THEMEN DER ZEIT
Georgien: Kaum Hilfe für traumatisierte Opfer


Fotos: Annette Blettner
Kriegsopfer:
Sonja Tskrialaschvili
wurde von einem
russischen Soldaten
vergewaltigt.
Bislang ist sie noch
ohne Hilfe.
Vieles hat die Bäuerin in ihrem Leben verkraften müssen. Den Tod des noch jungen einzigen Sohns im Krieg, den Verlust des Ehemanns, den täglichen Kampf ums Überleben mit der Milch von nur einer Kuh, dem Obst und Gemüse aus dem Garten und rund 35 Euro Rente – und nun die Vergewaltigung. „Der Soldat war betrunken“, versucht sie das Geschehen zu erklären. Aber Sonja Tskrialaschvili ist kein Einzelfall. Nur wenige Orte entfernt habe es eine weitere Bäuerin getroffen, berichten die Nachbarinnen von Sonja.
Nur fünf Tage wütete der Krieg im Kaukasus, bombardierten russische Soldaten, südossetische Milizen und kosakische und tschetschenische Freischärler georgische Dörfer, Obstgärten und Felder in Südossetien, jagten Brücken und Schiffe in Georgien in die Luft, legten Feuer in mehreren Nationalparks und besetzten wichtige Punkte in Georgien, wie den Schwarzmeerhafen in Poti. Ob nun Russland oder Georgien eine größere Schuld an der jüngsten Eskalation im Kaukasus trifft – die Opfer sind die 130 000 Flüchtlinge, zumeist einfache georgische Bauern, die zum Teil schwer traumatisiert in Kindergärten, Schulen, stillgelegten Krankenhäusern und Zeltstädten hausen. Viele von ihnen mussten mitansehen, wie ihr Hab und Gut von den marodierenden Soldaten geplündert wurde, ihre Häuser, die Obstgärten und Wiesen gebrandschatzt und das Vieh geschlachtet wurde.
Zivilisten, die vorübergehend in Kriegsgefangenschaft geraten waren, wiesen nach ihrer Freilassung gebrochene Finger, Brandmale von ausgedrückten Zigaretten, gebrochene Arme und blaue Flecken an Kopf und Brust auf. Andere wurden Zeuge entsetzlicher Menschenrechtsverletzungen, wieder andere wurden Opfer einer Vergewaltigung. Mehr als 100 Augenzeugen und Opfer von Kriegsverbrechen werden zurzeit von Archil Gorogadze, Menschenrechtsbeauftragter im Büro des Staatsanwalts, und seinem Team interviewt. Später sollen ihre Aussagen als Beweise beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gegen Russland dienen.
Paata Kharabadze
ist Chefarzt am
Zentralkrankenhaus
in Gori. Während des
Krieges war es
Anlaufstelle für die
Verwundeten.
„Die Patienten landeten bei uns im Minutentakt, und unsere Chirurgen operierten bis zu 72 Stunden am Stück, um Menschenleben zu retten, Bombensplitter und Projektile aus Schusswunden zu entfernen und Amputationen an Bomben- und Minenopfern vorzunehmen“, berichtet die junge Ärztin Dr. Irina Abramishvili und führt stolz durch den frisch renovierten Teil der Uniklinik der Hauptstadt. Seit der Reprivatisierung des Gesundheitssystems nach dem Ende der sozialistischen Planwirtschaft glänzen hier nagelneue Röntgengeräte, Computertomografen und Ultraschallgeräte. Im alten, inzwischen stillgelegten Trakt aus sozialistischen Zeiten wurden vorübergehend die leicht Verletzten untergebracht. In einem der heruntergekommenen Zimmer mit zerschlissenen Betten und bröckelnden Wänden liegt die 66-jährige Patientin Anna Nazvlischvili aus Achldaba in Südossetien. „Ich war gerade in unserem Garten, um Bohnen fürs Mittagessen zu pflücken, als ich diesen ohrenbetäubenden Lärm hörte“, erinnert sich die alte Frau, „als ich plötzlich diesen furchtbaren Schmerz spürte.“ Auf allen Vieren kroch sie ins Haus. Eine Nachbarin hatte dies beobachtet und nahm sie bei sich auf. „Drei Tage versorgte mich Liala Matscharaschvili, bis schließlich die Ambulanz kam und mich nach Tbilisi in die Klinik brachte.“ Ohne die Hilfe der Nachbarin, da ist sich Anna Nazvlischvili sicher, hätte sie das nicht überlebt.
Kriegsschäden:
Häuser, Wiesen
und Gärten wurden
zerstört. Viele
Menschen verloren
ihre Existenz.
Im Gesundheitswesen hatte es ebenfalls große Verbesserungen gegeben. „Georgien stand ja quasi an der Grenze zu den NATO-Staaten, deshalb wurden bei uns in den 70er- und 80er-Jahren viel zu viele Krankenhäuser gebaut“, berichtet der vor wenigen Jahren aus den USA zurückgekehrte 38-jährige Minister für Gesundheit, Arbeit und Soziales, Alexander Kvitashvili. Die Zahl der Betten beispielsweise sollte von 45 000 auf 8 000 gesenkt werden. Etliche Kliniken waren bereits privatisiert worden und sollten zu Krankenhäusern nach westlichem Standard umgebaut werden. Die Löhne für Ärzte und Pflegepersonal konnten endlich erhöht und regelmäßig bezahlt werden. „Während der Sowjetunion war das Gesundheitswesen ja völlig in staatlicher Hand, und heute wollen wir so wenig wie möglich Staat im Gesundheitswesen“, erklärt der Minister. Doch auch für ihn steht fest: „Die staatliche Finanzierung von Krankenkassen für eine Million Arme, darunter viele Flüchtlinge, und die Zahlung der Krankenkosten für die jüngsten Flüchtlinge müssen für Georgien selbstverständlich sein.“
Die bettelarme Witwe Sonja Tskrialaschvili aus dem kleinen Bauernflecken Berbeti und viele andere Traumaopfer des Krieges warten jedoch bis heute vergeblich auf psychologische Hilfe. Die Caritas hilft den Flüchtlingen in Georgien: Spendenkonto: Caritas international, Konto: 2 02, Bank für Sozialwirtschaft Karlsruhe, BLZ 660 205 00, Stichwort „Kaukasus“.
Annette Blettner
Bielau, Bernd
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.