KULTUR
Prähistorische Bilder der Leishmaniasis: Bestaunenswerte Realistik


Gewebedestruktion
– Defekt des linken
Nasenflügels
(Moche-Tonplastik,
Museo Cassinelli,
Trujillo/Peru)
Fotos: Jürgen Heck
Die Protozoen-Gattung Leishmania gehört zu den wenigen Krankheitserregern, die bereits vor der transkontinentalen Kontaktaufnahme durch Christoph Kolumbus 1492 sowohl in Eurasien als auch in Amerika vorkamen. Die von ihr hervorgerufenen Syndrome (Oberbegriff: Leishmaniasis, auch Leishmaniose oder Leishmaniase) umfassen altweltlich Kala-Azar und Orientbeule, neuweltlich die kutane und die mukokutane Form. Nur diese Letztere ist gemeint, wenn hier verkürzend von Leishmaniasis die Rede ist. In Peru heißt sie seit jeher Uta oder Espundia. Sie verursacht progressive Gewebsdestruktionen im Mund-Nasen-Gaumen-Bereich. Zu ihren Endemiegebieten gehörten bis zur breiten Anwendung von Insektiziden die warmen Flusstäler der westlichen Andenflanke Perus. Dort war das „Nasenübel“ schon alteingesessen, als Francisco Pizarro ab 1532 das Inka-Reich eroberte. Trotz der Verseuchung wurden die Fluss-täler niemals aufgegeben, denn sie sind die einzigen fruchtbaren Landstriche in dieser ariden Region.
Die endemische Begrenzung auf die Flusstäler ist erklärlich. Überträger der Leishmaniasis sind winzige Sandmücken. Sie brauchen feuchtes Milieu für Nistplätze und Windstille für den Flug. In den angrenzenden Gebieten sind sie nicht lebensfähig. Das wüstenhafte Küstenvorland ist zu trocken, das Hochland zu windig. An der Nordküste Perus waren die Flusstäler etwa von der Zeitenwende bis circa 800 n. Chr. Lebensraum eines Volkes, das nach einem althergebrachten Toponym Moche (oder auch Mochica) genannt wird. Verbale Informationen über dieses prähistorische Volk gibt es nicht.
Zu den Hinterlassenschaften der Moche gehören Tonplastiken, die einen hohen Grad an Realismus erreichen. Neben vielen anderen Motiven sind darunter auch Darstellungen verstümmelter Gesichter. Dafür war offensichtlich Leishmaniasis das Vorbild. Die Krankheit muss für die Moche eine besondere Bedeutung gehabt haben. Offensichtlich brachte ein magisches Weltverständnis sie mit Vegetation in Zusammenhang, denn alle Erdenfruchtbarkeit, von der die Moche existenziell abhängig waren, fiel räumlich mit dem Auftreten der Leishmaniasis zusammen. Die meisten Gesichtsverstümmelungen, die Moche-Tonplastiken präsentieren, bilden allerdings nicht Leishmaniasis selbst ab, sondern künstliche Nachahmungen der Leishmaniasis durch Beschneidungen an Nase und Lippen – eine mit altindianischem Opferbrauch gut vereinbare Deutung. Auch Leishmaniasis selbst wird abgebildet, allerdings viel seltener. Die Realistik dieser selteneren Nachbildungen der Krankheit selbst ist bestaunenswert. Neben Defekten sieht man auch Anschwellungen, ganz wie bei entzündlicher Krankheit zu erwarten. Die Darstellungen sind unstilisiert, unstandardisiert. Ihre Variabilität passt zur vielgestaltigen Symptomatik der Leishmaniasis.
Dr. med. Jürgen Heck