MEDIZIN: Übersicht
Indizierte Prävention schizophrener Erkrankungen
Indicated Prevention of Schizophrenia
Einleitung: Schizophrene Störungen gehören auch unter den heutigen verbesserten Behandlungsbedingungen immer noch zu den das Leben am meisten belastenden Erkrankungen. Deshalb bemüht man sich in neu entstandenen Früherkennungszentren inzwischen weltweit um die Entwicklung und Überprüfung von geeigneten Präventionsstrategien.
Methoden: Der Beitrag gibt eine selektive Literaturübersicht zu den bislang geschaffenen Möglichkeiten der Abschätzung des individuellen Erkrankungsrisikos und der Verhinderung drohender Ersterkrankungen.
Ergebnisse: Die heute bekannten neurobiologischen und psychosozialen Risikofaktoren besitzen noch keine Vorhersagekraft, die für selektive Präventionsmaßnahmen bei noch symptomfreien Dispositionsträgern ausreichend wäre. Sobald jedoch im 5-jährigen initialen Prodrom zunächst psychoseferne kognitive Risiko- und später psychosenahe Hochrisikosymptome hinzutreten, kann der bevorstehende Erkrankungsausbruch mit hoher Treffsicherheit vorhergesagt und einer differenziellen Strategie der indizierten Prävention mit kognitiver Verhaltenstherapie, atypischen Antipsychotika in Niedrigdosierung sowie neuroprotektiven Substanzen zugänglich gemacht werden.
Diskussion: Der derzeitige Entwicklungsstand dieser innovativen Forschungsrichtung lässt erwarten, dass in absehbarer Zeit allen Rat- und Hilfesuchenden mit Frühwarnzeichen ein auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittenes Präventionsangebot unterbreitet werden kann.
Dtsch Arztebl 2008; 105(30): 532–9
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0532
Schlüsselwörter: Schizophrenie, Risikofaktor, Frühverlauf, Risikosymptom, indizierte Prävention
Methoden: Der Beitrag gibt eine selektive Literaturübersicht zu den bislang geschaffenen Möglichkeiten der Abschätzung des individuellen Erkrankungsrisikos und der Verhinderung drohender Ersterkrankungen.
Ergebnisse: Die heute bekannten neurobiologischen und psychosozialen Risikofaktoren besitzen noch keine Vorhersagekraft, die für selektive Präventionsmaßnahmen bei noch symptomfreien Dispositionsträgern ausreichend wäre. Sobald jedoch im 5-jährigen initialen Prodrom zunächst psychoseferne kognitive Risiko- und später psychosenahe Hochrisikosymptome hinzutreten, kann der bevorstehende Erkrankungsausbruch mit hoher Treffsicherheit vorhergesagt und einer differenziellen Strategie der indizierten Prävention mit kognitiver Verhaltenstherapie, atypischen Antipsychotika in Niedrigdosierung sowie neuroprotektiven Substanzen zugänglich gemacht werden.
Diskussion: Der derzeitige Entwicklungsstand dieser innovativen Forschungsrichtung lässt erwarten, dass in absehbarer Zeit allen Rat- und Hilfesuchenden mit Frühwarnzeichen ein auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittenes Präventionsangebot unterbreitet werden kann.
