ArchivDeutsches Ärzteblatt23/200869. Ordentlicher Medizinischer Fakultätentag: Die Hochschulmedizin stellt sich neu auf

POLITIK

69. Ordentlicher Medizinischer Fakultätentag: Die Hochschulmedizin stellt sich neu auf

Hibbeler, Birgit

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LNSLNS Der Medizinische Fakultätentag und der Verband der Universitätsklinika Deutschlands wollen einen Dachverband gründen und die Interessen der Hochschulmedizin künftig gemeinsam vertreten.

Foto: ddp
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Spitzenleistungen in der Forschung, exzellente Lehre, optimale Krankenversorgung und dabei schwarze Zahlen schreiben – die Anforderungen an die Hochschulmedizin sind enorm. Dabei ist an den Universitäten einiges im Umbruch. Wie eng werden die medizinischen Fakultäten künftig in die Universität eingebunden sein, und wie sollen sie mit den Kliniken zusammenarbeiten? Das ist nur eine von vielen Fragen, die die Akteure der Hochschulmedizin und die Politik zurzeit diskutieren. Um ihre Interessen in Zukunft gemeinsam zu vertreten, wollen sich der Medizinische Fakultätentag (MFT) und der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) zum Dachverband „Deutsche Hochschulmedizin e.V.“ zusammenschließen. Die Gründung des Vereins steht unmittelbar bevor. „Wir erkennen, dass wir in der Öffentlichkeit mit einer Stimme sprechen müssen“, erklärte Prof. Dr. med. Gebhard von Jagow, Präsident des MFT, beim 69. Ordentlichen Medizinischen Fakultätentag Ende Mai in Heidelberg. Die Bündelung der Kräfte sei die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklung der deutschen Hochschulmedizin.

Von einer Schicksalsgemeinschaft von Fakultäten und Universitätsklinika sprach auch Prof. Dr. med. Jörg Rüdiger Siewert, Vorsitzender des VUD. Neben einer gemeinsamen Außendarstellung werde sich der neue Dachverband den praktischen Problemen der Hochschulmedizin widmen. Zu diesen zählt Siewert unter anderem den Investitionsstau und die Budgetierung bei gleichzeitiger Ausgabensteigerung, etwa infolge der steigenden Energiepreise und der Tarifabschlüsse. Auch künftige Strukturen und Rechtsformen der Universitätsmedizin stehen auf der Agenda. Doch MFT und VUD wollen sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen. „Wir brauchen auch den Schulterschluss mit den außeruniversitären Großforschungseinrichtungen“, betonte Siewert.

Foto: Fotolia
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Kritik am Berger-Gutachten für Baden-Württemberg
Dass MFT und VUD in Zukunft gemeinsam die Anliegen von Forschung, Lehre und universitärer Krankenversorgung vertreten wollen, ist ein entscheidendes Signal. Denn bisher hatte die Hochschulmedizin gegenüber der Politik kein gemeinsames Sprachrohr. Das ist aber wichtiger denn je, denn in vielen Bundesländern wird das Verhältnis von Ministerium, Fakultät und Uniklinik neu geregelt. Beispiel Baden-Württemberg: Hier ist die Novellierung des Gesetzes über die Universitätsklinika geplant. Im Vorfeld hatte die Landesregierung eine Studie bei der Unternehmensberatung Roland Berger in Auftrag gegeben. Das Ergebnis der Gutachtens „Strukturelle Weiterentwicklung der baden-württembergischen Universitätsklinika“ stieß bei den Teilnehmer des Medizinischen Fakultätentags auf wenig Gegenliebe: Es sieht unter anderem vor, die Rolle des Dekans zu schwächen.

Lehre, Forschung und Krankenversorgung: Alle sollen künftig an einem Strang ziehen. Foto: Fotolia
Lehre, Forschung und Krankenversorgung: Alle sollen künftig an einem Strang ziehen. Foto: Fotolia
Im Verhältnis zwischen Klinikum und medizinischer Fakultät/Universität empfehlen die Autoren, das jetzige Kooperationsmodell weiterzuentwickeln. Probeweise solle ein Integrationsmodell ermöglicht werden – also eine Integration der medizinischen Fakultät in das Klinikum. „Mit der Aufwertung der Kooperationsvereinbarung wird die Vorstandsmitgliedschaft des Dekans (. . .) entbehrlich“, heißt es. Für eine Privatisierung der Unikliniken in Baden-Württemberg gebe es derzeit keinen Anlass. Die jetzige Rechtsform – Anstalt des öffentlichen Rechts – müsse aber durch verkleinerte Vorstände optimiert werden. „Man fragt sich, wieso Roland Berger und andere von der Politik immer wieder für Gutachten herangezogen werden“, kritisierte Prof. Dr. med. Claus R. Bartram, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. Den Gutachtern seien die Grundsätze der Hochschulmedizin nicht bekannt. Für Bartram steht fest: Universitätskliniken und Fakultäten dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.

Der MFT will aber nicht nur enger mit dem VUD zusammenarbeiten, sondern sich auch selbst neu aufstellen. „Der Medizinische Fakultätentag befindet sich in einer umfassenden Umstrukturierung“, erläuterte MFT-Präsident von Jagow. Geplant ist der Aufbau einer Geschäftsstelle in Berlin mit einem hauptamtlichen Geschäftsführer, die Anfang 2009 ihre Arbeit aufnehmen soll und in räumlicher Nähe zum VUD angesiedelt wird. Der MFT erhofft sich einen engeren Kontakt zur Politik sowie eine bessere Öffentlichkeitsarbeit.

