ArchivDeutsches Ärzteblatt36/2008Saudi-Arabien: Land ohne Gesetze

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Saudi-Arabien: Land ohne Gesetze

Amier, Shahrzad

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Foto: dpa
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Die Dermatologin Shahrzad Amier scheitert bei ihrer Tätigkeit an einem privaten Krankenhaus in Riad am Sexismus der Gesellschaft und der Rechtlosigkeit ausländischer Arbeitnehmer.

Trotz oder gerade wegen des schlechten Rufs, den die Medien über Saudi-Arabien verbreiten, akzeptierte ich einen Vertrag als Dermatologin in einer Privatklinik in Riad. Es war nicht mein erster Auslandsaufenthalt. Ich hatte bereits mehrfach in verschiedenen Ländern und Kulturen gearbeitet – auch unter schwierigen Bedingungen wie zum Beispiel in Ghana und Bangladesch.

Aber hier war alles anders! Es begann bereits bei der Ankunft am Flughafen: Bei der Passkontrolle rief der Offizier, der meinen Pass in den Händen hielt, laut: „Al...!“ Daraufhin kam einer der vielen dort wartenden Männer zum Schalter, nahm meinen Pass und lief, ohne sich mir vorzustellen, zur Gepäckausgabe. Ich rannte in Panik meinem Pass beziehungsweise dem jungen Mann im weißen Gewand hinterher, der mich erst nach geraumer Zeit wahrzunehmen schien und sich schließlich als Mitarbeiter der Klinik vorstellte, in der ich künftig arbeiten sollte.

In Saudi-Arabien gilt das sponsorship system, das heißt, das Visum ist an den Arbeitsvertrag geknüpft. Man ist also während seines gesamten Aufenthalts seinem Arbeitgeber ausgeliefert. Er zieht den Pass ein, und er bestimmt, ob und wann man das Land wieder verlassen darf. Dazu kommt, dass es kein Gesetz zum Schutz der Arbeitnehmer gibt. Der Arbeitgeber kann die Arbeitszeiten nach Gutdünken festlegen. Ob und wann er das Gehalt auszahlt, liegt ebenfalls in seinem Ermessen.

Vom Flughafen wurde ich zu dem Gelände gefahren, auf dem mein Mann und ich in den nächsten zwei Jahren leben sollten. Es war mit Stacheldraht umzäunt und wurde von Soldaten bewacht. Aus Angst vor Terroranschlägen werden Europäer und Amerikaner seit Jahren in solchen Gettos untergebracht. Obwohl das Krankenhaus nur zehn Gehminuten entfernt war, warnten mich das Management, Kollegen und Fahrer, zu Fuß dorthin zu gehen. Es zieme sich nicht, sich als Frau allein auf der Straße sehen zu lassen.

Die Klinik selbst spiegelt das Kastensystem Saudi-Arabiens wieder. Die Ärzte sind im Libanon, in Syrien oder anderen arabischen Ländern, hauptsächlich jedoch in Kanada, in den USA und teilweise in Europa ausgebildet worden. Das Gehalt ist keineswegs für alle gleich. Es richtet sich nach der Herkunft. Die Krankenschwestern sind Filipinas, die Raumpfleger Bangladeshis, die Fahrer Inder. Eine Reise in die Heimat kommt für sie erst nach Ablauf ihres zweijährigen Vertrags infrage.

In Riad gibt es mehrere Privatkliniken. Da alle miteinander konkurrieren, werben sie vor allem mit europäischen oder US-amerikanischen Ärzten sowie mit Kooperationsprogrammen mit ausländischen Krankenhäusern. Die Klinik, an der ich arbeitete, unterhält unter anderem Beziehungen zur Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf.

Es dauerte einige Monate, bis ich begann, mich an meine Arbeit unter schwierigen Verhältnissen zu gewöhnen. Zum Beispiel sind alle Patientinnen von Kopf bis Fuß schwarz umhüllt, nur manchmal bleiben die Augen frei. Man muss sich unterhalten, ohne das Gesicht seiner Gesprächspartnerin zu sehen, und man muss durch eine winzige Öffnung im Gewand und den Anblick eines kleinen Stückchens Haut seine dermatologischen Diagnosen stellen.

