MEDIZINREPORT
China und Myanmar: Die Not der Menschen vor Augen


Ein Wirbelsturm verursachte in Myanmar schwere Verwüstungen. Die Bewohner leiden noch heute.
Foto: dpa
Die Kiste wird zu einem Schrank, der Deckel zum Tisch: Aus den zahlreichen Behältern entsteht durch einen kleinen Umbau ein ganzes Krankenhaus. So kann schnelle medizinische Hilfe in Krisenregionen aussehen. Das Krankenhaus aus der Kiste des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) ist modular aufgebaut. Eine Impfstation, ein Operationssaal, eine Entbindungsstation, ein Labor und eine Apotheke, gegebenenfalls auch Isoliereinheiten gehören dazu.
In China sei der Aufbau der 31 Zelte in Rekordgeschwindigkeit verlaufen, erläutert Thomas Moch, Einsatzleiter des DRK in Sichuan, einer Region, die bis zu dem Erdbeben am 12. Mai dieses Jahres vermutlich nur wenige Menschen in Deutschland vom Namen her kannten. Freitags kamen die deutschen Helfer an, und montags war das Krankenhaus einsatzbereit. „Wir haben allerdings nur bestehende Strukturen ersetzt. Alle sieben Krankenhäuser in der Umgebung sind bei dem Erdbeben eingestürzt“, sagt Moch. „Die nationalen Fachkräfte haben uns bei der medizinischen Versorgung der Betroffenen geholfen, und die Zusammenarbeit verlief wirklich reibungslos.“
Bangen um die Zukunft
Das mobile Krankenhaus wurde in Dujiangyan – einer Stadt mit etwa 400 000 Einwohnern – auf der „Straße des Paradieses“ errichtet. „Am Fuß der Berge ist es auch für die Menschen, die außerhalb wohnen, gut erreichbar“, erklärt Svenja Kochs, Pressesprecherin des DRK. „Zudem hat es eine sichere Lage. Auch bei Nachbeben kann hier nichts passieren.“
Inzwischen ist es mehr als drei Monate her, dass die Region Sichuan in China von dem massiven Erdbeben erfasst wurde: 69 195 Personen starben und 374 177 wurden verletzt. Bis heute werden 18 404 Menschen vermisst; 5,8 Millionen wurden obdachlos. Die Medien berichten kaum noch von diesem Unglück. Längst ist das Erdbeben durch andere Schlagzeilen verdrängt worden. Allerdings hat der Aufbau vor Ort erst begonnen. Die Überlebenden hausen in Baracken, die neben den Trümmern errichtet wurden, und der Alltag hat wieder Einzug gehalten. Die Geschäfte sind wieder provisorisch geöffnet. Die Einwohner Sichuans bangen aber dennoch um ihre Zukunft: Ohne Infrastruktur und ohne Arbeitsplatz bleibt vielen Menschen nur wenig Hoffnung. Zudem bleiben die Touristen aus. „Und die Situation wird sich auch in den nächsten Jahren wohl nicht ändern“, so Kochs vom DRK.
Bereits vor zwei Monaten wurde das Krankenhaus an die einheimischen Kräfte übergeben, und die deutschen Ärzte und Krankenschwestern vom Deutschen Roten Kreuz sind abgereist. „Die Chinesen sind extrem gut organisiert und ausgesprochen leistungsfähig“, betont Moch.
In Sichuan hält
der Alltag Einzug:
Drei Monate nach
der Katastrophe
versuchen die Betroffenen,
so normal
wie möglich zu leben
– soweit dies
inmitten von Trümmern
machbar ist.
Foto: AP
Wenige Tage vor der Erdbebenkatastrophe in China wurden Anfang Mai in Myanmar (auch Birma oder Burma) Tausende Menschen Opfer des Zyklons Nargis. Die Militärregierung Myanmars geriet häufig in die Kritik, weil sie laut Medienberichten Hilfe aus dem Ausland blockierte. Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ wurde dennoch vor Ort tätig. Sie engagiert sich bereits seit 1992 in verschiedenen Projekten in Myanmar und konnte zusammen mit nationalen und internationalen Kräften den Betroffenen helfen.
