MEDIZINREPORT
Karolinska-Institut: Nobelpreis für den Virologen Harald zur Hausen
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DÄ plus


Harald zur Hausen, von 1983 bis 2003 Leiter des
Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg,
erhält die Hälfte des diesjährigen Medizin-Nobelpreises für
seinen Nachweis, dass das humane Papilloma-Virus (HPV)
Gebärmutterhalskrebs auslöst. Damit schuf der heute
72-Jährige die Grundlagen für eine präventive Impfung,
die in Deutschland seit 2007 verfügbar ist.
Foto: dpa
Der deutsche Virologe und Krebsforscher Prof. Dr. med. Harald zur Hausen (Heidelberg) ist einer von drei Medizin-Nobelpreisträgern des Jahres 2008. Er hatte Anfang der Achtzigerjahre belegt, dass humane Papilloma-Viren (HPV) Gebärmutterhalskrebs auslösen. Auch die beiden anderen Preisträger sind Pioniere auf dem Gebiet der Virologie: Prof. Dr. rer. nat. Françoise Barré-Sinoussi und Prof. Dr. med. Luc Montagnier haben die Auszeichnung für die Entdeckung des Aidserregers HIV erhalten.
„Es war Montagmorgen um viertel vor elf, als mich das Karolinska-Institut im Deutschen Krebsforschungszentrum erreicht hat“, teilte zur Hausen gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) mit. Im DKFZ war zur Hausen bis zu seiner Pensionierung 2003 Vorsitzender und Wissenschaftliches Mitglied des Stiftungsvorstands. „Ich wusste, dass ich viele Male vorgeschlagen worden war für den Nobelpreis, auch in diesem Jahr.“ Konkret damit gerechnet, den Preis jetzt zu bekommen, habe er aber nicht. „Ich freue mich extrem darüber, zumal ich nicht mehr der Jüngste bin“, sagte der 72-Jährige gegenüber dem DÄ. „Diese Ehrung krönt natürlich mein Forscherleben.“
Er ist der 21. deutsche Medizin-Nobelpreisträger, seit der Preis 1901 ausgelobt wurde. Zur Hausen hatte in den Siebzigerjahren postuliert, dass Zervixkarzinome durch humane Papilloma-Viren ausgelöst werden – eine Hypothese, die die damaligen Lehrmeinungen zur Entstehung von Krebs beim Menschen über Bord warfen, wie das Nobelpreiskomitee feststellt. „Bis dahin war nur bekannt, dass es HPV gibt und dass sie gutartige Warzen hervorrufen“, erinnert sich der Virologe Prof. Dr. rer. nat. Herbert Pfister (Köln), der von 1977 bis 1982 mit zur Hausen an der Universität Freiburg zusammengearbeitet hat.
In Plantarwarzen zum Beispiel ließen sich HPV-Partikel elektronenmikroskopisch nachweisen, nicht aber in bioptischem Material von Zervixkarzinomen. Der Grund: In den maligne veränderten Zellen ist die virale Nukleinsäure in das Genom integriert, und es werden keine Partikel freigesetzt. Zur Hausen nutzte die Technik der DNA-Hybridisierung, um die HPV in den verschiedenen Arten gutartiger Warzen inklusive Condylomata acuminata und Gebärmutterhalskrebszellen nachweisen zu können. 1983/84 konnte er eine weitere seiner Hypothesen bestätigen, die zunächst Zweifel an seinen Forschungsergebnissen hervorgerufen hatten: Nicht alle der inzwischen mehr als 100 entdeckten HPV-Typen sind der Lage, gesunde Zellen maligne entarten zu lassen. Für das Zervix-, Vulva-, Vagina- und Peniskarzinom sind das hauptsächlich HPV 16 und 18. In nahezu allen Zervixkarzinomen lässt sich virale HPV-Nukleinsäure nachweisen, zu 75 Prozent sind dies die Typen 16 und 18, die zur Hausen auch entdeckt und kloniert hat.
Mehrschrittmechanismus
Zur Hausen beschrieb auch den Mehrschrittmechanismus von der Infektion mit HPV bis zur Umwandlung einer gutartigen in eine bösartige Zelle: Nach einer HPV-Exposition (80 bis 90 Prozent der Menschen infizieren sich mit dem Virus während ihrer sexuell aktiven Lebensphase) kommt es zur Replikation des Virus und Expression des HPV-Genoms. Bei den meisten, und zwar 90 Prozent der infizierten Epithelzellen, heilt die Infektion aus, bei zehn Prozent aber entwickelt sie sich weiter zur prämalignen Vorstufen (Dysplasien), die sich auch histologisch über den PAP-Test nachweisen lassen.