Gerade als ich begann, mich mit diesen absurden Umständen zu arrangieren, rief mich der Personalchef an, der für die ausländischen Mitarbeiter zuständig ist. Er teilte mir mit, er habe gesehen, wie ich auf der Straße mit einem männlichen Kollegen sprach, und dass dies nicht erlaubt sei. Er schlug mir vor, für mich und besagten Kollegen, der ein Freund von ihm sei, ein Wochenende in Bahrain zu organisieren – dort verbringen die Saudis ihre Wochenenden, weil es Alkohol und Sex gibt. Ferner riet er mir, meine Zeit mit diesem Kollegen zu verbringen, statt sie mit meinem Ehemann und anderen Europäern zu vergeuden. Der Personalchef war über mein gesamtes Privatleben bestens informiert. Ich beschwerte mich bei der Krankenhausleitung über diese Eingriffe in meine Privatsphäre. Das hielt jedoch niemanden davon ab, mir weiterhin Einladungen zu dubiosen Partys zu schicken. Die Folge war, dass ich nur noch in Begleitung meines Mannes in die Klinik ging und er mich nach Dienstschluss auch immer abholte. Damit wollten wir allen Missverständnissen ein Ende setzen.

In der Folge wurde meine Arbeitssituation immer seltsamer: Patienten erschienen nicht zu ihrem Termin; sie erwiesen sich als Scheinpatienten. Patientenanfragen wurden abgeblockt, weil ich angeblich keine Termine mehr frei hatte. Die Organisatorin meiner Sprechstunde war die rechte Hand des stellvertretenden Verwaltungsleiters, der mir gleich am Empfangsabend einen Heiratsantrag gemacht hatte. Als ich wegen dieser Schwierigkeiten die Klinikleitung aufsuchte, traf ich auf genau diesen stellvertretenden Verwaltungsleiter. Er betonte auf anzügliche Weise, wie einfach ich es hätte haben können, wenn ich auf sein Angebot und die diversen Einladungen eingegangen wäre. Erst da verstand ich die Situation und die Zusammenhänge.

Da es in Saudi-Arabien für einen ausländischen Arbeitnehmer schwierig ist zu kündigen, versuchte ich zunächst mit Hilfe meines Mannes die Situation irgendwie zu ertragen. Ich hoffte auf gute Menschen in der Krankenhausleitung, die mir helfen würden. Doch die Situation nahm eine absurde Wende.

Als ich dem Besitzer des Krankenhauses die Lage schildern wollte, rief er mich an einem Abend nach Dienstschluss zu sich. Doch sobald er meinen Mann bemerkte, sagte er: „Oh, dein Mann wartet. Geh doch zu ihm!“ – ungeachtet meiner Beschwerdebriefe, die ihm vorlagen. Dabei darf man nicht vergessen, dass in Saudi-Arabien keine Frau je einen Schritt tun darf, ohne vom Ehemann, Vater oder Bruder begleitet zu werden. Am nächsten Tag teilte mir die Klinikleitung mit, dass es meinem Mann nicht mehr erlaubt sei, mich in der Klinik abzuholen. Als mein Mann nach Terminvereinbarung dann doch zu einem Gespräch mit der Leitung ins Krankenhaus kam, fing der stellvertretende Verwaltungsleiter ihn am Eingang ab. Nach einem kurzen Wortwechsel rief er die Polizei und warf meinem Mann Gotteslästerung vor. Darauf steht in Saudi-Arabien die Todesstrafe. Der Vorwurf war also alles andere als harmlos. Mein Mann verbrachte zwei Tage im Gefängnis.

Was sollte ich – schwanger, ohne Pass, ohne Ehemann – mit einem solchen Sponsor in einem solchen Land machen?! Die deutsche Botschaft war ausgesprochen hilfsbereit, wurde jedoch im Krankenhaus nicht weiter ernst genommen. Wenigstens konnten wir bei der Polizei erreichen, dass mein Mann unter Bürgschaft freikam.

Wir zeigten den Fall bei der Polizei und bei den Gesundheits- und Arbeitsministern persönlich an. Auch der Bürgermeister von Riad und König Abdullah erhielten Kenntnis. Alle versprachen zu helfen. Dabei blieb es. Die Krankenhausleitung und der Besitzer wurden mehrmals vorgeladen. Erschienen sind sie nie. Nach vier Monaten Stress konnte mir am Ende nur die saudische Menschenrechtsorganisation helfen. Sie erreichte, dass man mir meinen Pass einschließlich Ausreiseerlaubnis und ein Minimum an Geld für die Reisekosten aushändigte. Im Gegenzug musste ich unterschreiben, dass ich auf weitere Ansprüche verzichte. Versuche, nach unserer Rückkehr deutsche Politiker dazu zu bewegen, gegen solche Missstände in Saudi-Arabien vorzugehen, scheiterten.
Dr. med. Shahrzad Amier
E-Mail: Miramar100@hotmail.com

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