ArchivDeutsches Ärzteblatt25/2008Arzneimittelfälschungen: Wie ein Ei dem anderen

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Arzneimittelfälschungen: Wie ein Ei dem anderen

Richter-Kuhlmann, Eva

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Deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr: Im Jahr 2007 registrierte der deutsche Zoll 3 200 Fälle von gefälschten Arzneimitteln. Foto: ABDA
Deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr: Im Jahr 2007 registrierte der deutsche Zoll 3 200 Fälle von gefälschten Arzneimitteln. Foto: ABDA
Die Zahl der gefälschten Medikamente nimmt deutlich zu, warnt das Bundeskriminalamt. Betroffen sei vor allem der illegale Internethandel. Deutsche Apotheken gelten nach wie vor als sicher.

Genau 19 Bestellungen des Haarwuchsmittels Propecia® löste das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) probeweise per Internet aus – immer ohne Vorlage eines gültigen Rezepts. Unter den 14 gelieferten Präparaten waren sechs Fälschungen. Bei vier von ihnen ließ sich im Labor nicht die Spur eines Wirkstoffs entdecken; zwei Präparate enthielten eine niedrigere Dosis. Äußerlich jedoch glichen sich die Tabletten wie ein Ei dem anderen. „Der Laie hatte keine Chance, die richtigen Medikamente von den gefälschten zu unterscheiden“, berichtete Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Leiter des ZL und Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft.

Diese Testbestellung des ZL zeigt keinen Einzelfall. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass von den über das Internet vertriebenen Medikamenten mehr als die Hälfte gefälscht sind. In den Entwicklungsländern sind aufgrund unzureichender Kontrollen zehn bis 30 Prozent, zum Teil sogar mehr als 50 Prozent der vertriebenen Arzneimittel Fälschungen.

„Gefälschte Medikamente sind nicht nur ein Problem der Entwicklungsländer. Zunehmend gelangen auch Fälschungen nach Europa und Deutschland“, erklärte Magdalene Linz, Präsidentin der Bundesapothekerkammer, anlässlich des „Tages der Apotheke“ am 12. Juni. Einfallstore seien der Schwarzmarkt und dubiose Internetversender.

Die legale Verteilerkette ist weitgehend sicher
Die Mehrzahl der Deutschen ist sich dieser Gefahr offenbar bewusst. Bei einer repräsentativen Forsa-Umfrage bei mehr als 1 000 Erwachsenen hielten 74 Prozent der Befragten das Risiko für groß, ein gefälschtes Medikament über das Internet zu erhalten. Als sicher beurteilten sie den Bezug von Arzneimitteln über die Apotheke oder beim Arzt/Ärztin, etwa als Ärztemuster. Nur fünf bis sechs Prozent der Befragten können sich hier die Abgabe einer Fälschung vorstellen.

Das Bundeskriminalamt (BKA), das seit November 2007 für die Strafverfolgung des international organisierten illegalen Handels mit Arzneimitteln zuständig ist, schätzt die Fälschungsrate hierzulande auf weniger als ein Prozent. 2007 erfasste das Amt 2 400 Fälle von Arzneimittelfälschungen. Die meisten davon betrafen den illegalen Internethandel. Die legale Verteilerkette ist dagegen nach Einschätzung des BKA für die Patienten und Patientinnen weitgehend sicher. Dort registrierte es von 1996 bis Anfang 2008 lediglich 49 Fälle von Arzneimittelfälschungen, davon elf Totalfälschungen. Von 38 dieser Fälle war Deutschland direkt betroffen. In keinem der Fälle sei es zu nachhaltigen Schädigungen oder gar zum Tod von Patienten gekommen, teilte Dr. Frank Lippert vom BKA Wiesbaden mit.

Dafür, dass hierzulande ein geringes Risiko besteht, an ein gefälschtes Medikament zu gelangen, sorgen verschiedene gesetzliche Vorkehrungen. „Dennoch ist davon auszugehen, dass der illegale Arzneimittelmarkt auch hier zunehmen wird“, erklärte Arnold Schreiber, Ministerialdirigent im Bundesgesundheitsministerium. Besorgniserregend sei vor allem das Vorkommen illegaler Arzneimittel zu Dopingzwecken (Anabolika) sowie von potenzsteigernden Mitteln und Appetitzüglern aus dubiosen Quellen. Vereinzelt gebe es bereits Hinweise auf organisierte Täterstrukturen, berichtete Lippert. Angezogen würden sie durch große Gewinnspannen – zum Teil höher als beim Rauschgifthandel. So ließen sich mit Anabolika-Rohstoff im Wert von 100 Euro Präparate für 10 000 Euro herstellen und verkaufen.

„Arzneimittel zu fälschen ist finanziell attraktiv und war bislang mit einem geringen Aufdeckungsrisiko verbunden“, bestätigte Schreiber. Das soll sich jedoch ändern. Bereits jetzt erschweren die 12. und 14. Novellierung des Arzneimittelgesetzes (AMG) sowie das im vergangenen Jahr verschärfte Doping-strafrecht Arzneimittelfälschungen. Eingeführt wurden höhere Strafandrohungen und verbesserte Ermittlungsmöglichkeiten, eine lückenlose Regelung der Arzneimittelvertriebswege, eine intensivierte Überwachung der Vertriebswege sowie eine Erlaubnispflicht für pharmazeutische Großhandelsbetriebe. „Mit dem Vorschlag, den Handel mit Arzneimittelfälschungen auch dann zu bestrafen, wenn Deutschland nur Durchgangsland für die Produkte ist, möchten wir im Rahmen der 15. AMG-Novelle ein weiteres, klares Zeichen setzen“, sagte Schreiber.

Für Arzneimittelhersteller bedeuten gefälschte Medikamente oder auch gefälschte Verpackungen einen großen finanziellen Schaden, da oftmals ganze Chargen zurückgerufen werden müssen. Eng arbeiten sie deshalb mit den Zollbehörden zusammen und haben bereits eine Reihe von fälschungserschwerenden Kennzeichen etabliert, mit denen sich nachweisen lässt, ob es sich bei einem Arzneimittel um ein Original oder eine Fälschung handelt. Allerdings gelingt es den Fälschern oftmals innerhalb kurzer Zeit, auch solche Marker zu fälschen. Es gab sogar bereits Fälle, bei denen die Fälschungen Marker aufwiesen, das Originalprodukt aber nicht.

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller möchte deshalb ein 2D-Barcode-Modell des Europäischen Pharmaverbandes EFPIA, das Medikamentenpackungen wie Onlinefahrkarten oder Flugtickets mit einem 2D-Barcode versieht, testen und einführen. Die Apotheker stehen dem aus Kostengründen skeptisch gegenüber. Verhandlungen auf EU-Ebene würden jedoch laufen, berichtete Linz. Eine Entscheidung sei im nächsten Jahr wahrscheinlich.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

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