele von der Einschreibung profitieren und aktiv an der Umsetzung mitwirken kann.“ Der Arzt verpflichtet sich zur Überprüfung der „Einhaltung der Einschreibungskriterien“ – so der DMP-Diabetes-Vertrag vom 28. April 2006. Mit der Unterschrift bürgt der Arzt für seine Auswahl von Patienten, die zur Einhaltung der therapeutischen Maßnahmen im DMP-Programm motiviert sind. Damit liegt eine Selektion von Patienten mit günstigerer Prognose vor. Diese Auswahl trifft der Arzt aus seiner Grundgesamtheit aller Patienten.
Der motivierte Patient nimmt die therapeutischen Anweisungen des Arztes wahr, nicht jedoch der unmotivierte Patient. Damit sind die allgemein anerkannten Maßnahmen der Basistherapie des Diabetes – Ernährungsumstellung, Tabakverzicht, körperliche Aktivität und Gewichtsreduktion – a priori Erfolg versprechender in der DMP-Gruppe, gesichert durch die Motivation der Teilnehmer.
Der nicht motivierte Patient, der sich daran nicht hält, wird zwangsläufig eine schlechtere Einstellung seines Diabetes aufweisen mit hohem HbA1c-Wert, eine hohe Progressionsrate der Sekundärerkrankungen, wie Makro-/Mikroangiopathie mit Erblindung, Schlaganfall, Amputationen und Niereninsuffizienz sowie einen Verlust an Lebensqualität, hohe Folgekosten und eine höhere Sterblichkeit.
Die Teilnahme am DMP Diabetes ist freiwillig. Für Nichtteilnehmer ist allerdings keine Schulungsmaßnahme vorgesehen. Der Arzt kann außerhalb des DMP die Diabetesschulung nicht mehr abrechnen. Dadurch wird der durch Selektion verursachte Outcome-Unterschied noch vergrößert, denn die dem Patienten vorenthaltene Maßnahme wird sich negativ auswirken. Man würde auch nicht die Ergebnisse einer strukturierten Therapie an ausschließlich motivierten Patienten mit Suchterkrankungen solchen mit fehlender Motivation ohne Therapie gegenüberstellen.
Dass solch ein Selektionsbias im externen Vergleich völlig unberücksichtigt bleibt, hat desaströse Folgen.
1. Mitgliedsbeiträge der Patienten werden für die Erhebung pseudowissenschaftlicher Aussagen verbraucht und fehlen bei der dringend notwendigen Versorgung chronisch Kranker.
2. Die Krankenkassen werden Vertragsärzte in weitere Programme aufgrund der „hochsignifikanten“ (Selektions-) Ergebnisse einbinden. Damit werden Zeit und Kraft der Heilberufler für Dokumentation und Evaluation zur Produktion weiterer Scheinerfolge gebunden.
3. Politiker werden den Ärzten, die sich nicht dem zweifelhaften Dokumentationsaufwand dieser Programme unterziehen, zur Last legen, dass sie ihren Patienten scheinbar hocheffektive Therapien vorenthalten.
Dr. med. Johannes Gutsch, Arzt für Innere Medizin
– Hämatologie und internistische Onkologie
Graf, Christian; Ullrich, Walter