Dtsch Arztebl 2008; 105(30): 532–9
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0532
Schlüsselwörter: Schizophrenie, Risikofaktor, Frühverlauf, Risikosymptom, indizierte Prävention


Epidemiologie
Schizophrene Störungen sind mit 15 bis 20 Neuerkrankungen auf 100 000 Einwohner pro Jahr (jährliche Inzidenz 0,01 bis 0,02 %) und mindestens einmaliger Erkrankung im Leben bei 400 000 bis 800 000 Bundesbürgern (Lebenszeitprävalenz 0,5 bis 1 %) keine sehr häufigen Erkrankungen. Gleichwohl gehören sie zu den das Leben der Betroffenen und ihrer Bezugspersonen am meisten belastenden Krankheiten und sind hinsichtlich der „global burden of disease“ durchaus mit großen Volksleiden wie Schlaganfall oder Diabetes mellitus zu vergleichen (5). Das hängt mit dem frühen Ersterkrankungsalter zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr sowie dem auch heute oft noch ungünstigen Langzeitverlauf zusammen. Die vorrangig für die Diagnosestellung verwandten Wahnphänomene, Ich-Erlebnis-Störungen und akustischen Halluzinationen treten zwar oft hochdramatisch, beängstigend und gefahrvoll in Erscheinung, bilden sich dann aber im meist episodischen Verlauf dieser psychotischen Positivsymptomatik in der Regel auch wieder zurück. Dagegen besteht eine heute als Negativsymptomatik bezeichnete Verarmung des Denkens, Fühlens, Handelns und der sozialen Kontaktfähigkeit häufig dauerhaft fort und führt zur psychosozialen Behinderung mit Erwerbsunfähigkeit schon in jungen Jahren. Wenn man die daraus resultierenden volkswirtschaftlichen Verluste noch zu den direkten Kosten der medizinischen und psychosozialen Versorgung addiert, ergibt sich für die schizophrenen Störungen eine dementsprechend hohe finanzielle Gesamtbelastung der Solidargemeinschaft von etwa 10 Milliarden Euro in der BRD pro Jahr (6).
Ätiopathogenese
In der Ursachenforschung beginnt sich die Schizophrenie mehr und mehr als eine komplexe Störung mit polygenem Erbgang und starker pathogener Prägung durch Gen-Gen- sowie Gen-Umwelt-Interaktionen herauszustellen. Mittlerweile konnten genetische Assoziationen zu verschiedenen Varianten in den Genen für Dysbindin und Neuregulin-1 sowie des Genorts G 72 und dem mit diesem Genort interagierenden Gen für DAOA (D-Aminosäure-Oxidase-Aktivator) mehrfach bestätigt werden (Grafik 2). Bei einer komplexen Störung lässt sich diesen ersten Genbefunden allerdings keine kausale, sondern nur eine dispositionelle, das Erkrankungsrisiko modulierende Bedeutung zuschreiben. Außerdem sind sie noch als vorläufig zu betrachten und dürften auch, wenn tatsächlich direkt pathogen wirkende Genvarianten identifiziert werden, vorerst nur einen sehr kleinen Ausschnitt einer dispositionellen Grundlage repräsentieren, die zahlreiche weitere, heute noch unbekannte Gene mit einschließt. Gleichwohl ist dieser erste molekular-neurogenetische Einblick schon sehr aufschlussreich, weil die gefundenen Kandidatengene Proteine von der Hirnentwicklung bis hin zur Aufrechterhaltung der glutamatergen Synapse im reifen Gehirn kodieren, also neuronale Proliferation, Migration, terminale Differenzierung und synaptische Funktionen regulieren. Diese funktionelle Relevanz passt gut zu der übrigen mit neuropathologischen Untersuchungsmethoden, Läsions-Tiermodellen, funktioneller und struktureller Hirnbildgebung erarbeiteten Befundlage, die insgesamt heute am ehesten für eine Störung plastischer Prozesse der Hirnentwicklung mit dem Ergebnis von Diskonnektionen in einem Netzwerk kortikaler und subkortikaler Zentren spricht (7).
Risikofaktoren und Frühverlauf
In Grafik 2 sind zusätzlich die bislang gesicherten umweltbedingten Risikofaktoren mit aufgeführt, die bereits früh vor oder unmittelbar nach der Geburt sowie später während der weiteren Entwicklung in Kindheit und Jugend gegeben sein können. Sie erhöhen allerdings nach dem derzeitigen Kenntnisstand die lebenslange Erkrankungswahrscheinlichkeit jeder für sich genommen nur bis zu höchstens 4 Prozent. Ohne Kenntnis der kompletten dispositionellen Grundlage und der wahrscheinlich zahlreichen Gen-Gen- und Gen-Umwelt-Interaktionen lassen sich somit die bisher erfassten Risikofaktoren einzeln und auch in ihrer Gesamtheit noch nicht für Früherkennung und Prävention nutzen.
