POLITIK
Arzneimittelfälschungen in der Europäischen Union: Zum Schutz der Patienten


Arzneimittelfälscher haben in der Europäischen Union (EU) zunehmend leichtes Spiel. Im vergangenen Jahr beschlagnahmten die Zollbehörden an den EU-Außengrenzen rund vier Millionen gefälschte Produkte. Das sind nach Angaben der Europäischen Kommission 51 Prozent mehr als 2006. Die Fälschungen gelangten vor allem über dubiose Internethändler oder den Schwarzmarkt an die Patienten, bestätigen Zoll und Bundeskriminalamt. EU-Industriekommissar Günter Verheugen sieht noch andere Einfallstore.
Arzneimittelfälscher hätten vor allem beim Neuverpacken von Medikamenten für den Parallelhandel leichtes Spiel, vermutet der Kommissar. Deshalb will er ein EU-weites Umpackverbot durchsetzen. Die Praxis des Neuverpackens mache ein Aufdecken von Fälschungen „schwierig bis unmöglich“, heißt es in einem von Verheugen vertretenen Entwurf für eine EU-Richtlinie. Dadurch steige das Risiko, dass gefälschte Arzneimittel über die legale Vertriebskette an die Patienten gelangten.
Den Parallelhandel von Medikamenten gibt es in der EU seit den 70er-Jahren. Haupteinfuhrländer sind Deutschland, Großbritannien, Irland, die Niederlande sowie die skandinavischen Länder. Die Öffnung des EU-Arzneimittelmarkts für Parallelimporte sollte den Preiswettbewerb ankurbeln.
Die jährlichen Einsparungen, die Hochpreisländer durch den Parallelhandel bei den Arzneimittelausgaben erzielen, betragen nach kommissionsinternen Schätzungen zwischen 100 und 600 Millionen Euro. In Deutschland waren es nach Angaben des AOK-Bundesverbands im vergangenen Jahr rund 190 Millionen Euro.
Ein Umpackverbot und das damit verbundene Aus des Parallelhandels käme allerdings den Pharmaunternehmen entgegen. Sie wettern seit Jahren gegen den Parallelimport. Die Händler strichen als Trittbrettfahrer von Forschungs- und Marktinvestitionen den größten Teil der Preisunterschiede ein, kritisiert die Branche (siehe Kasten). Der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) begrüßt daher die Vorschläge Verheugens zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit. Diese seien „geeignet, uns auch vor künftigen Gefahren noch bessern zu schützen“, sagt dessen Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer. Der VFA setzt vor allem auf ein von Verheugen unterstütztes einheitliches Arzneimittelidentifikationssystem. Medikamentenpackungen sollen danach künftig mit speziellen, unveränderbaren Sicherheitsmerkmalen versehen und versiegelt werden. Damit könnten gefälschte Produkte noch in der Apotheke abgefangen werden, erklärt Yzer.
Der Verband der Arzneimittelimporteure Deutschlands und die Krankenkassen kritisieren das geplante Umpackverbot. In Deutschland sei seit der Einführung des Parallelhandels im Jahr 1975 kein einziger Fall bekannt geworden, der zu einer Beeinträchtigung der Arzneimittelsicherheit geführt habe, betont Michael Nell vom AOK-Bundesverband. „Es handelt sich um sichere Produkte, die auf dem bewährten Vertriebsweg von Großhandel und Apotheke an die Patienten gelangen.“
Über die Gefahren des Internethandels aufklären
Der liberale Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis hält ebenfalls wenig von einem Umpackverbot. „Es wäre ein falscher Ansatz, das Problem der Arzneimittelfälschungen generell mit der Produktsicherheit im Bereich der Parallelimporte gleichzusetzen“, meint der Politiker. Die Patienten sollten vielmehr für die Gefahren des Internethandels als Haupteinfallstor für gefälschte Arzneimittel sensibilisiert werden. Der Weg zu einer effektiven Bekämpfung von Fälschungen führt indessen nach Meinung des CDU-Europapolitikers Peter Liese nur über europaweit einheitliche Medikamentenpreise.
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) mahnt, dass sich die Patienten durch ein Arzneimittelidentifikationssystem in einem falschen Sicherheitsgefühl wiegen könnten. Ebenso wichtig wie moderne Sicherheitstechnologien seien verstärkte Zollkontrollen und drastischere Strafen für das Fälschen von Arzneimitteln, „vergleichbar denen für Drogendelikte“, sagt Alexander Natz vom Brüsseler Büro des BPI.
Petra Spielberg
Rechtslage
Pharmaunternehmen dürfen nach europäischem Wettbewerbsrecht ihre marktbeherrschende Stellung nicht dazu missbrauchen, den Parallelhandel einzuschränken. Entscheidend sei, ob die Bestellmengen der Großhändler im üblichen Rahmen zur Versorgung des heimischen Markts liegen oder weit darüber. Ein Hersteller müsse jedoch in der Lage sein, seine eigenen geschäftlichen Interessen zu schützen, wenn er sich anormalen Mengen gegenübersieht. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Rechtsstreit zwischen einer Tochter des britischen Konzerns Glaxosmithkline und Pharmagroßhändlern in Griechenland. Die Glaxo-Tochter hatte mit dem Argument der Produktknappheit zeitweilig keine Medikamente an den Großhandel geliefert. Damit wollte das Unternehmen Parallelexporte in EU-Länder mit höheren Verkaufspreisen verhindern. Die klagenden Händler sahen hierin einen Verstoß gegen europäisches Wettbewerbsrecht. (Az.: C-468/06 bis C 478/06)
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