ArchivDÄ-TitelSupplement: PRAXiSSUPPLEMENT: PRAXiS 3/2008Organisationsentwicklung in Arztpraxen: Veränderungen meistern

SUPPLEMENT: PRAXiS

Organisationsentwicklung in Arztpraxen: Veränderungen meistern

Dtsch Arztebl 2008; 105(40): [13]

Eckes, Annette

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Fotos: Klaus Rose
Fotos: Klaus Rose
Arztpraxen durchlaufen verschiedene Entwicklungsphasen. Spezielle Strategien können dazu beitragen, Phasenwechsel gut in den Griff zu bekommen.

Jedes Unternehmen durchläuft während seines Bestehens spezifische Entwicklungsphasen. Diese phasenhafte Entwicklung wurde – angelehnt an die Entwicklung des Menschen, die sich mit Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter und Alter ebenfalls in Phasen vollzieht – erstmals 1974 von dem Politologen und Psychologen Friedrich Glasl und dem Mediziner und Heilpädagogen Bernard Lievegoed als Modell beschrieben.* Seither immer wieder den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen angepasst, hat dieses Modell Führungskräften und Unternehmern in Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung, in Krankenhäusern und öffentlichen Einrichtungen gute Dienste geleistet. Es bietet eine Vielzahl von Ansatzpunkten, um Probleme in der Führung und Organisation einer Unternehmung zu erkennen und in den Kontext der jeweiligen Entwicklungsphase zu stellen. Damit gibt es Hilfsmittel an die Hand, wie notwendige Veränderungsschritte in einem Unternehmen phasengerecht angegangen werden können (Grafik).

Auch das Unternehmen „Arztpraxis“ durchläuft dieses Phasenmodell: Die phasenspezifischen Probleme lassen sich gezielter behandeln, wenn man sie als „normale Entwicklungssymptome“ begreift, die an den Übergängen zur jeweils nächsten Phase auftreten.

In der Pionierphase
Viele Arztpraxen befinden sich in einer Phase, die wesentliche Züge der Pionierphase aufweist: Von einem Arzt oder einer Ärztin gegründet oder von einem Vorgänger übernommen, fließen schöpferische Kraft und ärztliche Kompetenz in ein Unternehmen, das mit wenigen Mitarbeitern (und möglicherweise wenig Kapital) startet.

Regelmäßige kurze Teambesprechnungen sind wichtig für den Informationsaustausch innerhalb der Praxis und geben Gelegenheit, Konflikte anzusprechen. Foto: Visum
Regelmäßige kurze Teambesprechnungen sind wichtig für den Informationsaustausch innerhalb der Praxis und geben Gelegenheit, Konflikte anzusprechen. Foto: Visum
Der Praxisgründer, der „Pionier“, ist der Chef, der aufgrund seiner persönlichen Autorität, seines Ansehens und des Vertrauens, das man in ihn setzt, die Praxis führt. Er kennt sein Mitarbeiterteam persönlich. Ein echter Familienbetrieb entsteht oft auch deswegen, weil die Ehefrau des Praxisinhabers (seltener der Ehemann) als Ersthelferin die Praxisorganisati-on managt. Wegen der überschaubaren Größe der Praxis funktionieren Kommunikation und Informationsfluss direkt, von Mund zu Mund. Auch wenn der Chef gleichlautende Aufträge an eine Mitarbeiterin vergibt, entsteht in der Regel keine Doppelarbeit, weil zeitnah miteinander gesprochen wird und Fragen auf kurzem Weg geklärt werden. Jeder (Arzt und ärztliches Hilfspersonal) weiß, was zu tun ist, alle ziehen an einem Strang. Deshalb fehlen häufig definierte Arbeitszuweisungen beziehungsweise abgegrenzte Arbeitsbereiche.

Die Praxisorganisation ist am Mitarbeiter orientiert: Jeder erledigt die Tätigkeiten, die er am besten kann (oder am liebsten tut). Die Mitarbeiter zeichnen sich meist durch eine hohe Motivation und Dienstbereitschaft aus – schon deswegen, weil eher Menschen eingestellt werden, die persönlich passen, statt Funktionsträger, die für eine spezielle Aufgabe ausgewählt werden. Eine strategische Langzeitplanung, auch im Bereich der Kosten und Leistungen, ist dabei nicht die Regel.

Die wesentliche Stärke der Pionierphase liegt darin, dass sich Chef und Mitarbeiter gut kennen und einschätzen können, dass zu den Kunden (Patienten) ein persönliches Verhältnis besteht und dass die angebotenen Dienstleistungen überschaubar sind. Ein Unternehmen in der Pionierphase zeichnet sich durch hohe Flexibilität aus. Wünsche der Patienten werden spontan aufgegriffen – eine Grundlage für starke „Kundenbindung“. Die Patienten kommen wieder, weil sie sich gut aufgehoben und besser behandelt fühlen als in einer vergleichbaren anderen Praxis.