Dazu bedarf es vielmehr der zusätzlichen Berücksichtigung des Frühverlaufs, in dem sich die pathophysiologisch wirksame Hirnentwicklungsstörung über frühe Verhaltensauffälligkeiten hinaus je nach der individuell gegebenen Konstellation von Stressoren und protektiven Faktoren etwa ab dem 16. Lebensjahr auch in definierbaren Risiko- und Hochrisikosymptomen bemerkbar zu machen beginnt. Die Erst-Episoden-Forschung hat gezeigt, dass dem Ausbruch der Erkrankung in drei Viertel aller Fälle ein durchschnittlich fünf Jahre langes initiales Prodrom vorausgeht. Auch in hoch entwickelten Gesundheitssystemen verstreicht dann nach der erstmaligen Manifestation der diagnoserelevanten psychotischen Positivsymptomatik noch einmal durchschnittlich mehr als ein Jahr, bis eine adäquate Behandlung beginnt. Die Zeitdauer, über die eine erste psychotische Episode unbehandelt bleibt („duration of untreated psychosis“; DUP), korreliert mit
- Verzögerter und unvollständiger Remission der Symptomatik
- Längerer stationärer Behandlungsbedürftigkeit und höherem Rückfallrisiko
- Geringerer Compliance, höherer Belastung der Familie und höherem „expressed-emotion“-Niveau
- Erhöhtem Depressions- und Suizidrisiko
- Größerer Belastung der Arbeits- und Ausbildungssituation
- Erhöhtem Substanzmissbrauch und delinquentem Verhalten sowie
- Deutlich höheren Behandlungskosten (8).
Präventionsprogrammatik
Diese inzwischen auch durch eine aussagekräftige Metaanalyse (9) abgesicherten Zusammenhänge mit Korrelationskoeffizienten von 0,285 bis 0,434 (95-%-Konfidenzintervall [KI]) haben nicht nur starke Argumente für eine möglichst frühe Behandlung der ersten psychotischen Episode geliefert, sondern auch zur Gründung spezialisierter Früherkennungs- und Frühbehandlungszentren, zuerst in Melbourne, Australien, und in Köln sowie in der Folge auch an zahlreichen weiteren Standorten international und in Deutschland geführt. Immerhin gab es Hinweise dafür, dass auch die initialen Prodromalsymptome die Betroffenen und ihre Bezugspersonen schon schwer belasten und Hilfe suchen lassen, es auch im initialen Prodrom schon zu einem massiven Einbruch der psychosozialen Leistungsfähigkeit kommen kann und parallel dazu möglicherweise zerebrale pathophysiologische Veränderungen bis hin zum vollen Ausbruch der Erkrankung fortschreiten. Vor diesem Hintergrund wurden für die von allen Zentren mit ihren Informationskampagnen in der Öffentlichkeit und ihren Angeboten zur individuellen Risikoabschätzung bedarfsgerecht angestrebten indizierten Prävention die drei folgenden Zielsetzungen formuliert:
- Verbesserung der aktuell belastenden Prodromalsymptomatik
- Vermeidung oder doch Verzögerung sich abzeichnender psychosozialer Behinderung und vor allem
- Verhinderung oder zumindest doch Verzögerung und Abschwächung drohender psychotischer Ersterkrankungen (10).
Erkrankungsvorhersage mit frühen Risikokriterien
In den beiden bisher wichtigsten Studien zum Frühverlauf vor der psychotischen Erstmanifestation, einer retrospektiven mit optimierter Methodik (11) und einer längerfristigen prospektiven über knapp 10 Jahre (12), hat sich herausgestellt, dass die frühesten und häufigsten, im initialen Prodrom insgesamt dominierenden Symptombildungen uncharakteristisch und insbesondere von den Stimmungs-, Antriebs-, Kontakt- und Konzentrationsbeeinträchtigungen bei depressiven Episoden nicht unterscheidbar sind. Es fielen dann aber auch kognitive Beeinträchtigungen in Form von selbst erlebten Denk-, Sprach- und Wahrnehmungsstörungen auf, die ebenfalls noch bei mehr als einem Viertel der Betroffenen vorkamen, Spezifitäten von 0,85 und höher sowie positive prädiktive Stärken von mindestens 0,70 besaßen und nur geringfügige falsch positive Vorhersageraten von unter 7,5 % boten. Hilfesuchende mit solchen, heute durch standardisierte Untersuchungsinstrumente zuverlässig erfassbaren Basissymptomen hatten in der auf 160 Personen bezogenen Initialstudie nach 12 Monaten zu 20 %, nach 24 Monaten zu weiteren 17 %, nach 36 Monaten zu weiteren 13 % und nach durchschnittlich 4,5 Jahren schließlich in 70 % der Fälle eine schizophrene Störung entwickelt. In einer unabhängigen weiteren Stichprobe von 146 Risikopersonen, die alle mindestens eines dieser im Kasten angeführten prädiktiven Basissymptome boten, waren nach nur 12- monatiger Beobachtungsdauer dann schon 29,5 % der Betroffenen in eine Psychose geraten (13). Unter dem Eindruck dieser Befunde wurden die prädiktiven Basissymptome in mehreren Modifikationen als Kriteriensatz für die Risikoabschätzung in der nationalen und internationalen Psychose-Früherkennungsforschung etabliert. Insbesondere im Deutschen Kompetenznetz Schizophrenie (KNS) hat man sie dann auch im Sinne eines „clinical staging“ zusammen mit dem aus dem Kasten zu ersehenden Funktionsverlust bei bestehenden Risikofaktoren für die Definition noch psychoseferner Prodromalstadien benutzt (Grafik 3).
