ArchivDeutsches Ärzteblatt30/2008Stammzellforschung: „Ich habe das Rad nicht neu erfunden“

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Stammzellforschung: „Ich habe das Rad nicht neu erfunden“

Richter-Kuhlmann, Eva

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Stammzellen: die Hoffnungsträger der biomedizinischen Forschung Foto: SUPERBILD
Stammzellen: die Hoffnungsträger der biomedizinischen Forschung Foto: SUPERBILD
Den Internationalen Kongress für Genetik in Berlin nutzte der Stammzellforscher Hans Schöler für einige Klarstellungen. Von den Medien fühlt er sich falsch zitiert.

Den 20. Internationalen Genetikkongress Mitte Juli in Berlin – seit 81 Jahren erstmals wieder in Deutschland – überschattete ein Medieneklat. Prof. Dr. rer. nat. Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, einer der renommiertesten deutschen Stammzellforscher, brach seinen Vortrag zur „Induktion der Pluripotenz von Körper- und Keimbahnzellen“ plötzlich ab. Der Grund: Journalisten seien bei der Tagung anwesend.

In einem anschließenden Pressegespräch erläuterte Schöler seinen Unmut: Erst vor wenigen Tagen habe er seinen Familienkurzurlaub in der Sächsischen Schweiz abbrechen müssen, weil seine Mailbox überquoll von empörten Briefen. Unter diesen seien E-Mails von seinen Kollegen Gerd Hasenfuß und Wolfgang Engel aus Göttingen gewesen, die sich über eine Diskreditierung ihrer Forschungsergebnisse durch ihn beschwerten. Dies habe er jedoch nie beabsichtigt und auch nicht getan, er sei lediglich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) verzerrt zitiert worden.

Das Blatt hatte über den zweiten Internationalen Kongress für Stammzellen und Gewebeerzeugung in Dresden berichtet, bei dem Schöler bislang unpublizierte Ergebnisse vorgestellt hatte. Dem Stammzellforscher ist es nämlich gelungen, Keimbahn-Stammzellen, sogenannte germline derived pluripotent stem cells, aus Mäusehoden in pluripotente Stammzellen umzuprogrammieren – und zwar allein durch bestimmte Kulturbedingungen – also ohne genetische Manipulation. „Wegweisender Erfolg in der Stammzellforschung“, „Reprogrammierung ohne Gen-Eingriff“, lautete die Schlagzeile in der FAZ.

Als „Durchbruch“ will Schöler seine Ergebnisse jedoch nicht bezeichnet wissen. „Ich habe das Rad nicht neu erfunden, sondern meine Ergebnisse in die bisherigen Erkenntnisse eingeordnet“, verteidigte er sich in Berlin. „Auch die Eigenschaften der Göttinger Zellen habe ich nie infrage gestellt.“ Bereits vor zwei Jahren hatten die Göttinger Forscher die Gewinnung von pluripotenten Stammzellen direkt aus Zellen des Hodens gemeldet.

Schöler zog eine Konsequenz aus der aus seiner Sicht verzerrten Darstellung: Journalisten sollten nicht mehr unabgesprochen von solchen Tagungen berichten dürfen. „Zumindest die Fakten müssten sie von dem jeweiligen Wissenschaftler gegenchecken lassen“, forderte er. Sein Vorschlag: Vor der Teilnahme an Kongressen sollten sie künftig eine entsprechende Erklärung unterzeichnen (siehe Kommentar).

Prof. Dr. rer. nat. Hans Schöler vom Max-Planck- Institut für molekulare Biomedizin in Münster Foto: dpa
Prof. Dr. rer. nat. Hans Schöler vom Max-Planck- Institut für molekulare Biomedizin in Münster Foto: dpa
Als eines der herausragendsten Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Stammzellforschung bezeichnete Schöler die Publikation von Yamanaka vor zwei Jahren. Damals war es dem japanischen Forscherteam um Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto erstmals gelungen, mithilfe von Retroviren vier Gene in das Erbgut von menschlichen Fibroblasten einzuschleusen, inaktive Bereiche zu aktivieren und induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) herzustellen.

Kürzlich berichtete Schölers Team im Fachmagazin „Nature“ über eine verfeinerte Methode dieser ethisch unbedenklichen Reprogrammierung (DÄ, Heft 27/2008). Sie hatten lediglich zwei Gene in adulte Nervenstammzellen der Maus einschleusen müssen, um diese zu induzierten pluripotenten Stammzellen zu reprogrammieren. „Wir sind daran interessiert, die Methodik zu verbessern. Wir wollen die Epigenetik der Zellen verstehen“, erklärte Schöler.

Sein Kollege Prof. Dr. Rudolf Jaenisch vom Whitehead Institute of Biomedical Research (Cambridge/USA) pflichtete ihm bei. Bei allen Experimenten gehe es vorrangig darum, die molekularen Mechanismen der Reprogrammierung zu verstehen. Alle bislang hergestellten Zellen seien je nach Isolierung und Kultivierung unterschiedlich, jeder Typus habe andere Vorteile. Als einen „Durchbruch“ würde auch er die jüngsten Ergebnisse von Schöler nicht bezeichnen. „Sein Erfolg überrascht mich nicht. Er war zu erwarten“, sagte Jaenisch gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.

Generell überzeugt ist Jaenisch, der auch als Vorreiter des therapeutischen Klonens bekannt ist, jedoch von einem sehr großen Potenzial der Stammzellforschung. „Es ist wichtig, dass neue embryonale Stammzelllinien untersucht und mit den verschiedenen iPS-Zellen verglichen werden“, sagte er. „Wir müssen den Goldstandard erst noch finden.“ Jaenisch selbst demonstrierte kürzlich, wie iPS-Zellen erfolgreich bei der Behandlung von Mäusen mit Sichelzellanämie eingesetzt werden können. In der Therapie von Blutkrankheiten sieht er auch die ersten potenziellen Einsatzgebiete von iPS beim Menschen.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

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