ArchivDeutsches Ärzteblatt36/2008Selbsthilfeförderung: Krankenkassen werden in die Pflicht genommen

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Selbsthilfeförderung: Krankenkassen werden in die Pflicht genommen

Gerst, Thomas

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Es gibt deutlich mehr Geld für die Selbsthilfe. Die Krankenkassen sind zufrieden mit der Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung.

Selten reicht das Geld, um alle Bedürfnisse zufriedenzustellen. Dies gilt auch für die gesundheitsbezogene Selbsthilfeförderung durch die Krankenkassen, deren finanzielle Grundlagen mit Beginn des Jahres neu geregelt wurden. Rund 300 Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene, 800 auf Landesebene, circa 270 Selbsthilfekontaktstellen und bis zu 50 000 lokale Selbsthilfegruppen stehen im Wettbewerb um die 39,4 Millionen Euro, die in diesem Jahr verteilt werden können. Auf Bundesebene seien zum Beispiel 2008 vier Millionen Euro bereitgestellt worden, berichtete Karin Niederbühl vom Verband der Angestellten-Krankenkassen. 279 Einrichtungen hätten allerdings 8,9 Millionen Euro beantragt, sodass in einem schwierigen Klärungsprozess das Geld hätte verteilt werden müssen. „Die Erwartungshaltung in der Selbsthilfe war hoch“, sagte Niederbüll – und umso größer dann die Frustration bei denjenigen, die gar nicht oder nicht in dem gewünschten Umfang hätten berücksichtigt werden können. Rechtzeitig sei es aber gelungen, die organisatorischen Voraussetzungen zur Umsetzung der Förderung bis in die Regionen zu schaffen.

Niederbühl referierte vor rund 300 Vertretern von Selbsthilfeorganisationen und Krankenkassen, die am 25. August in Köln zu einem Meinungsaustausch über die neue Praxis der Selbsthilfeförderung zusammengekommen waren. Mit Beginn des Jahres ist die Förderung nach § 20 c SGB V auf zwei Stränge umgestellt worden. Neben der bisherigen krankenkassenspezifischen Förderung wurde neu die kassenartenübergreifende Gemeinschaftsförderung eingeführt. Die Verteilung dieser Gelder auf Bundes-, Landes- und Regionalebene erfolgt durch die Krankenkassen nach Beratung mit den maßgeblichen Vertretungen der Selbsthilfe. Die Förderung in beiden Strängen ist anders als bisher für die Krankenkassen verpflichtend. Je GKV-Versicherten müssen sie in diesem Jahr 0,56 Euro zur Verfügung stellen, das sind in der Summe 10,7 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. 1999 waren es gerade einmal 7,5 Millionen Euro. Mindestens die Hälfte der Gesamtsumme muss in die kassenartenübergreifende Gemeinschaftsförderung fließen. Nicht ausgeschöpfte Fördermittel kommen im Folgejahr der Gemeinschaftsförderung zugute.

Selbsthilfe: Unverzichtbar in der Gesundheitsversorgung
Für Dr. Petra Drohsel vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) stellt die Patientenselbsthilfe inzwischen eine unverzichtbare Säule in der Gesundheitsversorgung dar. Vom Engagement der rund drei Millionen „Experten in eigener Betroffenheit“ profitierten langfristig alle Patienten. Das BMG habe mit der gesetzlichen Neuregelung die Selbsthilfe stärken wollen. Gleichzeitig sollte sichergestellt werden, dass das Geld tatsächlich auch für die Selbsthilfe ausgegeben werden. Auch gegenwärtig kämen nur rund 80 Prozent der festgeschriebenen Geldsumme bei der Selbsthilfe an, man sei aber auf dem Weg der Besserung.

„Die Neuregelung erfüllt viele Forderungen der Selbsthilfeorganisationen“, betonte Christoph Nachtigäller von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe. Nunmehr bestehe ein Rechtsanspruch auf Förderung durch die Krankenkassen. Er habe den Eindruck, dass das Geld in den vergangenen Jahren bei den einzelnen Krankenkassen gar nicht zur Verfügung gestanden habe. Gleichwohl sieht er eine verlässliche Grundfinanzierung der Selbsthilfe noch nicht als gesichert an. Eine Pauschalförderung, das heißt eine Finanzierung der regelmäßig anfallenden Sachkosten, sei nur über die Gemeinschaftsförderung vorgesehen, wohingegen die Krankenkassen ihre jeweiligen Fördermittel für gezielte, zeitlich begrenzte Projekte einsetzen sollen. Nachtigäller fordert deshalb, dass mindestens zwei Drittel des zur Verfügung stehenden Geldes in den Gemeinschaftsfonds einfließt und dass die Selbsthilfeorganisationen auch bei der Entscheidung über die kassenindividuelle Förderung beteiligt werden.
Thomas Gerst

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