POLITIK
Das Bundesverfassungsgericht zum Nichtraucherschutzgesetz: Pyrrhussieg für die Wirte
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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe gab den Klagen zweier Gastwirte aus Baden-Württemberg und Berlin statt: Am 30. Juli erklärten die Richter die geltenden Rauchverbotgesetze, wonach in Einraumkneipen nicht geraucht werden darf, für verfassungswidrig. Die Gesetze verletzten die Kläger in ihrem Grundrecht auf freie Berufsausübung. Wenn schon Ausnahmen vom generellen Rauchverbot gälten, wie in eigens eingerichteten Nebenräumen in größeren Gaststätten, dann müssten sie für alle gelten, so die Argumentation. Denn in der „getränkegeprägten Kleingastronomie“ führe das Rauchverbot wegen des hohen Anteils von Rauchern unter den Gästen zu einer wesentlich stärkeren wirtschaftlichen Belastung als für die Betreiber von größeren Gaststätten. Bis Ende 2009 hat der Gesetzgeber Zeit, neue Regelungen zu beschließen. Bis dahin darf in Kneipen, die kleiner als 75 Quadratmeter sind, wieder geraucht werden. Vorausgesetzt, sie bieten keine „zubereiteten Mahlzeiten“ an, verwehren Gästen unter 18 Jahren den Zutritt und bringen im Eingangsbereich ein deutlich sichtbares Schild an, das den Ort als Raucherkneipe ausweist. Gleichzeitig stellten die Richter den Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens als „überragend wichtiges Gemeinwohlziel“ heraus. Bei den erforderlichen Neuregelungen sei es den Ländern deshalb freigestellt, ein „striktes einheitliches Rauchverbot“ zu verhängen.
Die Reaktionen auf das Urteil sind zweigeteilt. Die Bundesärztekammer (BÄK) sieht in dem Karlsruher Urteil eine „große Chance“, ein ausnahmsloses Rauchverbot in der Gastronomie durchzusetzen. „Einen Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen darf es nicht geben“, fordert Dr. med. Rudolf Henke, Präventionsexperte der BÄK. Der Gesetzgeber sei nun in der Pflicht. Henke warnte zugleich vor einer Fehlinterpretation des Urteils: Das Gericht habe klargestellt, dass ein generelles Rauchverbot verfassungsrechtlich Vorrang vor der Berufsfreiheit der Gastwirte und der Verhaltensfreiheit der Raucher hat. Bemerkenswert sei auch, dass das BVerfG die bisherigen Rauchverbote in den Ländern sogar noch verschärft habe durch das Ausweisen als Raucherkneipe und die Verpflichtung zum Jugendschutz.
Aus Sicht der Ärzte sei ein bundesweit vollständiges Rauchverbot „die einzig sinnvolle Konsequenz“ auch im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der Beschäftigten in der Gastronomie, sagte Henke in seiner Funktion als Vorsitzender des Marburger Bundes. Diese müssten an ihrem Arbeitsplatz per Gesetz vor den lebensbedrohlichen Folgen des Passivrauchens geschützt werden.
Auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, sieht das Urteil als Entscheidung gegen die Ausnahmeregelungen in der Gastronomie. Die Länder seien nun aufgefordert, „einen konsequenten Nichtraucherschutz ohne Ausnahmen vorzulegen“. Damit seien eine Benachteiligung kleiner Kneipen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Die Landesärztekammer Hessen hingegen ist enttäuscht von dem Karlsruher Urteil. Präsidentin Dr. med. Ursula Stüwe spricht von einem „Kniefall vor den wirtschaftlichen Interessen“. Es sei unverständlich, dass Raucher mit ihren kostenintensiven Folgeerkrankungen das System weiter belasten dürften. Sie befürchtet zudem, dass mit dem Urteil der Aufweichung der Nichtraucherschutzgesetze in den übrigen Bundesländern „Tür und Tor“ geöffnet werden könne.
Genau das fordert die FDP-Bundestagsfraktion: Die Gesetzgeber in den Ländern, die nicht von dem Urteil betroffen sind, sollten „endlich Ausnahmeregelungen für kleine Kneipen schaffen“, so Detlef Parr, sucht- und drogenpolitischer Sprecher. Die Berufsfreiheit der Wirte dürfe nicht länger gefährdet, die Entscheidungsfreiheit der Gäste müsse gesichert werden.
Eine ganz andere Linie vertreten die Grünen. Fraktionsvorsitzende Renate Künast wirft der Bundesregierung vor, den Schutz von Nichtrauchern den Ländern überlassen zu haben. „Das war ein Akt der Feigheit.“ Besser sei der Vorschlag der Grünen gewesen, den Nichtraucherschutz im Rahmen des Arbeitnehmerschutzes zu regeln. Die Bundesregierung sieht sich hingegen nicht in der Pflicht. Vizeregierungssprecher Thomas Steg interpretiert das Karlsruher Urteil so, dass sich die Länder auf eine „möglichst ähnliche oder übereinstimmende“ Regelung verständigen müssten.
Petra Bühring