ArchivDeutsches Ärzteblatt28-29/2008Folteropfer: „Wo waren die Ärzte?“

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Folteropfer: „Wo waren die Ärzte?“

Merten, Martina

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Foto: dpa
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Für sein Buch über die Mittäterschaft von Militärärzten und Sanitätspersonal in US-Gefängnissen wertete Steven Miles mehr als 3 500 Dokumente aus.
Was der Arzt und Professor für Medizinische Ethik herausfand, ist eine Schmach für die Profession.

Steven Miles wollte genau hinschauen. Schließlich hatten bereits viel zu viele einfach weggesehen, dachte sich der Professor für Innere Medizin am Center for Bioethics der University of Minnesota Medical School/USA. Ärzte und Sanitäter in den US-Militärgefängnissen Abu Ghraib und Guantanamo hatten weggeschaut, als Insassen gefoltert wurden, fand Miles im Zuge seiner Recherchen heraus. Sie hatten es unterlassen, die Gefolterten im Anschluss ärztlich zu versorgen. Der Professor wertete Berichte von Ermittlungsbehörden der US-Army, des FBI, Zeugenaussagen von Gefangenen, Krankenakten sowie Autopsieberichte aus – und fasste die Ergebnisse in seinem Buch „Verratener Eid: Folter, Komplizenschaft medizinischen Personals und der Krieg gegen den Terror“ zusammen.

Quälerei trotz UN-Verbot
Vor dem Hintergrund der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen sind Miles Rechercheergebnisse umso erschreckender: Dem 1984 beschlossenen Abkommen zufolge dürfen Kriegsgefangenen keine körperliche oder seelische Folter oder andere Zwangsmaßnahmen zugefügt werden, um Informationen jeglicher Art zu beschaffen. Eine humane Behandlung ist oberstes Gebot. 145 Staaten haben die Konvention ratifiziert, darunter auch die USA. Doch sowohl im Irak als auch in Afghanistan und Guantanamo kam es Miles Untersuchungen zufolge zu Foltermaßnahmen – darunter Schläge, Elektroschocks, sexuelle Demütigung und Schlafentzug.

Die politische Linie der USA war von vornherein eindeutig. So erließ das Weiße Haus ein Memorandum, in welchem „keine der Bestimmungen der Genfer Konvention anzuwenden sind, da Al-Qaida keine Vertragspartei des Abkommens ist“. Es gehöre allerdings zu den politischen Grundsätzen der Vereinigten Staaten von Amerika, dass die US-Streitkräfte Gefangene „human und in dem Umfang, wie es die militärischen Notwendigkeiten gestatten und in Übereinstimmung mit diesen behandeln“. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld genehmigte sogenannte Harsh Counter Resistance Techniques in Verhören, nach denen die Genfer Konvention militärischen Notwendigkeiten untergeordnet wird. Diese militärischen Notwendigkeiten machten auch medizinische Fachkenntnisse erforderlich, wie Rumsfeld befand. In Verhören von Gefangenen müssten deren „physische Stärken und Schwächen“ berücksichtigt werden, weshalb ein spezifisch ausgearbeiteter Verhörplan medizinisches Fachwissen unumgänglich mache. Ärzte hatten also im Vorfeld darüber zu entscheiden, wie lang ein Schlafentzug dauern darf, welche Positionen Stress für die Gefangenen bedeuten oder wie lange sie Kälte oder Hitze ausgesetzt sein dürfen. Auch verhaltenspsychologisch entwickelte Verhörpläne kamen zum Tragen, fand Miles heraus. Ein Arzt gestand später ein, dass das ärztliche Einverständnis zu Verhörplänen zum Problem wurde, weil es die Ärzte weit von der ganz normalen Fürsorge für Gesundheit und Wohlergehen entfernt habe. „Wo waren die Ärzte?“, fragt Miles bei der Vorstellung seines Buchs in Berlin. „Selbst wenn sie nicht anwesend waren – sie haben die Folgen gesehen.“

Besonders erschreckend findet Miles daher das Verhalten der Pathologen. Schließlich hätten sie regelmäßig verweigert, Todesbescheinigungen bei Tod durch Folter herauszugeben. Sie schwiegen, wenn Beamte des Pentagons wahrheitswidrig verlautbarten, dass Gefangene, die zu Tode geprügelt worden waren, eines natürlichen Todes gestorben seien. Diese Ärzte, erbost sich Miles, habe niemand für ihre Taten belangt – und dies habe zum „Bruch der medizinischen Ethik in den USA“ geführt.

Neue Deklaration erforderlich
Das Geschehene sei nicht zu revidieren. Allerdings ist es nach Ansicht von Miles an der Zeit, die einzelnen, über unterschiedliche Menschenrechtsdokumente verstreuten Inhalte zusammenzufassen und ein „Nachfolgedokument der Deklaration von Tokio“ zu entwickeln. Dieses soll die Gefängnisärzte in den Mittelpunkt stellen. In der „Erklärung von Tokio“ hatte der Weltärztebund 1975 Richtlinien für Ärzte hinsichtlich Folter und anderer Formen grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Bestrafung in Verbindung mit Gefangenschaft aufgestellt. Der von Miles vorgeschlagene Entwurf einer neuen Deklaration gibt Hinweise zum Verhalten von Ärzten in Verhörsituationen, zum Umgang mit Krankenakten und zur Meldung von Folter. Darüber hinaus legt Miles dar, was Zulassungsorgane wie Ärztekammern zu tun haben, wenn eine ärztliche Mittäterschaft besteht (siehe auch Hamburger Ärzteblatt 3/2008, Forum).
Martina Merten

Weitere Informationen:
Aktionsnetzwerk Heilberufe von
Amnesty International;
www.ai-aktionsnetz-heilberufe.de

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