Erkrankungsvorhersage mit Hochrisikokriterien
Interessanterweise kündigen sich auch schizophrenietypische Positivsymptome wie Wahnideen, Halluzinationen oder formale Denkstörungen gegen Ende des initialen Prodroms oft in zunächst noch abgeschwächter und dann auch voll ausgebildeter, jedoch noch flüchtiger Form schon an. Da zu erwarten war, dass sie eine vergleichsweise sichere Vorhersage besonders kurzfristig zu erwartender Übergänge in die psychotische Erstmanifestation zulassen würden, hat man sich solche Vorankündigungen als „ultra-high-risk“(UHR)-Kriterien zunutze gemacht (Grafik 3). Wenn diese UHR-Kriterien erfüllt sind, kann man nach inzwischen 11 diesbezüglich aussagekräftigen Früherkennungsstudien nationaler Arbeitsgruppen und internationaler Konsortien bei durchschnittlich knapp 40 % der Betroffenen bereits innerhalb der nächsten 12 Monate mit dem Ausbruch einer ersten psychotischen Episode rechnen (4, 8, 14). Da die Jahresinzidenz für alle Formen von Psychose in der Allgemeinbevölkerung nur etwa 0,034 % beträgt, bedeutet dies eine in der Tat sehr dramatische Steigerung des relativen Erkrankungsrisikos. Dementsprechend wurden die UHR-Kriterien auch in leicht veränderter Form in das KNS mit eingebracht und im Projektverbund „Früherkennung und Frühintervention“ für die Definition psychosenaher Prodromalstadien benutzt (Kasten). Alle groß angelegten Aktivitäten der Psychosepräventionsforschung, die gerade abgeschlossene, im 5. Rahmenprogramm der Europäischen Kommission geförderte EPOS-Studie („European Prediction of Psychosis“) (15), die derzeit anlaufende siebenzentrige Parallelgruppenstudie „PREVENT“ im Sonderprogramm „Klinische Studien“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die multinationale, in nordamerikanischen, europäischen und australischen Zentren geplante Prodrom-Interventionsstudie „NEURAPRO“ (16), arbeiten inzwischen mit einem integrativen Kriteriensatz für die Risikoeinschätzung, der die im Kasten gezeigten Merkmale gemeinsam umfasst.
