BRIEFE
Ärztewanderung: Deutschland vergrault


Gerne würde ich in Deutschland leben und arbeiten. Die Lebensart und die hohe Lebensqualität gefallen mir. Es ist die berufliche Perspektivlosigkeit, die uns Ärzte ins Ausland treibt. Gründe dafür sind unter anderem die extrem steile Hierarchie, die wenig Selbstbestimmung bei der Patientenversorgung zulässt. Willkür in der Verteilung von Aufgaben und Operationen bis hin zum offenkundigen Mobbing sind weitverbreitet, vor allem in der akademischen Medizin. Immer wieder habe ich versucht, diese Zustände von innen heraus zu ändern (siehe DÄ 31–32/2006) und bin gescheitert. Diejenigen, die eine Möglichkeit zur Umgestaltung hätten, profitieren zu sehr von den verkrusteten Strukturen. Eine künftige tiefgreifende Reform ist wohl nur durch die am zunehmenden Ärztemangel leidende Gesellschaft exogen zu erwarten. Die Tragik dabei ist, dass wir durch diese Verhältnisse eine negative Auslese treffen. Unsere besten und motiviertesten Ärzte wandern ab. Einige der eingewanderten ausländischen Kollegen sind sicherlich exzellent, jedoch ist die Qualitätskontrolle dieser Ärzte und ihrer Ausbildung bei uns insgesamt lange nicht so ausgereift wie anderswo (z. B. USMLE-Examina, ECFMG-Zertifikat in den USA). Unsere Gesellschaft wird es sich auf Dauer nicht leisten können, Spitzenmediziner auszubilden und diese durch Abwanderung zu verlieren. Das System muss grundlegend verbessert werden: effizientere Facharztausbildung, mehr Eigenverantwortung, flachere Hierarchien, angemessene Entlohnung, kollegialer Umgang, flexiblere Arbeitszeiten, weniger Administration, mehr ärztliche Autonomie. Bis dahin jedenfalls sehe ich meine Zukunft nicht in Deutschland.
Oliver J. Muensterer MD, PhD,
Assistant Professor of Surgery, University of Alabama at Birmingham, Children’s Hospital of Alabama,
1600, 7th Avenue South ACC 300, Birmingham,
AL 35233, USA