ArchivDeutsches Ärzteblatt33/2008Primäre Osteoporose – leitliniengerechte Diagnostik und Therapie
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Einleitung: Die Osteoporose ist die häufigste generalisierte Skeletterkrankung. Dennoch besteht in Deutschland eine erhebliche Unterversorgung.
Methoden: Selektive Literaturaufarbeitung auf der Basis der aktuellen Leitlinie zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Frauen ab der Menopause und bei Männern ab dem 60. Lebensjahr und Literaturrecherche bezogen auf die letzten drei Jahre.
Ergebnisse und Diskussion: Aus Alter, Geschlecht, vorausgegangenen Frakturen und weiteren Risikofaktoren ergibt sich die Indikation für eine spezifische Osteoporosediagnostik, die mithilfe des „dual X ray absorptiometry“-(DXA-) Verfahrens durchgeführt wird. Als Therapieschwelle für die Osteoporose wurde ein 30-prozentiges osteoporotisch bedingtes Frakturrisiko auf die nächsten zehn Jahre festgelegt. Die Therapie der Osteoporose setzt sich aus Basismaßnahmen zur Frakturprophylaxe und spezifischer medikamentöser Therapie zusammen. Bei Frauen nach der Menopause wird insbesondere der Einsatz von Alendronat, Ibandronat, Raloxifen, Risedronat und Strontiumranelat empfohlen. Zur Behandlung des Mannes sind inzwischen Alendronat, Risedronat und Teriparatid zugelassen. Die Compliance lässt sich durch eine intensive Schulung der Osteoporose-Patienten deutlich verbessern.
Dtsch Arztebl 2008; 105(33): 573–82
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0573
Schlüsselwörter: Osteoporose, Leitlinien, Diagnostik, Therapieschwelle, Compliance
LNSLNS Die Osteoporose ist eine generalisierte Skeletterkrankung und gehört zu den häufigsten Krankheiten des höheren Lebensalters. Weltweit sind mehr als 200 Millionen Menschen betroffen. Versorgungsdaten zeigen eine erhebliche Unter- und Fehlversorgung von Patienten mit Osteoporose in Deutschland (1). Der Dachverband der deutschsprachigen wissenschaftlichen osteologischen Gesellschaften (DVO) hat eine S3-Leitlinie zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Frauen ab der Menopause und bei Männern ab dem 60. Lebensjahr herausgegeben (2). Sie ist die Grundlage des hier vorgelegten Artikels.

Lernziele dieses Beitrags sind:
- Die klinischen Auffälligkeiten und Risikofaktoren zu erkennen, die die Verdachtsmomente für das Entstehen einer Osteoporose nahelegen.
- Die Indikationen zur Diagnostik der Osteoporose gemäß den DVO-Leitlinien anzuwenden.
- Die praktischen Grundlagen der Basismaßnahmen zur Frakturprophylaxe und der spezifischen medikamentösen Therapie kennenzulernen.
Als Suchstrategie wurde einerseits auf diese DVO-Leitlinie von 2006 inklusive einer systematischen Literaturrecherche bis Januar 2005 zurückgegriffen, außerdem erfolgte am 25. November 2007 eine PubMed-Abfrage für die letzten drei Jahre mit den Suchbegriffen „osteoporosis“, „fracture“ und „treatment“, eingeschränkt auf „randomized controlled trials“, „metaanalysis“ oder „guideline“. Zusätzlich führten die Autoren eine Handsuche in relevanten deutschsprachigen Zeitschriften aus dem primärärztlichen Bereich durch. In diesem Artikel wird nur Literatur gesondert zitiert, die nicht in der DVO-Leitlinie genannt wird. Auch bezüglich der Evidenzlevel und Empfehlungsstärken sei auf die Leitlinie, insbesondere die Kurzfassung und Kitteltaschenversion verwiesen (www.lutherhaus.de/dvo-leitlinien).

Definition und Epidemiologie
Für die Osteoporose gibt es mehrere Definitionen. Maßgeblich ist derzeit die des „National Institutes of Health Consensus Development Panel on Osteoporosis“ aus dem Jahre 2001, die das Frakturrisiko in den Mittelpunkt stellt: Die Osteoporose ist eine systemische Skeletterkrankung, die durch eine niedrige Knochenmasse und eine Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes charakterisiert ist. Daraus folgt eine gesteigerte Knochenbrüchigkeit.

