POLITIK: Leitartikel
Arbeitsmarkt für Ärzte: Es wird enger


Die Mediziner-Arbeitslosigkeit ist Realität und nicht Ausfluß von Zweckpessimismus und vagen
Trendmeldungen. Allerdings ist die Quote der Ärztinnen und Ärzte unter 65 Jahren, die ohne ärztliche
Tätigkeit sind oder berufsfremd arbeiten, mit 3,7 Prozent im Bundesdurchschnitt noch gering, sie schwankt
aber von Ärztekammer zu Ärztekammer. Im Bereich der Landesärztekammer Hessen wurden vor Jahresfrist
rund 7,5 Prozent arbeitslose Ärzte registriert, in anderen Bereichen sind es geringfügig weniger. Unter
denjenigen, die nach Abschluß ihrer Tätigkeit die Pflichtphase als Arzt im Praktikum absolvieren, gaben rund
sechs Prozent an, ohne Tätigkeit zu sein. Die Ermittlung der Dunkelziffer von ebenfalls arbeitslosen, aber nicht
registrierten Ärztinnen und Ärzten wird dadurch erschwert, daß diejenigen, die ihren Beruf nicht ausüben,
keiner Meldepflicht unterliegen.
Zwar ist die Situation auf dem Mediziner-Arbeitsmarkt zur Zeit noch nicht so dramatisch wie beispielsweise
auf dem der Juristen, Lehrer, Journalisten oder freischaffenden Künstler. Bei der derzeitigen Konjunkturlage
und den knappen öffentlichen Kassen und der klammen Finanzsituation der Sozialleistungsträger ist aber zu
befürchten, daß sich die schlechte Lage bald angleichen wird. Von einem früher noch privilegierten und
konjunkturunabhängigen Arbeitsplatz für Mediziner kann heute nicht mehr die Rede sein. Von der
Dauerarbeitslosigkeit sind in den alten Bundesländern vor allem die Berufsanfänger und Hochschulabsolventen
betroffen, in den neuen Ländern vor allem die Altersgruppe der über Fünfzigjährigen und die Ärztinnen.
Sicher schränkt die Finanzmisere in den öffentlichen Haushalten und insbesondere in der Gesetzlichen
Krankenversicherung die Beschäftigungsmöglichkeiten in Praxis und Klinik und in den übrigen Einrichtungen
des Gesundheitswesens weiter ein. Die Stellensuche vor allem im Krankenhaus wird schwieriger, weil oftmals
nur befristete Verträge mit meist kurzer Vertragsdauer angeboten werden, weil für die Weiterbildung geeignete
Stellen wegen der Bettenstillegung und Klinikschließungen entfallen, der Arbeitsdruck wächst und die
Vergütungen für Berufsanfänger in den Kliniken nicht gerade rosig sind.
Bald Stellenpläne für Ärzte?
Wegen der unverändert restriktiven Bedarfsplanung, vieler gesperrter Niederlassungsbezirke (bereits 72
Prozent aller Regionen sind für Ärzte "dicht") und eines ab 1999 drohenden Niederlassungsstopps oder
zumindest einer reglementierten Bedarfszulassung wird auch unter verschlechterten steuerlichen Bedingungen
der Dauerarbeitsplatz für Ärzte in Selbständigkeit weiter unattraktiv. Dies unterstreicht auch eine andere
Rechnung: Zur Zeit gibt es rund 85 000 Medizinstudenten und rund 9 800 Absolventen je Jahr, aber nur 36 000
Arbeitsplätze, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren für Ärztinnen und Ärzte frei werden. Zudem
konkurrieren immer mehr beati possidentes wegen der verschlechterten Niederlassungs-chancen um die
Arbeitsplätze im Krankenhaus. Die Krankenhausträger sind zunehmend nur an Fachärzten interessiert, immer
weniger aber an einer Spezialisierung der nachrückenden Berufsgeneration - schon gar nicht daran,
ausreichend bezahlte Stellen zu schaffen und zu finanzieren. So stieg die Zahl der Fachärzte in den
Krankenhäusern seit 1995 um 4 000, wohingegen es für Ärzte vor der Facharztanerkennung sowie
Ärztinnen/Ärzte im Praktikum (AiP) 1 700 Stellen weniger gegeben hat. 1996 sank erstmals die Zahl der AiP
um rund 830.
Die Ärztestruktur hat sich im übrigen in den letzten Jahren kaum verändert: Die Zahl der niedergelassenen
Ärztinnen und Ärzte nahm im Jahr 1996 um 1,5 Prozent (1 711) auf 112 660 zu, die Zahl der
Krankenhausärzte um zwei Prozent (2 605). Dies addiert sich zu einem Rekordstand in der Nachkriegsstatistik
der Ärzte, die jetzt von der Bundesärztekammer fertiggestellt wurde: Per Ende 1996 waren mithin 343 556
Ärztinnen und Ärzte bei den Ärztekammern registriert (Vorjahr: 335 348). Dr. Harald Clade