ArchivDeutsches Ärzteblatt30/2008Medizinische Versorgung: Paradoxe Entwicklung

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Medizinische Versorgung: Paradoxe Entwicklung

Jachertz, Norbert

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Die Einwohnerzahlen sinken, doch der Behandlungsbedarf steigt. Schuld sind die Überalterung und die damit verbundene Morbidität. Foto: Fotolia
Die Einwohnerzahlen sinken, doch der Behandlungsbedarf steigt. Schuld sind die Überalterung und die damit verbundene Morbidität. Foto: Fotolia
Wie wirkt sich der Rückgang der Bevölkerung auf die Nachfrage nach medizinischen Leistungen aus? Eine Studie über die „versorgungsepidemiologischen Auswirkungen des demografischen Wandels in Mecklenburg-Vorpommern“ belegt, dass die Nachfrage gerade wegen des Bevölkerungsrückgangs steigt. Ursache für eine solche paradoxe Entwicklung ist die Überalterung und die damit verbundene Multi- und Komorbidität.

Die Ergebnisse der Studie, zu der sich Wissenschaftler aus Rostock und Greifswald zusammengetan haben, sind bundesweit interessant. „Wir in Mecklenburg-Vorpommern sind den anderen Ländern um einige Jahre voraus und deshalb beispielgebend“, sagte Prof. Dr. med. Peter Schuff-Werner, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Rostock, bei der Studienpräsentation am 16. Juli in Greifswald. Die Studie wurde von der Bundesärztekammer gefördert.

Die Einwohnerzahl Mecklenburg-Vorpommerns sinkt. Betrug sie im Jahr 2002 noch 1,74 Millionen, so waren es 2005 rund 1,7 Millionen; 2020 wird sie bei 1,58 Millionen liegen. Fertilität, Mortalität und Migration gingen in die Berechnung ein.

Würde die stationäre Versorgung weiterhin nach dem bettenorientierten, statistischen Ansatz berechnet, müsste bis 2020 der Bedarf an Betten im Vergleich zu 2005 auf 92,6 Prozent sinken (–680 Betten). Die Belegungstage müssten von 2,65 auf 2,45 Millionen jährlich zurückgehen. Tatsächlich aber dürften der Bettenbedarf auf 118 Prozent (+1 300 Betten) und die Belegungstage auf 3,13 Millionen steigen. Die Wissenschftler begründen den Anstieg mit den altersabhängigen Veränderungen des Krankheitsspektrums. Sie haben dazu anhand von Daten der diagnosebezogenen Fallpauschalen die Hauptdiagnosen nach Altersklassen untersucht und mit dem sich ändernden Altersspektrum verglichen.

Analog der ambulante Sektor: Steigende Fallzahlen bei den Volkskrankheiten bis 2020 (Diabetes mellitus +21,4 Prozent, Myokardinfarkt +28,3 Prozent, Demenz +91,1 Prozent, Osteoporose +19,5 Prozent, Schlaganfall +18 Prozent, Dickdarmkrebs +30,7 Prozent) führen zu großem Versorgungsbedarf. Dabei sinkt im selben Zeitraum in Mecklenburg-Vorpommern die Zahl der niedergelassenen Ärzte: Hausärzte –40,6 Prozent, Neurologen –42,2 Prozent, Gynäkölogen –30,3 Prozent, Internisten –24,8 Prozent. Angesichts dieser Zahlen hält es der Greifswalder Epidemiologe, Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann, für unausweichlich, fehlende Hausärzte in der Fläche durch „Schwester Agnes“ (benannt nach dem Projekt Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Health-gestützte, Systemische Intervention = AGnES) und Telemedizin zu kompensieren. Schuff-Werner schlug vor, Krankenhauspatienten, die keiner intensien Pflege bedürfen, in Rehakliniken unterzubringen. NJ

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