Frauen im Alter zwischen 50 und 79 Jahren erleiden zu 1 % eine morphometrisch nachweisbare Wirbelkörper- und zu 1,9 % eine periphere Fraktur pro Jahr. Bei Männern liegt die Inzidenz bei 0,6 und 0,7 %. Dabei steigt die Frakturrate mit dem Alter exponenziell an (Grafik). Während Wirbelkörperfrakturen ganz überwiegend osteoporotisch bedingt sind, liegen bei peripheren Frakturen je nach Frakturort und Unfallmechanismus unterschiedlich starke Einflüsse endogener und exogener Faktoren vor. Hier muss im Einzelfall entschieden werden, ob die Fraktur als osteoporotisch oder als traumatisch einzustufen ist. Eine Fraktur ist dann osteoporoseverdächtig, wenn sie bei einem Sturz aus dem Stand oder geringer Höhe entstanden ist. Allerdings haben auch Patienten mit peripheren Frakturen infolge eines adäquaten Traumas im Durchschnitt eine erniedrigte Knochendichte (3), sodass hier im Einzelfall über eine weitergehende Osteoporosediagnostik entschieden werden muss.

Klinik
Eine Osteoporose ohne Frakturen ist asymptomatisch. Sie manifestiert sich klinisch erst durch Frakturen (manifeste Osteoporose). Radiologisch zeigen sich dann typische Wirbelkörperdeformierungen wie Keil- oder Fischwirbel. Diese Frakturen und Deformierungen können zu erheblichen akuten oder chronischen Schmerzen führen. Hierbei ist die Wirbelkörperfraktur die häufigste osteoporosebedingte, die proximale Femurfraktur die folgenschwerste Frakturform (4).

Patienten mit osteoporotischen Frakturen haben eine erhöhte Sterblichkeit, insbesondere im ersten Jahr nach dem Frakturereignis, und ein hohes Risiko für weitere Frakturen. Der charakteristische Habitus eines Patienten mit Osteoporose wird durch eine zunehmende Kyphosierung der Brustwirbelsäule („Witwenbuckel“) und eine erhebliche Abnahme der Körpergröße (> 4 cm, bisweilen sogar > 10 cm) bestimmt (Abbildung 1). Durch die Rumpfverkürzung kann der untere Rippenbogen den Beckenkamm schmerzhaft berühren, der Bauch ist vorgewölbt („Osteoporose-Bäuchlein“) und die Extremitäten haben eine relative Überlänge. Es treten typische Hautfalten vom Rücken zu den Flanken auf, das sogenannte „Tannenbaumphänomen“ (Abbildung 2). Der Körperschwerpunkt ist nach vorne verlagert. Der Gang wird kleinschrittig und unsicher.

Risikofaktoren
Mehrere biologische Faktoren tragen zur erhöhten Frakturneigung bei und sollten berücksichtigt werden. Daher werden zusätzlich zum Knochendichtewert das Alter, das Geschlecht, bereits erfolgte osteoporosetypische Frakturen und weitere unabhängige Risikofaktoren für solche Frakturen betrachtet (Kasten 1). Hierdurch kann die Frakturgefährdung des einzelnen Patienten wesentlich besser abgeschätzt werden als mit einer alleinigen Osteodensitometrie, und die zu erwartenden Therapieeffekte sind damit präziser zu kalkulieren.

Indikation zur Diagnostik
In der DVO-Leitlinie wird als Schwelle zum Start einer Osteoporose-Diagnostik eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 20 %, in den nächsten zehn Jahren eine osteoporosetypische Fraktur zu erleiden, definiert. Diese Wahrscheinlichkeit wird allein aufgrund anamnestischer und klinischer Befunde ermittelt. Daraus ergibt sich die Empfehlung für eine spezifische Diagnostik der Osteoporose (Tabelle 1).

Das spezifische Frakturrisiko von Männern liegt 50 % unter dem gleichaltriger Frauen. Somit erreichen Männer die gleiche Risikostufe zehn Jahre später als Frauen.