„Zur Hausen hat das Fachgebiet der viralen Onkogenese in der Humanmedizin zur Anerkennung gebracht“, erläuterte Prof. Dr. Reinhard Kurth (Berlin), ehemaliger Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts in Langen und bis Anfang des Jahres Leiter des Robert-Koch-Instituts in Berlin. Dass die Wahl des Nobelpreiskomitees in diesem Jahr auf zur Hausen fiel, sei sicher auch der Tatsache zu verdanken, dass der Preisträger die immunogenen Proteine von HPV identifiziert und damit die Grundlage für die Entwicklung von Impfstoffen geschaffen habe.
Für die HPV-Impfung stehen zwei Impfstoffe zur Verfügung. Seit 2007 empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) die Immunisierung gegen HPV für Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren. Ziel ist es, der Entwicklung des Zervixkarzinoms vorzubeugen, an dem in Deutschland jährlich 6 500 Frauen erkranken und circa 2 000 sterben. Weltweit erkranken jährlich circa 500 000 Frauen an Gebärmutterhalskrebs. Die Impfung kann Nichtinfizierte vermutlich zu 100 Prozent vor der Infektion mit dem entsprechenden Virustypen schützen.
Humanes Immunschwächevirus
(HIV):
Ein Prozent der Weltbevölkerung
ist mit
dem Erreger infiziert.
Foto: Gilead Sciences
Harald zur Hausen ist am 11. März 1936 in Gelsenkirchen geboren worden. Er studierte Medizin an den Universitäten Bonn, Hamburg und Düsseldorf. 1960 promovierte er zum Dr. med. Anschließend arbeitete er am Institut für medizinische Mikrobiologie der Universität Düsseldorf. Es folgten Forschungsaufenthalte in den USA. 1969 habilierte sich zur Hausen an der Universität Würzburg, wo er am Institut für Virologie arbeitete. 1972 wurde er Professor, zunächst an der Universität Erlangen-Nürnberg, dann (1977) an der Universität Freiburg. 1983 übernahm er die Leitung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und wirkte mit daran, dass es zu einem Mekka der Spitzenforschung wurde.
Zur Hausen möchte die hohe Ehrung auch als Ansporn für junge Wissenschaftler sehen, auf dem Gebiet Infektionen und Krebs weiterzuforschen: „Ich ermuntere gerade junge Wissenschaftler mit großem Nachdruck dazu, auf diesem Gebiet weiterzumachen“, denn hier sehe er noch erhebliches Potenzial.
Bei einer Pressekonferenz im DKFZ anlässlich der Nobelpreisvergabe äußerte sich zur Hausen auch kritisch: Die HPV-Vakzine sei schlicht zu teuer. Zudem plädiert er dafür, die STIKO-Empfehlungen zu erweitern und Mädchen schon ab neun Jahren zu impfen, ebenso wie Jungen, die Überträger sein können.
Die zweite Hälfte des Nobelpreises teilen sich Françoise Barré-Sinoussi vom renommierten Institut Pasteur in Paris und der emeritierte Professor und Leiter der Weltstiftung für Aidsforschung Luc Montagnier. In der offiziellen Stellungnahme des Karolinska-Instituts heißt es, dass beide Forscher das humane Immunschwächevirus (HIV) entdeckt haben und damit erheblich zur Bekämpfung von Aids beigetragen haben.
Die Immunschwächekrankheit erregte erstmals 1981 Aufmerksamkeit, als US-Mediziner eine ungewöhnliche Häufung seltener und tödlich verlaufender Erkrankungen bei zuvor gesunden homosexuellen Männern nachgingen. Schon früh wurde deutlich, dass außer homosexuellen Männern vorwiegend Drogenabhängige, Empfänger von Blut und Blutprodukten sowie Kleinkinder von aidskranken Müttern betroffen waren. Diese Verteilung führte schon 1982 zu der Vermutung, dass der Auslöser der neuen Krankheit ein sexuell und parenteral übertragbarer infektiöser Erreger sein muss.
Françoise Barré-
Sinoussi, geboren 1947,
begann 1975 ihre
wissenschaftliche Karriere
am INSERM. Seit 1988 ist
sie Professorin und Abteilungsleiterin
am Institut
Pasteur in Paris.