Der Medizinische Fakultätentag befindet sich in einer umfassenden Umstrukturierung. Prof. Dr. med. Gebhard von Jagow, Präsident des MFT Foto: Bernhard Eifrig
Der Medizinische Fakultätentag befindet sich in einer umfassenden Umstrukturierung. Prof. Dr. med. Gebhard von Jagow, Präsident des MFT Foto: Bernhard Eifrig
Mehr Transparenz durch Landkarte Hochschulmedizin
Ein wichtiger Schritt zu einer professionelleren Außendarstellung ist dem MFT bereits gelungen: mit der Landkarte Hochschulmedizin. Auf der Homepage www.landkarte-hochschulmedizin.de befindet sich eine umfassende Übersicht aller wichtigen Kenndaten der 36 medizinischen Fakultäten und der dazugehörigen Universitätskliniken – ob nun die Bettenzahl, die wissenschaftlichen Publikationen, die Höhe eingeworbener Drittmittel oder Zahl der Studienbewerber. Die Landkarte Hochschulmedizin sei ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz, erläuterte Dr. med. Henning Saß, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Aachen. „Der wissenschaftliche Nachwuchs macht mehr und mehr Gebrauch davon, sich auf der Seite über die Fakultäten und Forschungsschwerpunkte zu informieren.“

Ein Vergleich der Fakultäten dürfte in Zukunft immer interessanter werden. Denn seitdem der Bund aus der Hochschulbauförderung ausgestiegen ist, spätestens aber mit den Plänen der Bundesregierung, das Hochschulrahmengesetz zum Herbst abzuschaffen, ist klar: Eine Einheitlichkeit ist politisch nicht mehr gewollt, vielmehr soll es einen Wettbewerb zwischen den Bundesländern und den einzelnen Universitäten geben. Auf die Hochschulmedizin kommen außerdem weitere gesundheitspolitische Grundsatzentscheidungen zu, denn der ordnungspolitische Rahmen für Krankenhäuser wird neu geregelt. Umso wichtiger sei es, sich Differenzierungsprozessen nicht zu verschließen, sagte Wedig von Heyden, Generalsekretär des Wissenschaftsrats (WR). „Ich bin immer wieder überrascht, dass sich einige Fakultäten noch nicht strategisch ausgerichtet haben“, be-mängelte er. Angesichts des wirtschaftlichen Drucks auf die Universitätsmedizin seien eine schonungslose Stärken-Schwächen-Analyse und eine Profilbildung jedoch unerlässlich. Von Heyden betonte, die Exzellenzinitiative habe eine enorme Dynamik ins Wissenschaftssystem gebracht. Sicherlich sei sie aber nicht das Maß aller Dinge. Auch die Lehre könne ein Feld für die Profilbildung einer Fakultät sein. Eine Möglichkeit sei beispielsweise die Einrichtung von Professuren mit dem Schwerpunkt auf der Lehre.

Die medizinischen Fakultäten haben mehr Möglichkeiten denn je, sich zu profilieren. Das fängt bei der Auswahl der Studierenden an. Bis zu 60 Prozent der Studierenden können sie selbst auswählen. Nicht alle medizinischen Fakultäten nutzen diese Chance aber gleichermaßen. Dabei führen gerade Auswahlverfahren dazu, dass sich die Studierenden besser auf das Studium vorbereiten und eine größere Bindung an die Hochschule entwickeln, wie Prof. Dr. rer. pol. Detlef Müller-Böling, Zentrum für Hochschulentwicklung in Gütersloh, erläuterte. Bemerkenswert ist, dass der Medizinertest eine Renaissance erlebt. Er wird in Baden-Württemberg wieder eingesetzt. Auch Hamburg hat einen Studierfähigkeitstest entwickelt. Müller-Böling sprach sich jedoch für eine Erweiterung der Formel „Note plus Test“ aus, um der Individualität der Studierenden und der Hochschulen gerecht zu werden und auch die Motivation der Bewerber zu beurteilen.

An vielen Standorten ist auch eine Renaissance der Vorlesung zu verzeichnen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter den Fakultäten. „Der innovative Schwung nach Einführung der neuen Approbationsordnung hat offenbar nachgelassen“, schlussfolgerte Prof. Dr. rer. nat. Peter Dieter, Studiendekan der medizinischen Fakultät in Dresden. Ebenfalls wenig innovativ sind die universitären Prüfungen: Im klinischen Abschnitt sind rund 90 Prozent der Examen schriftlich, die meisten bestehen aus Multiple-Choice-Fragen. Eine angemessene Vorbereitung auf das praktische Jahr und den mündlich-praktischen Teil im Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung findet vielerorts nicht statt. Eine gute Lehre ist zeit- und personalaufwendig – und hat noch nicht den Stellenwert, den sie verdient. Die Reputation der Lehre müsse steigen, forderte auch WR-Generalsekretär von Heyden. „Bislang reden wir von Forschungsfreiheit und Lehrbelastung“, gab er zu bedenken.
Dr. med. Birgit Hibbeler

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