Nach einer Wirbelkörperfraktur besteht zusätzlich zu Geschlecht und Alter ein deutlich erhöhtes Risiko weiterer Frakturen auch anderer Lokalisationen, während periphere Frakturen je nach Lokalisation und Unfallmechanismus ein unterschiedlich schweres Risiko für weitere Frakturereignisse besitzen. Deshalb sollte bei peripheren Frakturen im Einzelfall abgeschätzt werden, ob ein solches Ereignis einen dringenden Osteoporoseverdacht begründet. Bei osteoporoseverdächtigen Frakturen ist die Indikation zu weiterer Diagnostik bei Frauen ab 50 und Männern ab 60 Jahren gegeben. Wenn mindestens einer der in Kasten 1 genannten Risikofaktoren gegeben und nicht behebbar ist, sollte bei Frauen ab 60 und Männern ab 70 Jahren eine spezifische Diagnostik durch den betreuenden Arzt eingeleitet werden. Dasselbe gilt für Frauen ab 70 und Männer ab 80 Jahre unabhängig von weiteren Risikofaktoren, sofern sich hieraus spezifische therapeutische Konsequenzen ergeben.

Zur spezifischen Diagnostik der Osteoporose ist die Durchführung einer Knochendichtemessung erforderlich, wobei die DXA („dual-X-ray-absorptiometry“) als Messmethode gewählt werden sollte, weil auf ihr alle großen Therapiestudien basieren. Es soll der DXA-Messwert an der Lendenwirbelsäule (LWK 1–4) und am proximalen Gesamtfemur ermittelt und der niedrigere der beiden Messwerte für die weitere Kalkulation verwendet werden. Benötigt wird der T-Wert, der die Standardabweichung vom Durchschnittswert der Knochendichte unserer Bevölkerung im Alter von 30 Jahren angibt. Ein T-Wert von –1 bedeutet, dass die Knochendichte genau eine Standardabweichung unter diesem Mittelwert liegt. Knochendichtewerte unter –2 liegen damit außerhalb des von 95 % der gesunden Bevölkerung im mittleren Lebensabschnitt erreichten Bereichs. Ab einem T-Wert –1 sprechen wir von Osteopenie, ab –2,5 von Osteoporose. Dieser Messwert alleine bedeutet aber noch keine Therapieindikation, eine Kostenerstattung der Knochendichtemessung durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) erfolgt nur bei vorausgegangener osteoporoseverdächtiger Fraktur.

Die Knochendichtewerte sind, wenn nicht besondere Ereignisse wie schwerer Vitamin-D-Mangel, längere Immobilität, systemische Glukokortikoidtherapie eintreten, bei über 60-Jährigen relativ stabil, sodass wiederholte Messungen nur bei besonderer Indikation sinnvoll sind (5). Da Knochendichte, Alter und Geschlecht sowie vorausgegangene osteoporosetypische Wirbelfrakturen voneinander unabhängige Risikofaktoren für weitere Frakturen darstellen, ergibt die Kombination dieser Informationen eine deutlich bessere Risikoeinschätzung. Noch präziser aber auch wesentlich komplizierter wird die Vorhersage, wenn man weitere Risikofaktoren in das Modell mit einbezieht. Allerdings addieren sich Letztere nicht unbegrenzt, sondern führen in dem benutzten Modell maximal zu einer Verdopplung des Risikos.

Tabelle 2 zeigt, wie aus T-Wert, Alter und Geschlecht die Behandlungsschwelle errechnet wird. Die DVO-Leitlinie empfiehlt eine spezifische Therapie, wenn das Risiko osteoporotischer Frakturen für die nächsten 10 Jahre die 30 %-Schwelle übersteigt.

Bei einer vorausgegangenen osteoporosetypischen Wirbelfraktur wird diese Schwelle bei den über 50-Jährigen schon ab einem T-Wert unter –2,0 erreicht.

Die zusätzlich einkalkulierbaren Risikofaktoren sind in Tabelle1 und 2 benannt. Sie erhöhen das Frakturrisiko um den Faktor 1,5 bis 2, sodass man der Einfachheit halber bei Vorhandensein mindestens einer dieser Risikofaktoren in Tabelle 2 auf die nächsthöhere Altersdekade wechselt. Untergewicht spielt hier keine Rolle mehr, weil dieses Risiko mit dem Knochendichtewert komplett abgebildet wird.

Bei multimorbiden Patienten oder solchen mit geringer Lebenserwartung kann es gerechtfertigt sein, die Therapieschwelle höher anzusetzen. Die DVO-Leitlinie nennt hier ein verdoppeltes Risiko, das heißt man wechselt in der Tabelle 2 auf die nächsttiefere Altersdekade. Bei irreversibler Bettlägerigkeit gibt es keine spezifische Therapieempfehlung.