Foto: Institut Pasteur
Gallo und Montagnier veröffentlichten ihre Ergebnisse am 20. Mai 1983 im Journal „Science“, wobei jeder die Erstentdeckung für sich beanspruchte. Daher folgte ein jahrelanger Rechtsstreit, bei dem es auch um das Patent für den ersten, 1984 entwickelten HIV-Antikörpertest ging. Montagnier hatte es ein halbes Jahr vor Gallo beantragt, aber Letzterer bekam es eher vom US-Patentamt bewilligt. Der Zwist führte zu diplomatischen Verwicklungen zwischen den Regierungen der USA und Frankreichs, der letztendlich auf höchster Ebene durch die jeweiligen Präsidenten François Mitterand und Ronald Reagan dahingehend entschieden wurde, dass Gallo auf seinen Anspruch verzichtete und sich beide Forscher die Einkünfte aus der Entdeckung teilen wollten.
Luc Montagnier,
geboren 1932, war seit
1972 Leiter der virologischen
Abteilung am
Institut Pasteur in Paris.
Ab 1990 stand er am
selben Institut auch als
Leiter der Abteilung für
Aids und Retroviren vor.
Foto: dpa
Enzym reverse Transkriptase
Das Nobelpreiskomitee begründet seine Entscheidung wie folgt: Die französischen Forscher isolierten und kultivierten zunächst Lymphozyten aus den geschwollenen Lymphknoten von Patienten in einem frühen Stadium der erworbenen Immunschwäche. Sie konnten in diesen Zellen die Aktivität des retroviralen Enzyms reverse Transkriptase nachweisen, was die Existenz und Vermehrung eines Retrovirus bewies. Außerdem entdeckten sie, dass die Aussprossungen der infizierten Zellen retrovirale Partikel enthielten. Die Virusidentifizierung durch Barré-Sinoussi und Montagnier ermöglichte die schnelle Klonierung des HIV-1-Genoms, was wiederum die Identifizierung wichtiger Details im Replikationszyklus und in der Interaktion von Virus und menschlichen Zellen nach sich zog. Die einzigartige Entwicklung verschiedener Klassen neuer antiviraler Medikamente, so das Nobelpreiskomitee, gehe ebenfalls auf die detaillierten Kenntnisse des Replikationszyklus des Virus zurück. Die Kombination von Prävention und Behandlung habe die Ausbreitung der Erkrankung eingeschränkt und die Lebenserwartung der Patienten drastisch verlängert. Allerdings: Selbst unter einer langfristigen antiviralen Therapie mit mehreren Wirkstoffen überlebt HIV. Das weitreichende Wissen über die einzigartige Interaktion zwischen Virus und Gastzelle habe jedoch zu Ergebnissen geführt, welche in der Zukunft zur Entwicklung eines Impfstoffs führen könnten sowie zu therapeutischen Angriffen auf die Viruslatenz, hofft das Nobelpreiskomitee.
Nach Ansicht von Prof. Dr. Norbert Brockmeyer, dem Sprecher des Kompetenznetzes HIV/Aids, würdigt die diesjährige Nobelpreisentscheidung drei Grundlagenwissenschaftler, deren Arbeiten ganz entscheidend die klinische Forschung von viralen Erkrankungen beeinflusst haben, welche die letzten Jahrzehnte geprägt haben. Brockmeyer weist auf den Zusammenhang zwischen beiden Virustypen hin:
„Ein wichtiger Punkt sind durch HPV induzierte Karzinome bei HIV-Infizierten. Diese Arbeit und die Verhinderung dieser Tumoren wären ohne die Arbeit von zur Hausen nicht möglich; natürlich wäre auch die Entwicklung des Präventivimpfstoffs, den wir jetzt schon zur Verfügung haben und der auf seine Arbeiten zurückgeht, nicht möglich gewesen. Beide Forschungsgebiete zeigen die Bedeutung der Translationsforschung, also der Umsetzung von grundlagenwissenschaftlichen Ergebnissen in die Praxis, die es weiter verstärkt zu fördern gilt.“ Begrüßenswert sei auch, dass Françoise Barré-Sinoussi als Mitarbeiterin von Luc Montagnier ebenfalls gewürdigt werde. Dies zeigt die zunehmende Demokratisierung im wissenschaftlichen Forschungsprozess.
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn,
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze,
Ingeborg Bördlein
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