Viele Dörfer in Myanmar sind komplett verschwunden. Dr. Andreas Lindner, Assistenzarzt für Innere Medizin, ist einer von zwei deutschen Ärzten, die zurzeit im Irrawaddydelta arbeiten. Dort richtete der Zyklon besonders schwere Schäden an. „Man ist zunächst tief beeindruckt von der Gewalt der Natur“, sagt Lindner. Er berichtet, dass viele Dörfer inzwischen von den blauen Plastikplanen dominiert würden, die „Ärzte ohne Grenzen“ kurz nach dem Unglück verteilt habe, damit die Bewohner sich zumindest notdürftig schützen könnten. Zurzeit ist Regenzeit. „Aufgrund der täglichen, teils starken Niederschläge haben der Bau von Hütten und das Reparieren von Dächern nach wie vor hohe Priorität“, stellt der junge Arzt fest. Am Anfang benötigten die Menschen allerdings vor allem Zugang zu sauberem Wasser und Nahrung. „Menschen berichteten, dass Kokosmilch ihnen beim Überleben half, denn die Brunnen waren voller Salzwasser.“ Diese Probleme seien inzwischen aber einigermaßen unter Kontrolle. Jetzt stehe die medizinische Versorgung im Vordergrund.
„Viele der Überlebenden sind ihrer Hütten und Habseligkeiten beraubt und sind auf Hilfe angewiesen“, erklärt Dr. med. Arne Winkler, Student des Postgraduiertenstudiengangs International Health am Tropeninstitut Berlin und seit Mitte Juni im Einsatz in Myanmar. „In gemieteten Holzbooten fahren wir von Dorf zu Dorf und leisten medizinische Hilfe. Die Teams werden meist von einem einheimischen Arzt geleitet.“ Inzwischen gebe es auch kleine medizinische Stationen in zentralen Dörfern der am stärksten betroffenen Gegenden. „Jede dieser Stationen ist eine Anlaufstelle für mehr als 10 000 Menschen“, so Winkler. Atemwegsinfekte, Diar-rhö und fieberhafte Infekte seien die häufigsten Erkrankungen. Wer nicht vor Ort versorgt werden könne, müsse ins viele Bootstunden entfernte Laputta District Hospital gebracht werden. „Das kleine Krankenhaus wurde vom Gesundheitsministerium unmittelbar nach dem Wirbelstrum mit chirurgischen und gynäkologischen Fachärzten ausgestattet“, berichtet Winkler.
Nach wie vor werde jede Konsultation auf den Stationen oder bei den mobilen Fachärzteteams statistisch ausgewertet. Die Daten werden an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weitergeleitet. So sollen Ausbrüche von Cholera, Denguefieber, Masern und anderen Epidemien rasch erkannt werden. An dieser Statistik beteiligen sich aber auch die anderen vor Ort tätigen Hilfsorganisationen.
In China und Myanmar hat sich die Lage zwar etwas entspannt, allerdings gibt es für die Betroffenen noch keine Entwarnung. Der Wiederaufbau wird insbesondere in Myanmar noch Jahre dauern. „Bis die Leute wieder ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können, wird noch viel geschehen müssen“, sagt Juli Niebuhr, Vizelandesdirektorin von „Ärzte ohne Grenzen“. Von Normalität sei man noch weit entfernt.
Gesichter sind wie versteinert
Vor allem die seelischen Wunden sind noch nicht verheilt. Das Trauma des Beinahesterbens, der Verlust von Angehörigen und der materiellen Lebensgrundlage lassen sich nur schwer verarbeiten. Auch die Helfer vor Ort haben die Not der Menschen ständig vor Augen. „Bei den Konsultationen beklagen die Menschen häufig unspezifische Beschwerden, wie allgemeine Körperschmerzen, Schwäche, Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit. Erst ein Blick in die traurigen, manchmal wie versteinerten Gesichter und die Frage, ob die Beschwerden erst nach Nargis aufgetreten sind, offenbart die Symptome als posttraumatischen Stress“, erklärt Winkler. Aus bestehenden Projekten, wie den HIV-Programmen, bildet die Organisation Berater für posttraumatische Belastungs-störungen aus.
Bei der Vorstellung des Jahresberichts in Berlin appellierte Tankred Stöbe, Vorstandsvorsitzender von „Ärzte ohne Grenzen“, nochmals an die Öffentlichkeit: Die Bevölkerung Myanmars habe sich bereits vor dem Wirbelsturm in einer dramatischen Situation befunden. Das Regime gebe so wenig für Gesundheit aus wie kaum eine andere Regierung weltweit. „Zu einer chronischen Krise kam mit Nargis eine akute Katastrophe dazu“, betonte Stöbe.
Sunna Gieseke
CHINA UND MYANMAR
Ein Wirbelsturm verursachte in Myanmar schwere Verwüstungen. Die Bewohner leiden noch heute.
Foto: dpa
CHINA UND MYANMAR
In Sichuan hält
der Alltag Einzug:
Drei Monate nach
der Katastrophe
versuchen die Betroffenen,
so normal
wie möglich zu leben
– soweit dies
inmitten von Trümmern
machbar ist.
Foto: AP
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