Differenzielle Präventionsstrategie
Ob und inwieweit sich die drei oben genannten Zielsetzungen der indizierten Prävention erreichen lassen, hat man bisher international in fünf Interventionsstudien (17–22) herauszufinden versucht (Tabelle). Dabei kamen als präventive Maßnahmen zweimal neu entwickelte, auf die Bedürfnisse der Risikopersonen zugeschnittene, kognitiv ausgerichtete verhaltenstherapeutische Programme (KVT) und dreimal atypische Antipsychotika, nämlich Risperidon, Olanzapin und Amisulprid, in der niedrigsten möglichen Dosierung zur Anwendung. Da es sich durchweg um randomisierte kontrollierte Studien handelte, könnte man für die nachgewiesenen Effekte dieser Maßnahmen eigentlich schon die Evidenz-Kategorie 1b in Anspruch nehmen (randomisierte Interventionsstudie). Bei den beiden KVT-Interventionen gab es jedoch Schwierigkeiten mit der Blindheitsbedingung und bei der Intervention mit Risperidon erhielt die Experimentalgruppe zugleich KVT, sodass sich keine eindeutige Differenzierung zwischen pharmakologischen und psychotherapeutischen Effekten vornehmen ließ. Solche und andere methodologische Unzulänglichkeiten schränken die Aussagekraft vorläufig noch ein und haben die auf diesem Forschungsgebiet tätigen Arbeitsgruppen dazu veranlasst, neue optimierte Interventionsstudien aufzulegen und beispielsweise in dem anlaufenden Großprojekt „PREVENT“ sorgfältige Vergleichsanalysen sowie Unter- und Überlegenheitsprüfungen hinsichtlich der psychologischen und pharmakologischen Präventionsangebote durchzuführen. Das „Staging“ zwischen unterschiedlichen Risikostufen und wahrscheinlich auch unterschiedlicher Nähe zur psychotischen Erstmanifestation (Grafik 3) wurde vor allem in den beiden deutschen innerhalb des KNS durchgeführten Interventionsstudien beachtet, von denen sich die eine auf psychoseferne Prodromalstadien bezog und nur KVT als Präventionsmaßnahme anbot (20, 21), während die andere auf psychosenahe Prodromalstadien ausgerichtet war und nur auf dieser hohen fortgeschrittenen Risikostufe das Antipsychotikum Amisulprid präventiv einsetzte (20, 22). Diese, inzwischen in deutschen Früherkennungszentren durchgängig verfolgte differenzielle Präventionsstrategie, beginnt sich aber inzwischen auch international durchzusetzen. So soll beispielsweise in „NEURAPRO“ ein Antipsychotikum, hier das Quetiapin, erst dann zum Einsatz kommen, wenn zuvor bei milderer Risikosymptomatik wirksame Interventionsstrategien, hier mit neuroprotektivem Fischöl (14, 23), ohne Präventionseffekt blieben.
Ethische Fragen
In den neu entstandenen Früherkennungszentren werden ethische und rechtliche Fragen weltweit sehr ernst genommen und in jedem Einzelfall mit Blick auf die konkrete Lebenssituation der Betroffenen und ihrer Bezugspersonen durch geregelte Beratungs- und Entscheidungsverfahren zu beantworten versucht. Dem Problem einer möglicherweise zusätzlichen psychischen Belastung durch das Ergebnis der Risikoabschätzung begegnet man durch eine vollständige Vermeidung des Schizophreniebegriffs, solange er nicht im Erfahrungsfeld der Betroffenen schon im Raum steht und dann in zugleich sachlicher und beruhigender Weise zu erläutern ist. Stattdessen wird immer von den Beschwerden der Rat- und Hilfesuchenden ausgegangen und bei Erfüllung der Risikokriterien davon gesprochen, dass hieraus eine Psychose („early psychosis“) erwachsen könnte, die sich mit den jeweils infrage kommenden Maßnahmen möglicherweise verhindern ließe. Dementsprechend wählt man auch die Präventionsangebote im Zuge der skizzierten differenziellen Strategie in erster Linie unter dem Gesichtspunkt aus, dass sie die jeweils gebotene Risikosymptomatik bessern und dadurch psychosozialen Behinderungen entgegenwirken sollen. Die Abwägung der Vor- und Nachteile erfolgt somit immer schon im Hinblick auf eine aktuelle Indikation, die auch bei solchen Rat- und Hilfesuchenden bereits klar gegeben wäre, die im spontanen Verlauf keine psychotische Störung entwickeln würden. Wenn zudem im psychosefernen Prodrom nur ganz belastungsfreie, von den Betroffenen gerne wahrgenommene, vorwiegend psychotherapeutische Verfahren in Betracht kommen und beim Auftreten der ersten abgeschwächten oder flüchtigen psychotischen Symptome noch viel Spielraum für die Auswahl nebenwirkungsfrei vertragener Antipsychotika bleibt, wenn sich weiter die Anzahl falsch positiver Vorhersagen unter 10 Prozent halten lässt und nur sehr wenige Betroffene behandelt werden müssen, um eine Neuerkrankung zu verhindern („number needed to treat“; NNT = 4 bis 8), dann schneidet das Programm auch bei strenger ethischer Beurteilung sehr günstig ab (Tabelle).
