ArchivDeutsches Ärzteblatt28-29/2008Schleichwerbung im Fernsehen: Nicht allein der Produktname macht’s

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Schleichwerbung im Fernsehen: Nicht allein der Produktname macht’s

Tuffs, Annette

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Szene aus der Krankenhausserie „In aller Freundschaft“ Foto: ZB – Fotoreport
Szene aus der Krankenhausserie „In aller Freundschaft“ Foto: ZB – Fotoreport
Die derzeit erfolgreichste deutsche Krankenhausseifenoper „In aller Freundschaft“ in der ARD ist ins Gerede gekommen, weil sie Folgen, die bis 2005 nachweislich für Arzneimittelwerbung produziert worden waren, nicht entsorgt hat, sondern munter mit veränderten Pro-duktnamen im Sommerprogramm 2008 in fast allen Regionalprogrammen der ARD wiederholt.

Für anstößig hält dies der Deutsche Rat für Public Relations. In einem offenen Brief an den ARD-Intendanten Fritz Raff weist er darauf hin, dass Handlung und Dialoge fast unverändert seien: „Der intendierte Schleichwerbeeffekt wird erreicht.“ Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR), verantwortlicher ARD-Sender, hält die Änderungen indes für völlig ausreichend.

„Operette in Mull“ betitelte das Magazin „Focus“ am 23. Juni 2008 den Seriendauererfolg: Trotz eines mühsamen Starts vor zehn Jahren steht Deutschlands beliebteste Klinik schon längst nicht mehr im Schwarzwald, sondern in Sachsen. Jeden Dienstagabend um 21 Uhr geht die deutsche Hausmannskost „In aller Freundschaft“ – bislang ohne prominente Schauspieler – gegen den Kult-Zyniker „Dr. House“ bei RTL ins Rennen und liegt mit einer Quote von rund 5,6 Millionen Zuschauern stets vor dem Medizinserienimport aus den USA (circa 4,3 Millionen Zuschauer), allerdings nicht bei der interessanten Werbe-zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen.

Das dürfte die Pharmafirmen und ihre Werbeagentur wenig gestört haben, als sie von 2000 bis 2005 ihre Produkte in der Krankenhaussoap unterbrachten. Zum Preis von bis zu 3 000 Euro, der an die MDR-Produktionsfirma Saxonia, eine Tochterfirma mehrerer ARD-Sendeanstalten, gezahlt wurde, wurden nicht nur Produktnennungen, sondern ganze Drehbücher verkauft.

Der Schleichwerbeskandal der ARD betraf auch so renommierte Serien wie den „Tatort“; die Produkte stammten aus verschiedensten Branchen, vom Lebensmittel bis zum Auto oder Arzneimittel. Aufgedeckt hat den Missstand 2005 der Medienjournalist Volker Lilienthal (Evangelischer Pressedienst). Als Konsequenz verordnete sich die ARD zerknirscht eine „Clearing-Stelle Schleichwerbung“; Hersteller, darunter sieben Pharmafirmen, wurden offiziell gerügt, die TV-Produktionsfirmen trennten sich von Mitarbeitern, und beworbene Episoden wurden bearbeitet, sprich Logos und Produktbilder entfernt, Produktnamen ausgetauscht gegen erfundene Namen.

Aber reicht dies aus? Aufschlussreich ist die Episode 85 aus dem Jahr 2000, die im Blog des renommierten Medienjournalisten Stefan Niggemeier zu sehen ist: www.stefan-niggemeier.de/blog/tag/mdr. Ein von schwerer Arthritis und Magenblutungen durch herkömmliche Rheumamedikamente geplagter Patient bettelt darum, ebenfalls wie seine Mitpatienten, die an einer klinischen Studie teilnehmen, ein neues vielversprechendes Medikament zu bekommen. Im Original aus dem Jahr 2000 handelte es sich um einen Cox-2-Blocker, in der überarbeiteten Fassung von 2008 um einen Rag-2-Blocker. Die Geschichte geht gut aus: Die Ärztin verabreicht dem verzweifelten Patienten trotz Verbots des Chefarztes das Medikament, der Patient erholt sich, und die Studie wird wegen großen Erfolgs vorzeitig abgebrochen, sodass einer legalen Medikamentengabe nun nichts mehr im Weg steht: große Versöhnung und Umarmung von Chefarzt und mutiger Ärztin. „Der interessierte Zuschauer kann den konkreten Produktbezug selbst herstellen“, moniert der Deutsche Rat für Public Relations und weist darauf hin, dass Handlungsstränge oft wirksamer seien als Produktnennungen.

Der MDR sieht die Vorwürfe als unberechtigt an. „Bezahltes Product- und Themenplacement war und ist für den MDR absolut inakzeptabel“, sagt MDR-Pressesprecherin Birthe Gogarten. Durch die Bearbeitung und Ersetzung der Produktnamen durch fiktive Namen lasse sich kein Bezug mehr zu irgendeinem Medikament oder Forschungsfeld herstellen. Und: „Die Handlungsstränge handeln von normalen Krankheiten, die tagtäglich in normalen Krankenhäusern vorkommen.“ Zumindest für die 85. Episode darf dies infrage gestellt werden.
Annette Tuffs

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