POLITIK
Krankenhäuser: „Der Deckel muss weg!“
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Fotos: Svea Pietschmann
Auf der Bühne singen sich „Chefarzt“ Jay und seine „Toten Ärzte“ die Seele aus dem Leib. Ordensschwester Maria Xaveria aus Lörrach scheint es zu gefallen. Sie steht unten auf dem Vorplatz und schwingt fröhlich ihre Arme zum krachenden Sound der Punkband.
„Der Stellenabbau
macht sich gravierend
bemerkbar.
Man kann seine
Arbeit nicht mehr
so machen, wie
man es möchte
und müsste.“
Robert Frank, Oberarzt,
Bamberg
Mit Punkrock und Demonstrationen kenne sie sich nicht aus, sagt Schwester Xaveria. Doch habe sie unbedingt nach Berlin kommen wollen, um zu protestieren. „Mir tut es um die jungen Leute an den Kliniken leid. Die haben vor lauter Arbeit kaum noch Zeit für ihre Familien“, kritisiert die Schwester.
„16 Jahre gedeckelte Budgets, 16 Jahre Kostendämpfung, 16 Jahre Personalabbau, 16 Jahre Leistungsintensivierung – das hat tiefe Spuren in den Krankenhäusern hinterlassen“, ruft Rudolf Henke, Bundesvorsitzender des Marburger Bundes, den Demonstranten bei der Kundgebung zu: „Wir haben inzwischen im ärztlichen wie im pflegerischen Bereich ein solches Maß an Leistungsverdichtung, dass darunter eindeutig die Zuwendung leidet.“ Ein weiterer Abbau von Arbeitskräften im Krankenhaus dürfe deshalb nicht riskiert werden.
„Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht“, betont Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer. In den vergangenen Jahren seien die Krankenhäuser sehr erfolgreich reorganisiert worden: „Trotzdem dienen wir der Politik nur als Sparschweine und müssen um jeden Cent kämpfen.“ Mit der Reform der Klinikfinanzierung bekämen die Häuser nur einen Teil dessen zurück, was die Politik ihnen in den letzten Jahren genommen habe.
„Gerade für junge
Leute ist es nicht
mehr attraktiv, Arzt
zu werden oder in
die Pflege zu gehen.
Schuld sind
die schlechten Arbeitsbedingungen.“
Ordensschwester
Maria Xaveria,
Lörrach
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Tatsächlich hatte das Bundeskabinett einen Tag vor der Kundgebung dem Gesetzentwurf für die Reform der Krankenhausfinanzierung zugestimmt. In der Öffentlichkeit konnte so leicht der Eindruck entstehen, Ärzte, Pfleger und Klinikträger bekämen trotz der Milliardenspritze der Kassen den Hals nicht voll.
Hilfspaket der Regierung nur eine Mogelpackung
Ein weiterer Grund für die Eile des Ministeriums ist die anstehende Festsetzung des einheitlichen Beitragssatzes für die Krankenkassen. Bevor der Schätzerkreis der Kassen den Finanzbedarf für 2009 berechnen kann, muss Klarheit über Zusatzausgaben für die Kliniken herrschen. Kritische Passagen des Gesetzentwurfs, die vor allem die Investitionsverpflichtungen der Länder betrafen, wurden deshalb gestrichen oder entschärft.
„Nach fünf Semestern
Medizin habe
ich mich für die
Musik entschieden
– und das habe ich
nie bereut.“
Demo-Einheizer
„Chefarzt“ Jay von
den „Toten Ärzten“
- Vom nächsten Jahr an werden die für die Jahre 2008 und 2009 tarifvertraglich vereinbarten Lohnsteigerungen zur Hälfte durch die Krankenkassen finanziert – soweit diese Erhöhungen die Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen der Kassen überschreiten.
- Das Statistische Bundesamt wird bis Mitte 2010 einen Orientierungswert ermitteln, der die Kostenentwicklung im Krankenhausbereich zeitnah erfasst und von 2011 an als Alternative zur bisherigen strikten Grundlohnsummenanbindung der Krankenhauspreise dienen soll.
- Um die Pflegekräfte zu entlasten, wird ein Förderprogramm aufgelegt, mit dem in drei Jahren bis zu 21 000 zusätzliche Stellen im Pflegedienst entstehen sollen. Bis zu 70 Prozent der daraus entstehenden Kosten sollen die Krankenkassen tragen.
- Der Rechnungsabschlag der Krankenhausrechnungen in Höhe von 0,5 Prozent zur Sanierung der Krankenkassenhaushalte wird nicht weiter erhoben.
- Die Landesbasisfallwerte werden in einem Zeitraum von fünf Jahren, beginnend 2010, schrittweise in Richtung eines bundesweit einheitlichen Basisfallwerts angenähert. Von dieser Konvergenz wird eine Bandbreite (Korridor) in Höhe von plus 2,5 Prozent bis minus 1,5 Prozent um den einheitlichen Basisfallwert ausgenommen.
- Die Finanzierung der Investitionen soll von 2012 an über leistungsorientierte Pauschalen erfolgen – jedoch nur, wenn sich die Länder dazu entscheiden. Näheres soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe regeln.
„Wir verbessern die finanzielle Lage der Kliniken, die von 2009 an insgesamt mehr als drei Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung haben werden“, kommentierte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Der Gesetzentwurf verbinde das wirtschaftlich Notwendige mit dem finanziell Machbaren – „mit Augenmaß“.
„Drei Milliarden Euro hören sich erst mal sehr hoch an“, sagt Dr. med. Kolja Deicke. Der Arzt aus dem Klinikum Kassel trägt eine Notarztweste. Mit seiner Reise nach Berlin wollte er zumindest einen Rettungsversuch für die Kliniken unternehmen. Deicke weist darauf hin, dass vor allem langfristige Hilfen nötig seien. Ihn ärgert, dass die Länder mit dem Gesetzentwurf nicht für die nötigen Krankenhausinvestitionen in die Pflicht genommen werden.
„Wir haben in Kassel einen riesigen Investitionsbedarf“, berichtet Deicke. 74 Millionen Euro habe die Landesregierung nun zwar bewilligt, dafür habe Verdi aber einem Zukunftssicherungsvertrag zustimmen müssen, der Gehaltskürzungen von vier bis sechs Prozent vorsehe.
„Die Zahl der Patienten,
die pro Arzt
und pro Pflegekraft
versorgt werden
müssen, ist
spürbar gestiegen.
Die Arbeitsbelastung
ist enorm.“
Michael Krakau,
Oberarzt, Köln
Experten warnen davor, dass in den nächsten Jahren bis zu 20 000 Klinikbeschäftigte entlassen werden müssten, sollte die Politik nicht gegensteuern. Am Tag der Demonstration bekommen die Patienten schon mal vorab zu spüren, was eine ausgedünnte Personaldecke bedeutet. Weil jeder zehnte Klinikbeschäftigte zur Demonstration nach Berlin gereist ist, mussten etliche Krankenhäuser eine Notversorgung organisieren.
Jens Flintrop, Samir Rabbata
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