

Auf stolze 4,5 Kilometer
Gesamtlänge
kommen die
Bücherregale im
Dorf.
Fotos: Ulrich Willenberg
Reisen bildet. Diese viel zitierte Weisheit hat im norwegischen Fjærland eine besondere Bedeutung. 250 000 antiquarische Bücher warten in dem Ort auf Käufer – und das bei einer Einwohnerzahl von nur 300. Eigentlich könnten die Dörfler Tag und Nacht schmökern. Doch tatsächlich erweisen sie sich eher als Lesemuffel.
„Die Leute aus Fjærland lesen nicht viel“, sagt Kari Kvamme. Zusammen mit ihrem Mann Claus leitet sie das beeindruckende Antiquariat am Ufer eines der schönsten Fjorde Norwegens. Zu tun hat das Ehepaar trotz der Lesefaulheit der Einheimischen genug. Denn es sind vor allem Touristen, die sich hier mit Lektüre versorgen. Darunter sind auch viele Deutsche.
„Viele kommen nur wegen der Bücher nach Fjærland“, weiß Claus Kvamme, pensionierter Gymnasiallehrer wie seine Frau. Das Angebot ist riesig. „Unsere Regale haben eine Gesamtlänge von 4,5 Kilometern“, rechnet er vor. Die Bücher und Zeitschriften sind über zwölf Gebäude im ganzen Ort verstreut, darunter auch in einem früheren Kuhstall. Einige Tausend Exemplare gibt es allein in deutscher Sprache, von Schillers gesammelten Werken über Heinrich Böll bis hin zu Johannes Mario Simmel.
Viele kommen nur wegen der
Bücher nach Fjærland.
Claus Kvamme
Im Sommer ist das Antiquariat jeden Tag bis 18 Uhr geöffnet. Und wenn einmal nachts der Lesestoff ausgeht? Kein Problem. Am Rand der Hauptstraße stehen mehrere wettergeschützte Regale mit Hunderten von Büchern, darunter auch die „Männerphantasien“ eines deutschen Autors.
Der gemütlichste Ort zum Lesen ist das Turmzimmer des altehrwürdigen Hotels Mundal. Von der Badewanne aus bietet sich ein Traumblick auf den bis zu 2 000 Metern hohen Gletscher Jostedalsbreen. Das hat natürlich seinen Preis. Hier übernachteten schon viele Prominente, darunter das norwegische Königspaar, ein Maharadscha und der frühere US-Vizepräsident Walter Mondale, dessen Urgroßeltern in dem Dorf aufwuchsen. Im Erdgeschoss der Herberge kommen die Krimifreunde auf ihre Kosten. Im „Uncle Mikkel book café“ stehen Hunderte Krimis zur Auswahl. Für Gänsehaut sorgt nicht nur die Lektüre, sondern auch der Wind, der durch die undichten Fenster pfeift.
Finanziert wurde das Hotel von den Bauern des Dorfes. Sie liehen den Gründern im Jahr 1891 im Schnitt 25 Kronen – das war damals viel Geld. Doch die Investition zahlte sich schnell aus, bereits nach zehn Jahren konnte der Kredit zurückgezahlt werden. Die wohlhabenden Gäste ließen sich von den Bauern in Pferdewagen zum Gletscher kutschieren.
Doch als Anfang der 20er-Jahre erstmals Autos die Touristen transportierten, ging diese gemütliche Zeit zu Ende. Bis heute besitzt das Hotel einen Cadillac von 1923, um Urlauber durch die Gegend zu chauffieren. Nicht geeignet ist das riesige Gefährt jedoch für eine Tour zu der Alm Fjellstølen. Drei Kilometer oberhalb gelegen, ist die Wiese ein besonders schöner Platz, um sich in ein Buch zu vertiefen. Wenn es nicht mal wieder regnet.
Ab Oktober fällt Fjærland in einen Dornröschenschlaf. Dann schließt das Hotel Mundal, auch das Antiquariat macht bis Ende April dicht. Bei Temperaturen von bis zu minus 20 Grad Celsius versinkt das Dorf im Winter manchmal im Schnee. Für die Kvammes bleibt dann viel Zeit zum Lesen.
Ulrich Willenberg
Weitere Informationen: www.visitnorway.com; www.fjaerland.org
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