Basisdiagnostik
Bei osteoporoseverdächtigen Frakturen oder erniedrigter Knochendichte sollte folgendes Basisprogramm durchgeführt werden, das der Erfassung sekundärer Osteoporosen sowie beeinflussbarer negativer Faktoren auf das Frakturrisiko und als Ausgangspunkt für die Verlaufsbeobachtung dient:
- Erfragung von Schmerzen im Bewegungsapparat, funktionellen Beeinträchtigungen und vorausgegangenen Stürzen, Ernährungsgewohnheiten und körperlicher Aktivität einschließlich Sonnenlichtexposition
- Einnahme osteoporose- oder sturzfördernder Medikamente wie Antiepileptika (zum Beispiel Carbamazepin), Antidepressiva (insbesondere sedierende Trizyklika) oder andere sedierend oder orthostatisch wirkende Medikamente und orale Glukokortikoide
- Erfassung des Sturzrisikos, zum Beispiel mittels „timed-up-and-go-Test“ oder „chair-rising-Test“, gegebenenfalls als Teil eines ausführlicheren geriatrischen Assessments (Kasten 2)
- Messung von Größe und Gewicht zur Bestimmung des „body mass index“ (BMI)
- radiologische Erfassung von Wirbelkörperfrakturen bei entsprechenden klinischen Hinweisen wie plötzliche starke Rückenschmerzen oder eine Körpergrößenminderung > 4 cm und therapeutische Konsequenzen
- osteologisches Basislabor (Tabelle 3).
Therapie
Hier wird zwischen Basismaßnahmen zur Frakturprophylaxe und spezifischer medikamentöser Therapie differenziert.

Basismaßnahmen zur Frakturprophylaxe
Zunächst sollte die Beratung hinsichtlich einer knochengesunden Lebensführung intensiviert werden. Diese Lebensstilfaktoren sind prinzipiell allen Patienten anzuraten und erfordern keine spezifische Diagnostik:
- Vermeidung von Untergewicht (BMI > 20)
- Nikotinkarenz
- 1 200 bis 1 500 mg Kalziumaufnahme täglich
- Regelmäßige körperliche Aktivität mit ausreichender Belastung des Bewegungsapparates (Einwirkung volles Körpergewicht, sogenannte „weight-bearing-exercises“), Förderung von Kraft und Koordination; geeignet sind zum Beispiel Wandern, Tanzen, Gymnastik oder Krafttraining
- Durchschnittlich 30-minütige Sonnenlichtexposition pro Tag mit unbedecktem Kopf und Händen (zur Vermeidung eines Vitamin-D-Defizites)
- Überprüfung der Notwendigkeit der Einnahme und der Dosierung der oben genannten osteoporose- oder sturzfördernden Medikamente.

Gezielte Übungsprogramme reduzieren zumindest das Sturzrisiko. Die bisher durchgeführten Studien sind aber in ihrer Fallzahl zu klein, um auch eine Verminderung von Frakturraten nachweisen zu können (2, 6). Da Frakturen relativ seltene Ereignisse sind, braucht man dafür sehr große Studien, die bisher nicht durchgeführt wurden.

Die Autoren haben daher bisher nur die indirekte Evidenz aus epidemiologischen Studien, die zeigen, dass vermehrte Stürze die Frakturrate erhöhen. Dies gilt, wenn Personen innerhalb der letzten sechs Monate mindestens zweimal gestürzt sind. Folglich ist zu vermuten, dass durch Sturzvermeidung die Frakturrate gesenkt wird.

Oft ist es schwierig, die empfohlenen Basismaßnahmen konsequent umzusetzen. Auch in Pflegeheimen greifen solche Interventionen oft nicht (7). Thiaziddiuretika haben einen kalziumretinierenden Effekt und unterstützen damit vermutlich die Basismaßnahmen, wenn sie zum Beispiel im Rahmen einer Bluthochdruckbehandlung indiziert sind.

Im Rahmen der spezifischen medikamentösen Therapie wird standardmäßig die Supplementierung von Kalzium und Vitamin D empfohlen. Die Vitamin-D-Dosierung sollte je nach vermutetem Defizit 400 bis 1 200 IE täglich betragen, sie kann auch als entsprechend höher dosierter Bolus in größeren Intervallen erfolgen.

Eine neue Metaanalyse empfiehlt die tägliche Supplementierung von mindestens 1 200 mg Kalzium in Kombination mit 800 IU Vitamin D (8).
Die Daten zum Nutzen von Hüftprotektoren sind inkonsistent. Am ehesten schützen sie Heimpatienten, wenn für ein konsequentes Tragen gesorgt wird.

