ArchivDeutsches Ärzteblatt25/2008Pilotprojekt: Wenn das Callcenter klingelt

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Pilotprojekt: Wenn das Callcenter klingelt

Meißner, Marc

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Anruf von der DAK – examinierte Krankenschwestern und Pfleger betreuen seit Anfang des Jahres chronisch Erkrankte über das Telefon. Foto: DAK/Wigger
Anruf von der DAK – examinierte Krankenschwestern und Pfleger betreuen seit Anfang des Jahres chronisch Erkrankte über das Telefon. Foto: DAK/Wigger
Anfang des Jahres startete die DAK das Programm „Besser leben“. Ein Callcenter berät dabei chronisch Kranke im Therapiealltag. Hausärzte in den betroffenen Bundesländern sind der Ansicht, die Kasse überschreite damit ihre Kompetenzen.

Um die Betreuung chronisch Kranker zu verbessern, startete die DAK Anfang des Jahres ihr Pilotprojekt „Besser leben“. Ungewöhnlich – und bei vielen Ärztinnen und Ärzten umstritten – ist, dass ein Callcenter die Patienten in ihrem Therapiealltag unterstützen soll. Hierzu hat die DAK einen Vertrag mit der amerikanischen Firma Healthways geschlossen, die seit 1. Januar 2008 die telefonische Beratung übernommen hat. Als Teilnehmer werden DAK-Versicherte aus Bayern und Baden-Württemberg eingeladen, die an Diabetes mellitus, koronarer Herzinsuffizienz oder chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen leiden. Nach Auskunft der DAK haben sich mittlerweile 30 000 chronisch Erkrankte eingeschrieben. Im Laufe des Jahres sollen es 50 000 werden.

Wie die Krankenkasse mitteilt, ist es das Ziel, durch die therapiebegleitende Betreuung die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und dadurch Kosten zu sparen. Die chronisch Kranken werden nicht nur bei der Einnahme ihrer Medikamente telefonisch unterstützt, sondern auch bei der Umstellung ihrer Lebensgewohnheiten gefördert. Dies umfasst sowohl eine Ernährungsberatung als auch die Unterstützung von sportlichen Aktivitäten. „Wir schaffen es, den Patienten im wahrsten Sinne des Wortes zu bewegen, ihn zu einer gesünderen Lebensweise zu motivieren“, sagt Dr. Michael Klein, Geschäftsführer von Healthways Deutschland. Von der so erhöhten Therapietreue verspricht sich die DAK eine Senkung der Behandlungskosten und eine Verringerung der medizinischen Komplikationen. In den Vereinigten Staaten sind solche Beratungskonzepte nichts Ungewöhnliches. Healthways, dort seit mehr als 25 Jahren als Gesundheitsdienstleister etabliert, konnte laut der Studie einer US-amerikanischen Krankenkasse durch die telefonische Beratung 14 Prozent der Kosten einsparen. Die Zahl der Notfalleinsätze und Krankenhauseinweisungen verringerte sich noch deutlicher.

Kritik der Hausärzte
Mit dem Pilotprojekt „wagt die DAK einen großen Schritt und widmet sich mit dem Case-Management für chronisch Erkrankte einem wichtigen Thema“, lobt Dr. med. Axel Munte, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, das Programm. Aus der bayerischen Ärzteschaft gibt es jedoch auch kritische Stimmen. Eingriffe in die Therapie durch den Callcenter-Berater werden befürchtet, beispielsweise durch Empfehlungen günstiger Medikamente zur Kostenersparnis. Der Hausarzt sei durch die telefonische Betreuung auch nicht mehr erster Ansprechpartner der Patienten. „Die Rolle des Arztes wird durch unser Programm nicht infrage gestellt. Im Gegenteil: Die Diagnosestellung, ärztliche Therapie und die notwendigen Folgeuntersuchungen bleiben selbstverständlich Aufgabe des betreuenden Haus- oder Facharztes“, versichert dagegen Wilfried Erbe, Landesgeschäftsführer der DAK Bayern.

Für die Umsetzung des Projekts errichtete Healthways im brandenburgischen Henningsdorf ein Callcenter, in dem 100 examinierte Krankenschwestern und Pfleger die Patienten beraten. Die Betreuung richtet sich dabei an den Therapievorgaben des Arztes aus. Im ersten Gespräch zwischen Patient und Callcenter-Mitarbeiter fragt dieser die ärztlich vereinbarten Therapieziele und Maßnahmen ab. Mithilfe einer speziellen Software werden dann anhand des Gesprächsverlaufs und der Morbidität des Patienten individuelle Therapieoptionen entwickelt. Darüber hinaus wird über die Integration der Maßnahmen in den Alltag geredet. Es werden Teilziele definiert, die es dem Patienten erleichtern sollen, nach und nach seine Lebensgewohnheiten umzustellen. Zum Beispiel wird, um dem Patienten mehr Bewegung zu verschaffen, mit ihm vereinbart, dass er ein paar Runden ums Haus geht oder Besorgungen zu Fuß statt mit dem Wagen erledigt. Im Durchschnitt soll ein Anruf 20 bis 30 Minuten dauern.

Die Betreuung durch eine Kapitalgesellschaft wie Healthways halten viele für problematisch. So warnt der Bayerische Hausärzteverband vor einer Amerikanisierung des Gesundheitssystems. „Es stellt sich die Frage, weshalb gerade das amerikanische Gesundheitssystem trotz Healthways und Callcenter eines der teuersten der Welt ist und warum sich 30 Prozent der amerikanischen Bürger keine Krankenversicherung leisten können und im Falle einer schweren Erkrankung verelenden“, so Dr. med. Wolfgang Hoppenthaller, Vorsitzender des Bayrischen Hausärzteverbands. Healthways-Geschäftsführer Klein weist diesen Vorwurf zurück. „Es geht vielmehr darum, Errungenschaften aus den USA sinnvoll hier in Deutschland zu nutzen.“

Kritisch ist vor allem die Weitergabe von Daten an ein Privatunternehmen. Dies wirft nicht nur die Frage nach dem grundsätzlichen Datenschutz von Patientenakten auf, sondern auch die Frage nach einer möglichen Weiterverwertung durch Healthways. In den Vereinigten Staaten betreut das Unternehmen nicht nur Versicherte bestimmter Krankenkassen. Dort können beispielsweise Arbeitgeber für ihre Mitarbeiter Programme buchen, die diese dabei unterstützen, Sport zu treiben, abzunehmen oder mit dem Rauchen aufzuhören. Bei einer vergleichbaren Ausweitung ihres Angebots in Deutschland könnten Patientenakten zu einem wertvollen Gut werden. „Die Callcenter dieses Unternehmens sind dazu vorgesehen, die Daten der Patienten zu sammeln und künftig die Patientenströme in die Medizinischen Versorgungszentren der privaten Klinikketten zu lenken – vorbei an den niedergelassenen Fachärzten“, prognostiziert Hoppenthaller. Die DAK dagegen gibt an, dass im Vorfeld in Abstimmung mit dem Bundesversicherungsamt alle notwendigen Maßnahmen getroffen wurden, um die Datensicherheit zu gewährleisten. Dies umfasse sowohl eine datenschutzrechtliche Kontrolle von Healthways als auch einen vertraglich geregelten Umgang mit den Patientenakten. Das Unternehmen darf die Daten nur projektbezogen verarbeiten und nicht weiter nutzen oder längerfristig speichern. Wie hoch die Einsparungen durch ein telefonisches Betreuungsprogramm von chronisch Kranken sein werden, wird sich erst im Laufe des dreijährigen Pilotprojekts zeigen.
Marc Meißner

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