ArchivDeutsches Ärzteblatt36/2008Fortpflanzungsmedizin: Gesetzliche Regelung gefordert

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Fortpflanzungsmedizin: Gesetzliche Regelung gefordert

Klinkhammer, Gisela

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LNSLNS Experten fordern ein Fortpflanzungsmedizingesetz, da das vor 17 Jahren in Kraft getretene Embryonenschutzgesetz ihrer Ansicht nach revidiert werden muss.

In Deutschland sind etwa 1,2 bis 1,5 Millionen Paare ungewollt kinderlos und benötigen ärztliche Hilfe, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Im Jahr 2006 unterzogen sich nach Angaben des Deutschen IVF-Registers (DIR) 38 551 Frauen einer Behandlung durch In-vitro-Fertilisation (IVF). Den gesetzlichen Rahmen, in dem Ärzte und Biologen in Deutschland arbeiten dürfen, bietet das Embryonenschutzgesetz. Doch dieses Gesetz ist inzwischen 17 Jahre alt, „und der wissenschaftliche Sachstand in der Reproduktionsmedizin hat große Fortschritte gemacht“, schreibt Prof. Dr. med. Klaus Diedrich, Lübeck, in der Einleitung zu einem im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erarbeiteten Gutachten, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt und am 9. September in Berlin vorgestellt wird. In diesem Gutachten fordern die Autoren ein Gesetz, das die Entwicklung der Fortpflanzungsmedizin in den letzten Jahren berücksichtigt.

Zu den neuen regelungsbedürftigen Behandlungen gehört ihrer Ansicht nach der sogenannte elektive Single-Embryo-Transfer (eSET), bei dem lediglich ein Embryo (aus mehreren durch IVF gezeugten Embryonen) nach Beurteilung mittels Lichtmikroskop ausgewählt und in die Gebärmutter der Patientin transferiert wird. „Durch dieses Vorgehen ist es möglich, die Kinderwunschbehandlung zu optimieren, bei gleichzeitig größtmöglicher Reduktion des Risikos einer für Mutter und Kind gefährlichen Mehrlingsschwangerschaft“, erläuterte Diedrich. In Deutschland ist der eSET dagegen unzulässig, weil das Embryonenschutzgesetz festgelegt hat, dass bis zu drei Embryonen während eines Behandlungszyklus entstehen dürfen, alle entstandenen Embryonen aber transferiert werden müssen. Eine Mehrlingsschwangerschaft stelle grundsätzlich eine Risikoschwangerschaft für Mutter und Kind dar: „Neben den Belastungen und Risiken für die Mutter in der Schwangerschaft und bei der Geburt steht im Zentrum der medizinischen und ethischen Diskussion um den Problemkreis der Mehrlingsschwangerschaften nach IVF vor allem die Morbidität der Frühgeborenen. Immerhin sind 30 Prozent der geborenen Drillinge mit leichten bis schweren Handicaps belastet. Nur 70 Prozent der Drillingskinder werden nach zum Teil wochenlanger Intensivbetreuung den Eltern gesund übergeben“, stellen Priv.-Doz. Dr. med. Georg Griesinger et al. in dem Gutachten fest. Zur Abwehr der medizinischen, psychosozialen und ethischen Probleme für Mutter und Kind werde seit Beginn der 80er-Jahre das „therapeutische“ Prinzip der „Reduktion“ oder des Totalabbruchs höhergradiger Mehrlinge praktiziert. „Der Begriff Reduktion kaschiert die Tatsache, dass es sich stets um die Tötung eines oder mehrerer Embryonen oder Feten handelt“, so Griesinger et al.

Europäische Nachbarländer
In den europäischen Nachbarländern hätten rechtliche Rahmenbedingungen, die eine Auswahl und gegebenenfalls Verwerfung von Embryonen ermöglichen, den Weg zu einer breiten Anwendung des eSET geebnet. Aktuelle Daten stünden allerdings nur für Schweden und Belgien zur Verfügung. In Schweden sei ab Beginn des Einsatzes des eSET im Jahr 2001 die Inzidenz von Mehrlingsgeburten nach IVF von 19,4 Prozent (2002) auf 5,7 Prozent (2004) gesunken. In Belgien darf seit 2003 bei Frauen unter 36 Jahren im ersten Behandlungszyklus nur ein Embryo transferiert werden. Nur nach frustraner Behandlung und bei älteren Patientinnen dürfen zwei oder drei Embryonen transferiert werden. Auch dort habe nach 2003 die Inzidenz an IVF-Mehrlingen drastisch abgenommen.

Psychosoziale Beratung
Die Autoren des Gutachtens fordern, die Übertragung eines einzelnen, ausgewählten Embryos auch in Deutschland anzustreben und weitere Sachverhalte gesetzlich zu regeln. Solche überzähligen Embryonen sollten nach Auffassung Diedrichs für weitere Behandlungen des Kinderwunschpaares kryokonserviert werden „und müssen nach Abschluss der fortpflanzungsmedizinischen Behandlungsmöglichkeit dem Absterbenlassen zugeführt werden“.

Bevor ein Kinderwunschpaar eine morphologische Beobachtung und den eSET durchführen lässt, sollte ihnen zusätzlich zur ärztlichen Information und Aufklärung eine psychosoziale Beratung angeboten werden. Es sollte eine aufsichtsführende Behörde benannt werden, und die Behandlungszentren sollten dazu verpflichtet werden, das Verfahren in einem zentralen Register zu dokumentieren. In Verbindung damit sei eine Langzeitbeobachtung der nach eSET geborenen Kinder anzustreben, schlägt Prof. Dr. theol. Hartmut Kreß, Bonn, vor. Schließlich müssten in dem Gesetz auch grundsätzliche Anwendungsbedingungen wie der Arztvorbehalt oder die Festlegung der medizinischen Voraussetzungen geregelt werden.
Gisela Klinkhammer

Das Gutachten „Reproduktionsmedizin im internationalen Vergleich“ ist ab 9. September im Internet unter www.aerzteblatt.de/plus3608.

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