Nun passiert das, was sich jeder Unternehmer, auch der Praxisgründer, wünscht: Die Praxis geht gut, die Patientenzahlen steigen, es müssen mehr Mitarbeiter eingestellt, vielleicht auch ein Praxissitz gekauft werden. Und unvermeidlich erwachsen aus den Stärken der Pionierphase Probleme.

Die Komplexität einer größeren Praxis kann nur dann gut bewältigt werden, wenn Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Mitarbeiterteam klar geregelt sind.
Die Komplexität einer größeren Praxis kann nur dann gut bewältigt werden, wenn Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Mitarbeiterteam klar geregelt sind.
Problematisch: unklare Aufgabenzuteilungen
Die Abstimmung zwischen den Mitarbeitern wird schwieriger, weil es zu viele Mitarbeiter gibt, als dass noch ein dauerhafter und direkter Kontakt möglich wäre, um alle Informationen zeitnah auszutauschen. Informationslücken entstehen. Die Motivation sinkt in gleichem Maß, wie sich Mitarbeiter nicht informiert und eingebunden fühlen.

Wenn Aufgabenzuteilungen nicht klar genug geregelt sind, passiert es häufig, dass jeder das tut, was für ihn Wichtigkeit hat. Anderes bleibt aber liegen, da sich niemand zuständig fühlt. Gerade in Bereichen, wo niemand diese als „seine“ eigenen ansieht, kommt es zu Problemen: Ersatzmaterial fehlt, das Desinfektionsspray ist immer leer, niemand sieht, dass der Papierkorb ein bisschen zu voll ist (die Reinigungskraft leert ihn ja) etc. Der zunächst stumme Vorwurf („Warum sieht das denn niemand und füllt einfach mal die Tupfer nach?“) führt bald zu Konflikten und Auseinandersetzungen.

Auch der Praxisinhaber vermag die steigende Komplexität der Informationswege nicht mehr zu handhaben. Er kann nicht mehr alle Vorgänge in seiner Praxis im Blick haben, kann also auch nicht mehr zeitnah steuern, wenn etwas in unvorhergesehene Richtungen läuft. Menge und Komplexität der zusätzlichen nicht ärztlichen Tätigkeiten führen meist dazu, dass der Praxisinhaber sich immer weniger in der Lage sieht, alle Entscheidungen zeitnah und fachgerecht selbst zu treffen. Eine Überlastung durch die Vielzahl der Aufgaben tritt ein. Im Prinzip sollte der Arzt gleichzeitig EDV-Fachmann, Finanzexperte, Betriebswirt und Personalmanager in einer Person sein, denn diese Aufgaben nehmen in wachsenden Praxen eine zunehmende Bedeutung ein.

Entscheidend für die Pionierphase war, dass die Philosophie des Praxisinhabers, seine Visionen für die Praxis, unausgesprochen allen Mitarbeitern bewusst und deshalb auch handlungsleitend und identitätsstiftend waren. Die Zukunftspläne wurden oft in kleinem Kreis auf dem Nachhauseweg oder in einer kreativen Kaffeepause geschmiedet.

Größe erfordert steuerbare Strukturen
Mit zunehmender Anzahl der Mitarbeiter und gegebenenfalls auch der Mitinhaber geht dieses starke verbindende Element der gemeinsamen, wenn auch nicht explizit ausgesprochenen Vision häufig verloren – es ist eben schwierig, mit 20 Personen spontane, kreative Kaffeepausen zu veranstalten.

Ein erstes Warnzeichen, dass etwas nicht stimmt, sind zunehmende Konflikte zwischen den Mitarbeitern. Dabei kann es um unklare Arbeitszuweisungen gehen, um Statusdenken („Ich bin seit Anfang an dabei und bin besser als die Neuen“), um das Abblocken neuer Gedanken, wie sie gerade von jungen Mitarbeitern eingebracht werden, oder auch um die (berechtigte) Sorge, ob die Praxis für den Einzelnen noch ein sicherer Arbeitsplatz sein kann. Häufige Mitarbeiterfluktuation, wenig motiviertes Personal oder steigende Krankheitsabsenzen können die Folge ungeklärter Konflikte sein.

Die genannten Symptome sind nicht unabänderliche Krisenzeichen für die Praxis, sondern sollten als Hinweise darauf verstanden werden, dass sich ein Phasenwechsel abzeichnet, der mit entsprechenden Strategien in gute Bahnen gelenkt werden kann.