Spezifische medikamentöse Therapie
Ab einem 10-Jahres-Frakturrisiko > 30 % ist der Nutzen einer spezifischen medikamentösen Therapie der Osteoporose so eindeutig und übersteigt erheblich eventuelle Therapierisiken, dass hier eine klare Therapieindikation besteht.

Laut DVO-Leitlinie werden bei Frauen nach der Menopause bei spezifischer Behandlungsindikation die folgenden Medikamente (in alphabetischer Reihenfolge) empfohlen: Alendronat, Ibandronat, Raloxifen, Risedronat und Strontiumranelat. Östrogene haben eine gleich gute frakturpräventive Wirkung, sollten aber wegen der Behandlungsrisiken in der Therapie der Osteoporose primär nicht mehr eingesetzt werden, sondern nur wenn sie aus anderen Gründen (zum Beispiel schwere Hitzewallungen) indiziert sind. Teriparatid (Parathormonfragment 1–34) ist nur für die Behandlung der manifesten Osteoporose über einen Zeitraum von 18 Monaten zugelassen.

Für Männer mit Osteoporose lag zum Zeitpunkt der Leitlinienpublikation nur die Zulassung von Alendronat vor, inzwischen sind Risedronat und Teriparatid hinzugekommen. Es liegen jetzt für die postmenopausale Osteoporose positive Therapiestudien und eine Zulassung für Zoledronat einmal jährlich i.v. (9) und für intaktes Parathormon (10) vor.

Bis auf Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt (insbesondere Ösophagusirritation) und Muskelschmerzen besonders zu Therapiebeginn sind orale Bisphosphonate nebenwirkungsarm. Im Gegensatz zur hochdosierten parenteralen Therapie bei Tumorpatienten konnte in der Osteoporosetherapie für die Bisphosphonate keine erhöhte Rate von Kiefernekrosen nachgewiesen werden (11).

Alle genannten Medikamente reduzieren die Häufigkeit morphometrischer und symptomatischer Wirbelkörperfrakturen um etwa die Hälfte. Periphere Frakturen werden um etwa ein Drittel vermindert. Bei einer Frakturwahrscheinlichkeit von mindestens 30 % für die folgenden zehn Jahre ergibt sich eine absolute Risikoreduktion von mindestens 10 bis 15 % und somit eine „number-needed-to-treat“ (NNT) von unter 100 pro Jahr beziehungsweise von unter 10 pro zehn Jahre (2), ein wesentlich stärkerer Effekt, als er für die Indikationsschwelle im kardiovaskulären Bereich angesetzt wird.

Zusätzlich sollten bei manifester Osteoporose eine Schmerztherapie und rehabilitative Maßnahmen durchgeführt werden.

Der optimale Zeitpunkt für eine Vertebro- beziehungsweise Kyphoplastie bei vorliegender osteoporotischer Wirbelkörperfraktur wird derzeit diskutiert (12). Nach den DVO-Leitlinien sollte sie erst nach einem erfolglosen dreimonatigen konservativen, multimodalen Therapieversuch durchgeführt werden (2).

Patienten-Schulung
Nach drei bis sechs Monaten und danach in jährlichen Abständen sollte die Verträglichkeit der Therapie und insbesondere die Compliance überprüft werden. Letztere ist sowohl bezüglich der Supplementierung von Kalzium und Vitamin D als auch bezüglich der Einnahme der spezifischen Medikation nur mäßig (13, 14).

Eine Verbesserung der Compliance ist durch eine intensive Schulung der Osteoporose-Patienten direkt nach Diagnosestellung möglich: Nach durchgeführter Nümbrechter Osteoporose-Schule, einem standardisierten und evaluierten multimodalen Osteoporose-Schulungsprogramm aus neun Modulen, wurde die medikamentöse Therapie der Osteoporose nach sechs Monaten noch von 72 % der Patienten fortgeführt. Nach 12 Monaten lag die Rate bei 62 %, wobei es allerdings keine Kontrollgruppe ohne Schulung gab (15, 16).

Dauer der medikamentösen Osteoporose-Therapie
Eine Kontrolle der Knochendichtemessung ist in der Regel frühestens nach zwei Jahren und insbesondere dann indiziert, wenn begründete Zweifel an der Therapieindikation oder -wahl bestehen beziehungsweise ein Absetzen oder Wiederansetzen der medikamentösen Therapie erwogen wird.

Die Dauer der medikamentösen Therapie der Osteoporose beträgt zunächst drei bis fünf Jahre. Danach sollte eine Reevaluation der Patienten erfolgen.

