BRIEFE
Intensivmedizin: Waches ethisches Empfinden


2. Ein Patient mit inkurablem finalem Grundleiden kann durchaus auf eine Intensivstation gehören, zum Beispiel zur Einleitung einer wirksamen palliativen Schmerztherapie, wenn die Möglichkeiten auf der Normalstation nicht gegeben sind oder wenn die Chance gesehen wird, durch andere unterstützende Maßnahmen, die, z. B. wegen der dünnen Personaldecke, auf einer anderen Station nicht geleistet werden können, das Leiden des Patienten zu mindern . . .
3. Wenn „nur für zehn Prozent“ die Nichtreanimationsorder ein Hindernis zur Aufnahme auf die Intensivstation darstellt, dann freue ich mich über die hohe Zahl von 90 Prozent der Kollegen, denen der Unterschied zwischen dem Unterlassen einer kardiopulmonalen Wiederbelebung und dem Verzicht auf alle übrigen diagnostischen und therapeutischen Optionen klar ist.
4. Dass offenbar nur elf Prozent der Abteilungen über (schriftliche) „Standards zum Einfrieren, Begrenzen und Abbrechen der Therapie“ verfügen, ist aus meiner Sicht tatsächlich ein Mangel. Auch bei uns fehlt bisher eine solche Verfahrensempfehlung. Die sich im Einzelfall daraus ergebende Beliebigkeit in der Art, wie im Fall der übereinstimmend gesehenen Aussichtslosigkeit die Therapiezieländerung durchgeführt wird, ist manchmal schwer zu ertragen. Gerade das sogenannte Einfrieren, bei dem unter den Augen aller die bisher eingeleitete Therapie einschließlich Katecholamingabe, Thrombose- und Ulkusprophylaxe, Antibiotikatherapie usw. weitergeführt wird, führt ja nach meiner Erfahrung nie zur Genesung des Patienten, sondern zu einer Sterbebegleitung unter dem Motto: stirb langsam. Wenn das Einfrieren als eine Methode gesehen wird, den Patienten quasi „seinem Schicksal zu überlassen“, über das höhere Mächte entscheiden mögen, dann wird übersehen, dass es ethisch keinen Unterschied macht, ob wir eine indizierte und verfügbare Therapie nicht einleiten oder eine begonnene Therapie abbrechen.
5. Den im letzten Satz angesprochenen ethischen Konflikten der verantwortlichen Ärzte im Spannungsfeld zwischen ärztlichem Auftrag und ökonomischem Zwang ist nur durch kontinuierliche Thematisierung gegenüber der Krankenhausleitung sinnvoll zu begegnen. Diese muss sich den ethischen Dilemmata stellen und sie gegebenenfalls an höhere Gremien weiterleiten. Ethische Verantwortung darf nicht auf die Mikroebene abgeschoben werden.
Friedhelm Berlitz, St.-Lukas-Klinik GmbH, Schwanenstraße 132, 42697 Solingen