ArchivDeutsches Ärzteblatt39/2008Kassenärzte: Rückblick
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Sollte die Altersgrenze tatsächlich fallen, so ist endlich ein trauriges Kapitel um ein Grundrecht eines Freiberuflers – die freie Niederlassung – abgeschlossen. Ein Rückblick sei mir erlaubt. Seit 60 Jahren haben sich Politiker, Krankenkassen und Ärztefunktionäre im Kampf gegen dieses Grundrecht durchaus negativ bewährt! Es begann nach dem Krieg. Für die Zulassung als Kassenarzt gab es strikte Verhältniszahlen zu den zu versorgenden Kassenpatienten. Da diese Verhältniszahlen rasch erreicht waren, blieben viele junge Kollegen, durch Wehrdienst oder Gefangenschaft schon erheblich benachteiligt, von der Kassenzulassung ausgeschlossen. Hätte man sich um diese Generation bemüht, so wäre schon damals erkennbar gewesen, dass die den Ärzten zur Verfügung gestellte Honorarsumme bei Weitem unzureichend war, mussten doch auch die niedergelassenen Ärzte eine massive Quotierung ihrer Kassenhonorare hinnehmen, d. h. eine Auszahlung von z. B. nur 70 Prozent des zustehenden Honorars. Erst dem NAV gelang es nach langjährigem Streit, die Niederlassungsfreiheit um das Jahr 1960 zu erkämpfen – gegen den Widerstand der kassenärztlichen Funktionäre! . . . Schon um 1975 machte sich ein Ärztemangel bemerkbar. Um die Niederlassung im ländlichen Raum zu fördern, wurden Umsatzgarantien von den KVen gegeben, d. h., das Kassenhonorar wurde im Bedarfsfall aufgefüllt, aber nicht von den Krankenkassen, sondern aus den Honoraren der niedergelassenen Ärzte! Gehen wir nur zehn Jahre weiter, so wurde trotz Beschränkung der Medizinstudentenzahlen das Schreckbild einer Ärzteschwemme an die Wand gemalt, resultierend in der Forderung von KV, Kassen und Politik: „Um Platz zu schaffen für den Nachwuchs, müssen eben die Alten raus!“ Gegen die Bedenken des Rechtsausschusses des Bundestages wurde unter der Regie von Herrn Seehofer 1993 der § 95 Absatz 7 Satz 3 des SGB V eingeführt: „Im Übrigen endet ab 1. Januar 1999 die Zulassung am Ende des Kalendervierteljahres, in dem der Vertragsarzt sein 68. Lebensjahr vollendet.“ Begründung: „Ärzteschwemme!“ Als dieses Gesetz in Kraft trat, zeichnete sich überraschenderweise statt der Ärzteschwemme ein Ärztemangel ab. Dies war wohl auch der Grund, weshalb die Zweite Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 31. 3. 1998 – 1 BvR 2167/93 und 2198/93 – Verfassungsbeschwerden ablehnte, dabei die offizielle Gesetzesbegründung „Ärzteschwemme“ durch die unbegründete Behauptung ersetzte, dass ein Vertragsarzt mit 68 Jahren geistig und körperlich nicht mehr in der Lage sei, diesen schweren Beruf auszuüben! Diese Begründung wurde schon durch die gesetzlichen Ausnahmeregeln ad absurdum geführt – doch was scherte dies unsere höchsten Richter! Es kam nun zu einer obskuren Koalition von Sozialrichtern, Kassen- und KV-Funktionären einschließlich der (bisher auch von den betroffenen Ärzten bezahlten!) KV-Juristen. Alle Klagen wurden abgewiesen, ebenso Anträge auf Verfahrensaufschiebung bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes . . . Leider haben nicht nur die KVen, sondern auch die freien Verbände betroffene Kollegen im Klageweg nicht unterstützt. Es bedurfte engagierter betroffener Ärzte, wie Dres. Deiwick, Hagedorn und Ettrich, sich für die Kollegen einzusetzen, und endlich erreichten sie sowohl eine Klageannahme durch den Europäischen Gerichtshof als auch die Annahme einer Beschwerde durch die Menschenrechtskommission der UN. Von beiden Seiten wurde das Bundesjustizministerium zu einer Stellungnahme bis September 2008 aufgefordert. Nunmehr soll die Altersgrenze endgültig aufgehoben werden, eine Ohrfeige unserer Politiker für die Richter des Bundesverfassungsgerichts. Von einer Entschädigung der bisher betroffenen Ärzte ist noch keine Rede! . . .
Dr. med. Klaus Reichel, Hubertussteig 7, 91217 Hersbruck

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