Nach Absetzen der Bisphosphonate verringert sich deren osteoprotektive Wirkung nur sehr langsam, weil die Substanzen im Knochengewebe gebunden bleiben.

In einer fünfjährigen Nachbeobachtung schnitt die Gruppe mit fortgesetzter Bisphosphonat-Therapie nur hinsichtlich der Knochendichtewerte und klinisch manifester Wirbelkörperfrakturen besser ab als die Kontrollgruppe, die Gesamtfrakturraten waren gleich.

Bei sehr hohem persistierenden Frakturrisiko und relativ langer Rest-Lebenserwartung ist daher die Fortführung der spezifischen medikamentösen Therapie gerechtfertigt, ansonsten kann sie unter weiterer Beobachtung des Verlaufs abgesetzt werden (17).

Fazit
Die Indikation zur Diagnostik und Therapie der Osteoporose orientiert sich am Frakturrisiko. Im Gegensatz zur Arteriosklerose, die einen progredienten Prozess darstellt, wird Knochen lebenslang auf- und abgebaut. Es ist deshalb für die Frakturprävention wenig effektiv, im Alter von 50 Jahren bereits eine Maximaltherapie einzuleiten, um ein sich mehr als 20 Jahre später manifestierendes Risiko zu senken. Die medikamentöse Therapie der Osteoporose wirkt relativ schnell, so sind in zahlreichen Studien bereits nach sechs bis zwölf Monaten signifikante Effekte nachweisbar. Bei einem eingetretenen Frakturereignis gilt es allerdings schnell zu handeln, um weitere Frakturen und schwere funktionelle Beeinträchtigungen zu verhindern. Hier gibt es in Deutschland bisher noch ein erhebliches Versorgungsdefizit.

Verschiedene Interventionen bei Ärzten und Patienten, Computersysteme oder der verbesserte Zugang zu DXA-Messungen verbessern die spezifische Diagnostik der Osteoporose und senken zum Teil die Frakturraten (1823). Alle Ärzte, die alte Patienten mit Frakturen behandeln, sind daher gefordert, eine adäquate Diagnostik und Therapie der Osteoporose einzuleiten. Auch „screening“ (Durchmustern aller Probanden einer bestimmten Altersgruppe) und „case-finding“ (gezielte Diagnostik bei individuell erhöhtem Risiko) der Osteoporose ohne vorausgegangene osteoporosetypische Fraktur sind kosteneffektiv und in der Lage, schwerwiegende Beeinträchtigungen zu verhindern (25). Leider ist dies bisher keine GKV-Leistung. Hier sollten die betroffenen Patienten informiert werden, wenn sie für eine mögliche Therapie motiviert sind.

Interessenkonflikt
Prof. Dr. med. Peters erhielt finazielle Vergütung für Vortragstätigkeit der Firmen Procter & Gamble, Novartis, Lilly Deutschland und Servier Deutschland.
Prof. Dr. med. Baum erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 18. 4. 2008, revidierte Fassung angenommen: 12. 6. 2008

Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Klaus M. Peters
Rhein-Sieg-Klinik
Höhenstraße 30
51588 Nümbrecht
E-Mail: kpeters@dbkg.de
Summary
The Diagnosis and Treatment of Primary Osteoporosis
According to Current Guidelines
Introduction: Osteoporosis is the most common generalized disease of the skeleton, yet it is markedly undertreated in Germany.
Methods: Selective literature review on the basis of the current German guidelines regarding the prevention, diagnosis, and treatment of osteoporosis in postmenopausal women and in men aged 60 and above, and a further search of literature published in the last three years. Results and discussion: The indication for dual X-ray absorptiometry (DXA) measurement for the specific diagnosis of osteoporosis is derived from the patient's age, sex, history of fractures in the past, and further risk factors. The therapeutic threshold for osteoporosis has been set at a 30% predicted risk of osteoporotic fractures occurring within 10 years. The treatment consists of basic measures for fracture prevention combined with specific pharmacotherapy.
The recommended drugs for the treatment of osteoporosis in postmenopausal women in particular are alendronic and ibandronic acid, raloxifen, risedronic acid, and strontium ranelate; the only approved drugs for men at present are alendronic and risedronic acid and
teriparatid. Intensive patient education markedly improves the otherwise poor compliance with osteoporosis treatment.
Dtsch Arztebl 2008; 105(33): 573–82
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0573
Key words: osteoporosis, guidelines, diagnosis, therapeutic threshold, compliance
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Der klinische Schnappschuss

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