Praktische Hinweise
Nachfolgend einige praktische Schlussfolgerungen aus dem Entwicklungsmodell nach Glasl und Lievegoed, die geeignet sind, den Übergang aus der Pionierphase heraus so zu gestalten, dass eine zukunftsorientierte Praxisentwicklung unterstützt wird:

Regelmäßige Teambesprechungen. Damit alle Mitarbeiter der Praxis die Informationen haben, die sie für ihre Arbeit brauchen, sollten regelmäßige Besprechungen (circa einmal in der Woche) durchgeführt werden. Diese können kurz sein, dienen aber dazu, dass jeder Informationen geben und erhalten kann. Außerdem sind solche Teamsitzungen für das Teamklima förderlich, da auch Konflikte angesprochen werden können.

Regelmäßige Meetings auf der Ebene der (mitgeschäftsführenden) Ärzte. Dies ermöglicht sowohl den zeitnahen Informationsaustausch als auch, wenn sie im regelmäßigen Abstand von einigen Monaten durchgeführt werden, die Diskussion über künftige Entwicklungsmöglichkeiten der Praxis. Hilfreich dabei ist zum Beispiel die SWOT-Analyse (engl. Akronym für Strengths, Weaknesses, Opportunities und Threats), welche die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken für die Arztpraxis beleuchtet und die es ermöglicht, Strategien zu erarbeiten und auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren. Vor allem für die strategische Planung sollte/n der oder die Praxisinhaber genügend Zeit einräumen, gegebenenfalls auch mit externer Begleitung/Organisationsentwicklung, um die Zukunft des Unternehmens Arztpraxis proaktiv zu gestalten.

Zuständigkeiten klären. Die Komplexität einer größeren Praxis kann nur gut bewältigt werden, wenn Zuständigkeiten für ärztliche und nicht ärztliche Tätigkeiten geklärt sind. Dabei muss mit der jeweiligen Zuständigkeit für eine Aufgabe auch die entsprechende Verantwortung und Kompetenz delegiert werden. Gegebenenfalls müssen Mitarbeiter geschult oder weiterqualifiziert werden, damit sie eigenverantwortlich handeln können (zum Beispiel Erstinformation über IGel-Leistungen durch nicht ärztliches Personal). Gibt es mehrere Praxisinhaber, sollten auch diese miteinander klären, wer etwa für welche Geschäftsführungsaufgaben verantwortlich ist.

Stärken der Personalführungskompetenz. Die Ersthelferin, die mit steigender Zahl von Mitarbeitern eine höhere Befugnis und Verantwortung im Personaleinsatz der Praxis hat, sollte in ihrer Rolle als „Chefin“ des nicht ärztlichen Personals gestärkt werden, denn häufig tun sich gerade diese Mitarbeiterinnen schwer, die Rolle der Vorgesetzten einzunehmen, Anweisungen zu geben und kritische Situationen zu besprechen.

Qualitätsmanagement (QM) wird bislang eher als zeitaufwendiges Muss empfunden denn als Hilfe bei der täglichen Arbeit. Sinnvoll eingesetzt, gibt Qualitätsmanagement jedoch genau die Unterstützung, die eine wachsende Arztpraxis benötigt. Von der Pionier- hin zur Differenzierungsphase müssen Arbeitsabläufe strukturiert und standardisiert oder Informationswege gesteuert werden. QM-Handbücher leisten dabei gute Hilfestellungen.

Outsourcing beziehungsweise Professionalisierung nicht ärztlicher Verwaltungsaufgaben. Es sollte überlegt werden, welche Tätigkeiten nicht zu den eigentlichen Kernaufgaben der Arztes beziehungsweise seines Assistenzpersonals gehören. EDV-Support, Finanzen, Öffentlichkeitsarbeit, Internetauftritt und anderes können auch in Auftrag gegeben werden, wobei jeweils die Schnittstellen gut geplant sein müssen. Ein qualifizierter Praxismanager kann von Verwaltungsaufgaben wesentlich entlasten.

Teamcoaching fördert die Zusammenarbeit und Kommunikation der Mitarbeiter in der Praxis: Erfahren, was die Anliegen des Einzelnen ans Team sind, wie auch umgekehrt, was das Team von Einzelnen erwartet; die Fähigkeit, Konflikte zu besprechen (und nicht unter den Teppich zu kehren), Absprachen miteinander zu treffen, Informationswege zu schaffen. Teamcoachings können vom Praxisinhaber selbst durchgeführt werden, aber auch hier bietet es sich an, auf neutrale, externe Supervisoren/Coaches zurückzugreifen.

Coaching für den/die Praxisinhaber zur Unterstützung bei Themen wie Mitarbeiterführung, Zielvereinbarungen, Mitarbeitergespräche, Selbst- und Zeitmanagement sowie Konfliktmanagement. Annette Eckes

Anschrift der Verfasserin: Dr. med. Annette Eckes, Wilhelmstraße 14, 50996 Köln, E-Mail: info@eckes-beratung.de


*Glasl F, Lievegoed B: Dynamische Unternehmensentwicklung; 3. Auflage, Stuttgart, 2004.

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