Fazit
Insgesamt befindet sich die indizierte Prävention schizophrener Erkrankungen bei der dargestellten Studienlage sicherlich noch im Stadium der wissenschaftlichen Erprobung. Wenn die Entwicklung auf diesem innovativen Gebiet aber weiter so rasant voranschritte wie bisher, ließen sich schon in den nächsten Jahren evidenzbasierte Ergebnisse in der Versorgungspraxis umsetzen und möglichst jedem Ratsuchenden mit Frühwarnzeichen auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Präventionsangebote unterbreiten. Bei komplexen Erkrankungen mit langem Vorlauf und vorbestehender dispositioneller Grundlage käme dies möglicherweise für eine durchgreifende Inzidenzreduktion im großen Stil schon zu spät. Je nach dem Fortschritt der Grundlagenforschung müsste der hier vorgestellte Ansatz, der ja neben den Risikosymptomen auch bereits Risikofaktoren in die Indikationsstellung mit einschließt (Kasten), in die Richtung einer selektiven Prävention bei noch symptomfreien Dispositionsträgern weiterentwickelt werden. Beim gegenwärtigen Wissensstand bietet aber gerade der Bezug auf Risikosymptome sowohl in wissenschaftlicher als auch in ethischer und rechtlicher Hinsicht ganz erhebliche umsetzungsrelevante Vorteile und erweist den Ansatz als aussichtsreichen Schritt auf dem Wege zu einer präventiven Psychiatrie (4, 10, 14, 24).
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 13. 2. 2008, revidierte Fassung angenommen: 16. 4. 2008
Anschrift für den Verfasser
Prof. Dr. med. Joachim Klosterkötter
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Uniklinik Köln
Kerpener Straße 62, 50924 Köln
E-Mail: joachim.klosterkoetter@uk-koeln.de
Summary
Indicated Prevention of Schizophrenia
Introduction: Despite recent advances in their treatment, schizophrenic disorders are still among the diseases that most severely impair patients' quality of life. For this reason, centers for the early recognition of schizophrenic disorders have come into existence worldwide. In these centers, much effort is devoted to the development and testing of suitable preventive strategies. Methods: In this article, we selectively review the literature on the currently available means of assessing the individual risk of becoming ill with schizophrenia and of preventing the imminent onset of the disease. Results: The currently recognized neurobiological and psychosocial risk factors are not predictive enough to enable the development and application of selective prevention measures for asymptomatic persons at risk. The imminent onset of schizophrenia can be predicted with high accuracy, however, in cases where an initially non-psychotic patient develops early cognitive symptoms that imply a risk of schizophrenia and then, later on in the prodrome of the disease (which typically lasts about five years), goes on to develop high-risk symptoms with mild psychosis. At this point, a differential strategy of indicated prevention can be put into action, including cognitive behavioral therapy, atypical antipsychotics in low doses, and neuroprotective agents. Discussion: The current state of knowledge in this innovative field of research leads us to expect that it will soon be possible to offer individually tailored preventive measures to persons seeking medical help and advice because of the early warning signs of schizophrenia.
Dtsch Arztebl 2008; 105(30): 532–9
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0532
Key words: schizophrenia, risk factor, early course, risk symptom,
indicated prevention
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
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Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität zu Köln, Früherkennungs- und Therapiezentrum für psychische Krisen (FETZ) an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität zu Köln: Prof. Dr. med. Klosterkötter
Grafik 1
Grafik 2
Grafik 3
Kasten
Tabelle
1. | Mrazek PJ, Haggerty RJ: Reducing risks for mental disorders: frontiers for preventive intervention research. Washington: National Academy Press 1994. |
2. | Cuijpers P: Examining the effects of prevention programs on the incidence of new cases of mental disorders: the lack of statistical power. Am J Psychiatry 2003; 160: 1385–91. MEDLINE |
3. | Phillips LJ, McGorry PD, Yung AR, McGlashan TH, Cornblatt B, Klosterkötter J: Prepsychotic phase of schizophrenia and related disorders: recent progress and future opportunities. Br J Psychiatry 2005; 48 (Suppl.): 33–44. MEDLINE |
4. | WHO: Prevention of Mental Disorders. Effective Interventions and Policy Options. Summary Report. World Health Organization 2004 www.who.int/mental_health/evidence/en/Prevention_of_Mental_Disorders.pdf |
5. | Murray CJ, Lopez AD, Mathers CD, Stein C: The global burden of disease 2000 project: aims, methods and data sources. Cambridge, MA 2001: Harvard Burden of Disease Unit. |
6. | Kissling W, Höffler J, Seemann U, Müller P, Rüther E, Trenckmann U et al.: Direct and indirect costs of schizophrenia. Fortschr Neurol Psychiatr 1999; 67: 29–36. MEDLINE |
7. | Harrison PJ, Weinberger DR: Schizophrenia genes, gene expression, and neuropathology: on the matter of their convergence. Mol Psychiatry 2005; 10 (Suppl. 3): 40–68. MEDLINE |
8. | Ruhrmann S, Schultze-Lutter F, Klosterkötter J: Early detection and intervention in the initial prodromal phase of schizophrenia. Pharmacopsychiatry 2003; 3: 162–7. MEDLINE |
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10. | Bechdolf A, Ruhrmann S, Wagner M, Kuhn KU, Janssen B, Bottlender R et al.: Interventions in the initial prodromal states of psychosis in Germany: concept and recruitment. Br J Pschiatry 2005; 48 (Suppl.): 45–8. MEDLINE |
11. | Häfner H, Maurer K, Löffler W, an der Heiden W, Könnecke R, Hambrecht M: The early course of schizophrenia. In: Häfner H (ed): Risk and protective factors in schizophrenia – towards a conceptual model of the disease process. Darmstadt: Steinkopff 2002; 207–28. |
12. | Klosterkötter J, Hellmich M, Steinmeyer EM, Schultze-Lutter F: Diagnosing schizophrenia in the initial prodromal phase. Arch Gen Psychiatr 2001; 58: 158–64. MEDLINE |
13. | Schultze-Lutter F, Wieneke A, Picker H, Rolff Y, Steinmeyer EM, Ruhrmann S et al.: The Schizophrenia Prediction Instrument, Adult Version (SPI-A). Schizophr Res 2004; 70/1: 76–7. |
14. | Yung AR, Killackey E, Hetrick SE, Parker AG, Schultze-Lutter F, Klosterkötter J et al.: The prevention of schizophrenia. Int Rev Psychiatry 2007; 19: 633–46. MEDLINE |
15. | Klosterkötter J, Ruhrmann S, Schultze-Lutter F, Salokangas RK, Linszen D, Birchwood M et al.: The European Prediction of Psychosis Study (EPOS): integrating early recognition and intervention in Europe. World Psychiatry 2005; 3: 1–7. MEDLINE |
16. | Nelson B, McGorry PD, Yung AR et al.: The NEURAPO (North America, Europe, Australia Prodrome) study: a multicenter rct of treatment stategies for symptomatic patients at ultra-high risk for progression to schizophrenia and related disorders. Design and study plan. Schizophr Res 2008; 102/ 1–3 (Suppl. 2): 295. |
17. | McGorry PD, Yung AR, Phillips LJ, Yuen HP, Francey S, Cosgrave EM et al.: Randomized controlled trial of interventions designed to reduce the risk of progression to first-episode psychosis in a clinical sample with subthreshold symptoms. Arch Gen Psychiatry 2002; 59: 921–8. MEDLINE |
18. | Morrison AP, French P, Walford L, Lewis SW, Kilcommons A, Green J et al.: A randomized controlled trial of early detection and cognitive therapy for the prevention of psychosis in people at ultra-high risk. Br J Psychiatry 2004; 185: 291–7. MEDLINE |
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20. | Häfner H, Maurer K, Ruhrmann S, Bechdolf A, Klosterkötter J, Wagner M et al.: Are early detection and secondary prevention feasible? Facts and visions. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2004; 254: 117–28. MEDLINE |
21. | Bechdolf A, Veith V, Schwarzer D, Schormann M, Stamm E, Janssen B et al.: Cognitive-behavioural therapy in the pre-psychotic phase: an exploratory pilot study. Psychiatry Res 2005; 136: 2–3. MEDLINE |
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Deutsches Ärzteblatt international, 201310.3238/arztebl.2013.0175
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ISRN Psychiatry, 201210.5402/2012/219642
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Book, 202110.1007/978-3-662-49289-5_99-1
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